Dr.in Anna-Lena Berscheid | Berufliche Entscheidung nach der Promotion: Nah an der Wissenschaft, aber nicht mehr mittendrin
Anna-Lena Berscheid studierte zunächst bis 2009 Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Berlin. Danach zog sie für den Master im Fach Gender Studies nach Wien, da die dortige Universität zu diesem Zeitpunkt als eine der wenigen Hochschulen diesen Studiengang angeboten hat. Nach Abschluss des Masters wurde der heutigen Soziologin eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Paderborn angeboten. 2015 begann sie ihre Promotion im Fach Soziologie, die sie 2019 erfolgreich abschloss. Heute ist sie als Referentin bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft tätig und hat sich aus der Wissenschaft zurückgezogen – ihr jedoch nicht vollständig den Rücken gekehrt.
Nach einer Promotion haben Nachwuchswissenschaftler*innen zwei Möglichkeiten: Entweder entscheiden sie sich für eine wissenschaftliche Karriere an einer Hochschule oder sie verfolgen eine Laufbahn abseits der Wissenschaft – Anna-Lena Berscheid hat sich für Letzteres entschieden. Eigentlich wollte die 36-Jährige nie promovieren, obwohl sie der Bereich Forschung schon zu Studienzeiten interessiert hat. „In der Schule war mein Traumjob noch Journalistin“, begründet sie die Wahl ihres Bachelor-Studienganges. Erst durch mehrere Tätigkeiten als studentische Hilfskraft wurde sie auf die Vorzüge und die Vielfalt des wissenschaftlichen Arbeitens aufmerksam. „Mich hat dabei die Möglichkeit des selbstständigen Arbeitens an neuen, unbekannten Themen sehr gereizt,“ erläutert die Alumna.
"Einen strikten Karriereplan habe ich nie verfolgt. Mein Profil hat sich auch aus vielen studentischen Hilfskraftjobs entwickelt. Aus Einzelentscheidungen ergaben sich dann immer wieder neue Möglichkeiten.“
Ihre spätere Doktormutter Birgitt Riegraf habe den Anstoß für die Entscheidung zur Promotion gegeben, sodass sie 2015 an das NRW Forschungskolleg nach Paderborn kam. Hier forschte Anna-Lena Berscheid gemeinsam mit einer kleinen Gruppe aus Doktorand*innen und schloss ihre Promotion nach 3,5 Jahren zum Thema „Arbeit an der Grenzfläche: Eine sozialkonstruktivistische Untersuchung der Aushandlungs- und Gestaltungprozesse von Inter- und Transdisziplinarität im Kontext der Erforschung hybrider Leichtbaumaterialien“ ab. In dieser Zeit lernte sie, insbesondere mit Forscher*innen verschiedener Disziplinen sowie nicht-wissenschaftlichen Akteur*innen aus Wirtschaft und Politik zusammenzuarbeiten.
"Ich hatte während meiner Promotion noch genügend Zeit für ganz alltägliche Dinge wie Schlafen, Schwimmen oder Video-Spiele. Sogar Trash-TV habe ich mir manchmal angeschaut. Wahrscheinlich habe ich alles gut unter einen Hut bekommen, weil ich einfach organisiert und strukturiert war.“
Das Wissen aus dem Studium nutzbar machen
Sich selbst beschreibt die Soziologin als „prinzipientreu, zuverlässig und loyal“, was sich während ihres Studiums und der Promotion ausgezahlt habe. Das Wissen aus ihrer Zeit in Berlin und Wien konnte Anna-Lena Berscheid in jeder Etappe ihrer Laufbahn nutzen. Aber gerade die Promotion habe ihr besondere Sichtweisen auf viele Dinge ermöglicht. Sie erinnert sich noch gut daran, dass sie Professor*innen zu Beginn des Studiums als „allwissend“ wahrgenommen hat. Durch die engeren Kontakte während ihrer Promotion habe sie dann festgestellt, dass auch diese „die Weisheit in Gänze nicht mit Löffeln gegessen“ haben und sich immer weiterbilden müssten.
"Wer an sich selbst glaubt, nicht aufgibt und strukturiert ist, der packt auch eine Promotion. Das ist nicht so ein großer Akt, wie es oftmals scheint.“
Durch die Bedingungen am NRW Forschungskolleg sowie die überschaubare Größe von Uni und Stadt, hatte Anna-Lena Berscheid in Paderborn viel Gestaltungsfreiheit. Sie erinnert sich gerne an Mittagspausen mit Kolleg*innen und anderen Promovend*innen und weiß im Vergleich zu ihren vorherigen Stationen in Wien und Berlin „den netten Paderborner Campus“ sehr zu schätzen. „Man kannte sich untereinander: Ich kannte den Koch in der Mensa und die Leute in der Verwaltung – das ist viel wert.“
Berufliche Wege abseits der Wissenschaft
Nach dem Abschluss ihrer Promotion arbeitete Anna-Lena Berscheid zunächst als Postdoc in einem Projekt zu Technik und Diversity, merkte aber schnell, dass sie keine akademische Karriere in der Wissenschaft anstrebt. In ihrem heutigen Job als Referentin bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) betreut sie als Mitglied der Gruppe „Graduiertenkollegs und Karriereförderung“ angehende Promovend*innen. „Ich arbeite nah an der Wissenschaft, aber nicht mittendrin“, beschreibt Anna-Lena Berscheid ihren heutigen Beruf. Für sie persönlich sei nun auch die Vereinbarkeit zwischen Privatleben und Beruf deutlich einfacher als in der Wissenschaft.
„Ich gebe angehenden Promovend*innen gerne den Tipp, sich frühzeitig nach Karrierewegen außerhalb der Wissenschaft umzuschauen.“
Schon während ihrer Zeit am NRW-Forschungskolleg kam die 36-Jährige mit Akteur*innen außerhalb der Wissenschaft in Kontakt, interessierte sich auch für Karrierewege außerhalb der Hochschule und fokussierte sich nicht nur auf den wissenschaftlichen Berufsweg. Anna-Lena Berscheid nutzte die Qualifikationsphasen, die ihr vom Forschungskolleg und der UPB geboten wurden, und legte so den Grundstein für ihre heutige Arbeit.
(Das Interview ist im Juli 2022 geführt worden.)