Super­rech­ner als In­no­va­ti­ons­mo­tor

Hightech der allerneuesten Generation an der Universität Paderborn

Der neue Superrechner ‚Noctua 2‘ ist das Herzstück des 2022 eingeweihten Hochleistungsrechenzentrums der Universität Paderborn. Forschende bundesweit nutzen die Rechenkapazitäten der Hochleistungsrechnersysteme, um anspruchsvollste Computersimulationen und Wissenschaft auf höchstem Niveau zu betreiben.

Rech­ner­ge­stütz­te Wis­sen­schaf­ten

Die Natur beobachten, Experimente durchführen und auswerten, theoretisch arbeiten: So haben Forschende gearbeitet, bevor der erste Computer erfunden wurde, um bestimmte Prozesse, Abläufe und Entwicklungen nachzuvollziehen. Mit modernsten Computerprogrammen haben Wissenschaftler*innen heute zusätzlich die Möglichkeit, sich durch präzise Simulationen und Modellen der Wirklichkeit immer mehr anzunähern. Die Vorteile der sogenannten rechnergestützten Wissenschaften sind unbestreitbar: Experimente, die extrem aufwendig, teuer, gefährlich oder schlicht unmöglich wären, können auf dem Rechner simuliert werden. Anstatt also beispielweise viele aufwändige Experimente durchzuführen, um überhaupt erst einmal herauszufinden, welches Material sie nutzen wollen, können Forschende zunächst berechnen, welches Potenzial verschiedene Materialien haben – bevor sie in die experimentelle Phase einsteigen. Außerdem können mithilfe von Simulationen Vorhersagen über zukünftige Entwicklungen, beispielsweise im Bereich Klimawandel, getroffen werden. In verschiedenen Szenarien wird berechnet: Was verändert sich, wenn unsere Durchschnittstemperatur um drei Grad Celsius steigt? Was, wenn sie nur um zwei Grad steigt? Weitere Vorteile sind die perfekte Reproduzierbarkeit und die Tatsache, dass am Rechner gewonnene Ergebnisse neue Erklärungen liefern können, warum etwas passiert. Forschende haben mit Superrechnern die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit riesige Datenbestände zu durchforsten und Muster zu erkennen.

Hoch­leis­tungs­rech­nen als Schlüs­sel­tech­no­lo­gie für zahl­rei­che Wis­sen­schafts­be­rei­che

In Paderborn beschäftigen sich seit Anfang 2022 insgesamt 140.000 kompakt verbaute Prozessorkerne im Supercomputer ‚Noctua 2‘ mit hochkomplexen Aufgaben. Betrieben wird der Rechner vom Paderborn Center for Parallel Computing PC2, einem zentralen wissenschaftlichen Institut der Universität. Die Kompetenzen des Instituts liegen in Berechnungen von atomistischen Simulationen, Computerphysik und Optoelektronik. Dafür werden in Paderborn auch Computerprogramme entwickelt und angewendet.

„Mit einem Superrechner ist es wie mit einer Zeitmaschine, denn damit können wir heute schon berechnen, was mit herkömmlichen Rechnern erst in zehn Jahren möglich wäre. Diesen Zeitvorsprung müssen wir effizient nutzen und uns den Themen widmen, die für unsere Gesellschaft relevant sind – so wie nachhaltige Energietechnik“,

erklärt Prof. Dr. Thomas Kühne, Chemiker und stellvertretender Vorsitzender des PC2. „Wie mit einem Mikroskop können wir mithilfe von ‚Noctua 2‘ näher an die Dinge heran – mit dem Unterschied, dass wir hier beispielsweise einzelne Atome und ihre Wechselwirkungen sehen, also besser als mit jedem Mikroskop im Labor. Und das Ganze läuft extrem schnell ab: Wir können eine Vielzahl von Simulationen innerhalb kürzester Zeit durchführen und so Millionen von Strukturen austesten. Diese tiefere Einsicht in die Prozesse hilft uns etwa dabei zu verstehen, wie bestimmte chemische Reaktionen auf atomarer Ebene ablaufen.“

Ge­bäu­de X - Hei­mat des Super­rech­ners

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Nach­hal­ti­ge Ener­gie­sys­te­me

Die Fragestellungen, die mit dem Superrechner in Paderborn behandelt werden, sind vielfältig. Im Fokus der Forschung von morgen stehen unter anderem nachhaltige Energiekonversion durch Solarzellen und die klimafreundliche Wasserspaltung zur Erzeugung von Wasserstoff.

Bei der photokatalytischen Wasserspaltung wird die Energie des Sonnenlichts genutzt, um Wasserstoff – einen wichtigen Baustein für die Energiewende – zu gewinnen. In dem Prozess können Katalysatoren genutzt werden, um den Vorgang zu beschleunigen, effizienter zu gestalten und mehr Wasserstoff zu erhalten. Doch welcher Katalysator ist der beste? „Mit von uns entwickelten Computerprogrammen können wir auf ‚Noctua 2‘ zum einen beobachten, warum einige Katalysatoren besser oder schlechter funktionieren, und zum anderen können wir neue Verbindungen finden, die unsere experimentell arbeitenden Kollegen*innen anschließend im Labor herstellen können und die gleichzeitig effizienter als bereits genutzte Katalysatoren sind“, erläutert Kühne.

Ein anderes Beispiel sind Tandem-Solarzellen, deren einzelne Schichten sowohl die Energie des Sonnenlichts effizient umwandeln können als auch lichtdurchlässig sind, sodass auch in der zweiten und gegebenenfalls dritten Ebene noch Licht ankommt, das genutzt werden kann. Damit wollen Wissenschaftler*innen den Wirkungsgrad der Zellen erhöhen. Schon mit dem Vorläufer, ‚Noctua 1‘ konnten die Paderborner verschiedene Materialien für Tandem-Solarzellen vorschlagen, deren Wirkungsgrad bei 23 Prozent lagen.

Pa­der­born ist na­ti­o­na­les Hoch­leis­tungs­re­chen­zen­trum

Viele Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Deutschland haben lokale Rechenzentren für den Eigenbedarf. Diese sind oft durch den eigenen Haushalt oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert. Zusätzlich gibt es die nationalen Hochleistungsrechenzentren (NHR) im NHR-Verbund, aktuell neun (Stand Mai 2022), zu denen auch das PC2 gehört. Sie stellen ihre Superrechner für Nutzer*innen von Hochschulen aus ganz Deutschland zur Verfügung. Der Bund und das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) haben den Paderborner Hochleistungsrechner und das neue Hochleistungsrechenzentrum mit Fördermitteln in Höhe von insgesamt 25,4 Millionen Euro aus dem Forschungsbauten-Programm finanziert. Im Rahmen der Förderung des NHR-Verbundes werden von 2021 bis 2030 zusätzliche Fördermittel von bis zu 75 Millionen Euro fließen.

„Mit ‚Noctua 2‘ sind wir in eine völlig neue Größenordnung vorgestoßen – wir gehören jetzt zu den Top 10 der akademischen deutschen Rechenzentren“,

freut sich Prof. Dr. Christian Plessl, Computerwissenschaftler und Vorstandsvorsitzender des PC2. Größer sind nur noch die drei nationalen Höchstleistungsrechenzentren, die den Gauss Centre for Supercomputing Verbund bilden.

Bei der aktuellen Größe soll es jedoch nicht bleiben: „Wir arbeiten jetzt schon an den Plänen für ‚Noctua 3‘“, verrät Plessl. Denn: Das an der Universität Paderborn für ‚Noctua 2‘ neu gebaute Gebäude X wurde extra so konzipiert, dass noch zwei Mal so viel Platz vorhanden ist, wie der aktuelle Rechner einnimmt. Auch Kühl- und Brandschutzkonzepte, Stromversorgung sowie Büroflächen sind auf Erweiterungsstufen ausgerichtet. Beim Bau des Gebäudes spielte Nachhaltigkeit eine besondere Rolle: Der Strom für ‚Noctua 2‘ wird zu 100 Prozent aus Wasserkraft gewonnen und ist damit CO2-frei. Die Warmwasserkühlung ist hocheffizient und die Abwärme wird für die Heizung des Gebäudes sowie weiterer Gebäude genutzt. Die Kältemaschinen sind allesamt frei von Fluorchlorkohlenwasserstoffen, die früher oft als Kältemittel eingesetzt wurden, jedoch schädlich für die Ozonschicht sind.

Nut­zer­be­trieb an ‚Noc­tua 2‘

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Mitarbeiter*innen aller deutscher Hochschulen haben die Möglichkeit, Rechenzeit auf dem Superrechner zu beantragen. Unabhängig davon, ob Forschende an der Universität Paderborn selbst, in anderen Universitäten im Land NRW oder bundesweit arbeiten: In einem Antrag geben sie an, was berechnet werden soll, wie viele Prozessorstunden voraussichtlich benötigt werden und was das Ziel ihrer Forschung ist. „Ein typischer Rechenzeitantrag hat einen Umfang von sechs Millionen Prozessorstunden, die auf unserem Supercomputer innerhalb eines Jahres genutzt werden können. Diese entspricht der aggregierten Rechenzeit eines Arbeitsplatzrechners mit acht Prozessorkernen über 85 Jahre“, erklärt Plessl. Die kleineren Anträge werden intern vom PC2 geprüft und freigegeben. Doch: „Bei sehr umfangreichen Vorhaben mit mehr als zwölf Millionen Prozessorstunden, wird die wissenschaftliche Qualität und Angemessenheit des Ressourceneinsatzes durch externe Gutachter evaluiert.“

Ist ein Vorhaben bewilligt worden, können die Antragsteller*innen ihr Programm und die Daten, mit denen gerechnet werden soll, in die ‚Noctua 2‘-Warteschlange schicken. Sobald die benötigte Anzahl an Prozessoren frei wird, startet die Berechnung. Anschließend erhalten die Nutzer*innen ihre Ergebnisse zum Download. „All diese Prozesse laufen in der Regel automatisch ab. Das Zuordnen der freien Kapazitäten zu den Projekten in der Warteschlange ist ein bisschen wie Tetris, weil hier tausende von Aufträgen gleichzeitig gerechnet werden und nach einer passenden Lücke gesucht werden muss“, sagt Plessl.   

Com­pu­ter­sys­tem­for­schung in Pa­der­born

Das Paderborn Center for Parallel Computing hat seine Wurzeln in der theoretischen Informatik und entwickelte sich in den vergangenen 30 Jahren stets weiter. Heute versteht sich das PC2 auf der einen Seite als Dienstleister für verschiedene Anwender*innen und Nutzer*innen, da es Beratung und Service im Bereich High Performance Computing anbietet. Auf der anderen Seite setzt das PC2 in der Computersystemforschung selbst einen Schwerpunkt durch die Erforschung besonders effizienter Hardwarebeschleuniger-Technologien.

Die Prozessoren im Rechner sind wie Werkzeuge, mit denen Aufgaben bearbeitet werden: Es gibt spezifische und unspezifische Prozessoren, konkret „Central Processing Units“, kurz CPUs. Diese kann man sich entweder wie einen ganzen Werkzeugkasten (unspezifisch) oder einen Schraubenschlüssel (spezifisch) vorstellen. Nun gibt es Aufgaben, für die nur ein Schraubenschlüssel gebraucht wird – da ist es wenig energieeffizient, den ganzen Kasten mitzunehmen. Je nach Anforderung werden dementsprechende CPUs genutzt. Dann wiederum gibt es aber derart benutzerabhängige Aufgaben, dass Hardware-Bausteine speziell dafür programmiert werden müssen. Dies könnte, um im Bild zu bleiben, eine Kombination aus Schraubenschlüssel und Pinzette sein. Das sind die FPGAs, „Field Programmable Gate Arrays“, zu Deutsch: vor Ort programmierbare Schaltkreis-Anordnung. FPGAs sind vollständig spezialisierte Rechenwerke, Verbindungsnetzwerke und Speicher, die massives paralleles Rechnen in der Fläche erlauben, mit tausenden von gleichzeitigen Operationen. Die Paderborner Computerwissenschaftler*innen sind weltweit führend in diesem Bereich: Sie untersuchen, wie die Programmierung der FPGAs vereinfacht werden kann, wie anpassbar sie sind, ob es alternative Verfahren dazu gibt. „Wir haben hier eine europaweit einzigartige Installation von sogenannten FPGAs. Damit ist eine vollständige Spezialisierung des Rechenwerks für die jeweils gegebene Aufgabe möglich. Wir sehen darin eine extrem vielversprechende Technologie für die Rechnersysteme von morgen“, fasst Plessl zusammen. In ‚Noctua 2‘ sind sowohl CPUs, GPUs als auch FPGAs eingebaut – ein einmaliger und vor allem produktiv genutzter Hochleistungsrechner, an dem nicht nur Grundlagenforschung, sondern sehr anwendungsbezogen gearbeitet wird – eben ein Superrechner.

Text: Gesa Seidel, Stabsstelle Presse, Kommunikation und Marketing

Prof. Dr. Christian Plessl im Interview über den Superrechner und das neue Gebäude für die Forschung des PC2.

Kon­takt

Prof. Dr. Christian…

„Mit ‚Noctua 2‘ sind wir in eine völlig neue Größenordnung vorgestoßen – wir gehören jetzt zu den Top 10 der akademischen deutschen Rechenzentren.“

Gut zu wis­sen

Es gibt Rechner, wie herkömmliche Personalcomputer, die „einfache“ Rechnungen durchführen. Superrechner arbeiten „parallel“, da die Aufgabenstellungen, die sie bewältigen müssen, extrem komplex sind. Dafür sind parallele Strukturen vorhanden, die sich jeweils um ein Arbeitspaket kümmern. Das parallele Rechnen kann man mit dem Personentransport vergleichen: In dieser Analogie stehen die Fahrzeuge für die Prozessoren. Früher gab es ein Auto, das immer wieder von A nach B gefahren ist, um Personen zu befördern. Irgendwann wurden Busse eingesetzt, weil mehr Menschen in ihnen Platz haben, doch auch diese sind immer wieder von A nach B gefahren. Heute möchten jedoch so viele Personen die Strecke von A nach B fahren, dass mehrere Busse und sogar Züge gleichzeitig eingesetzt werden. Analog dazu gibt es also viele parallel arbeitende Prozessoren in einem Superrechner, weil sie so viel mehr leisten können als mit einem einfachen Prozessor. Die größte Herausforderung für Forschende, die mithilfe eines Parallelrechners wie ‚Noctua 2‘ arbeiten möchten, ist es zu überlegen, welche Teile der Fragestellung parallel, also getrennt voneinander, gerechnet werden können.

Die Entwicklung von Computern verläuft extrem dynamisch und exponentiell: Egal ob Großrechner oder Handy, die Geräte werden in zwei Jahren doppelt so schnell sein wie sie heute sind. 

Einer der ersten kommerziell vertriebenen Supercomputer hieß „Cray 2“ und wurde 1985 entwickelt. Seine Rechenleistung war in etwa so hoch wie das iPad 2 von Apple. Sechs Jahre später kam die Technik des massiven parallelen Rechnens das erste Mal in der „Connection Machine CM-5“ zum Einsatz. Bis heute gab es unzählige Weiterentwicklungen. Der größte Supercomputer steht heute (Stand Mai 2022) in Japan: „Fugaku“ ist der leistungsfähigste der Welt; seine Rechenleistung ist 283 Millionen Mal höher als die des „Cray 2“. Er besteht aus über 7,5 Millionen Prozessorkernen.

Supercomputer sind heute in erster Linie im naturwissenschaftlichen und ingenieurswissenschaftlichen Bereich im Einsatz. In den Geistes- oder Sozialwissenschaften werden sie noch nicht so stark genutzt. 

Noctua

Meilensteine

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Prof. Dr. Thomas Kühne

„Mit einem Superrechner ist es wie mit einer Zeitmaschine: Damit können wir heute schon berechnen, was mit herkömmlichen Rechnern erst in zehn Jahren möglich wäre.“

Wei­ter­füh­ren­de In­for­ma­ti­o­nen

Das PC2 ist ein zentrales wissenschaftliches Institut der Universität Paderborn.

Das PC2 ist Mitglied des Verbundes NHR, dessen Schwerpunkte die Bereitstellung von Rechenkapazitäten und die Stärkung der Methodenkompetenz von Nutzer*innen und des wissenschaftlichen Nachwuchses sind.

Die Gauß-Allianz ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung von Wissenschaft und Forschung, speziell im Bereich High Performance Computing. Das PC2 ist Mitglied der Allianz.