DNA-Ori­ga­mi

Baukunst mit dem Erbgut

Was wie Basteln mit Papier klingt, ist in der Biochemie ein feststehender Begriff: Origami – nur eben nicht mit bunten, quadratischen Papierbögen, sondern mit DNA, dem Erbgut. Wissenschaftler*innen der Universität Paderborn nutzen DNA-Stränge, um damit komplexe Nanostrukturen zu bauen, die künftig in der Biomedizin eingesetzt werden können oder bei der Oberflächenstrukturierung helfen.

Hin­ter­grund: DNA-Ori­ga­mi vs. Gen­tech­nik

„In unserer Arbeitsgruppe beschäftigten wir uns mit DNA-Origami – einem relativ jungen Forschungsbereich. Dabei wollen wir potenzielle Anwendungen dieser Technik in den Bereichen Biomedizin, Biophysik, chemische Biologie und Oberflächenstrukturierung untersuchen“, erklärt Dr. Adrian Keller, Leiter der Arbeitsgruppe „Nanobiomaterials“ im Department Chemie an der Universität Paderborn. Womit sich Keller und sein Team beschäftigen, fällt in den Bereich der Nanowissenschaften, also der Forschung an Atomen, Molekülen und Strukturen im Nanometerbereich. Zur Einordnung: Ein Nanometer entspricht einem Millionstel Millimeter. Auch wenn DNA der Hauptgegenstand ihrer Arbeit ist, handelt es sich dabei nicht um Gentechnik. Gentechniker*innen beschäftigen sich in der Regel mit der Isolation, Analyse, gezielten Veränderung und Übertragung von Genen eines Organismus. Die Paderborner Forschenden hingegen verändern keine Gene, sondern bauen Transportboxen, Gitterstrukturen und weitere Formen aus DNA.

Im La­bor: Um­set­zen des Bau­plans

Mit einer speziellen Software prüfen die Paderborner Forschenden zunächst am Computer, wie der Bauplan für ihre Struktur konkret aussehen kann. Anschließend bestellen sie bei spezialisierten Laboren die benötigten synthetischen DNA-Stränge (für den Aufbau der DNA siehe Infobox). Keller und sein Team präparieren diese Stränge dann im Labor. Für das Origami gibt es immer einen längeren Gerüststrang und mehrere kurze Helferstränge: Die kurzen Stränge sind so ausgewählt, dass sie jeweils an definierten Stellen des langen Stranges binden und diesen so dazu bringen, sich zu falten. Damit sich die sogenannten Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den zueinanderpassenden Basen ausbilden können, erhitzen die Forschenden die DNA erst auf 80 Grad Celsius und kühlen die Mischung dann kontrolliert auf Raumtemperatur herab. Die gewünschten Formen – es können Dreiecke, Vierecke oder auch komplexere Strukturen sein – bilden sich dadurch im Prinzip von selbst: Die Wissenschaftler*innen sprechen von der Selbstassemblierung der DNA. Die Formen können in einer Größe von wenigen Nanometern hin bis zu hunderten Nanometern vorliegen. Anschließend entfernen die Wissenschaftler*innen die überschüssige DNA, die nicht in die Struktur eingebaut wurde.

Die DNA-Origamis befinden sich zunächst noch in einer Lösung, können sich unter passenden Bedingungen aber auch spontan auf Oberflächen absetzen. Die Forschenden beobachten dann mit einem Hochgeschwindigkeits-Rasterkraftmikroskop, wie sich die DNA-Strukturen anordnen. „In einem Experiment, in dem wir dreieckige DNA-Strukturen hergestellt haben, konnten wir so eine hexagonale Ordnung erkennen. Die Dreiecke haben sich nahezu perfekt aneinandergelegt. Fügen wir noch ein paar Vierecke hinzu, sehen wir, wie diese die Anordnung der Dreiecke stören“, erklärt Keller.

Zu den Publikationen: https://doi.org/10.1007/s12274-020-2985-4 und https://doi.org/10.1039/d0nr01252a

Ers­ter Schritt: Grund­la­gen­for­schung

Aktuell ist die Arbeit von Keller und seinen Kolleg*innen noch Grundlagenforschung. Jedoch gibt es verschiedene Anwendungsbereiche, in denen die DNA-Origamis in einigen Jahren zum Einsatz kommen könnten. Dadurch, dass die DNA-Strukturen an spezifische Zellen binden können, wären sie in der Biomedizin denkbar, um Enzyme, Fluoreszenzfarbstoffe (die beispielsweise in der Diagnostik eingesetzt werden) oder Chemotherapeutika zu transportieren. Pharmazeutische Wirkstoffe benötigen häufig Transportsysteme, in denen sie sicher verpackt an den Ort im Körper gelangen, an dem sie wirken sollen – und nicht schon früher, denn je nach Substanz kann das schädlich sein. Solche Drug-Delivery-Systeme sind sozusagen Wirkstoff-Transportboxen. In Hinblick darauf untersuchen die Wissenschaftler*innen ganz konkret, wie die Origamistrukturen effizient mit dem Wirkstoff Methylenblau beladen werden können, welcher in der photodynamischen Therapie zum Einsatz kommt. Mit einem Infrarot-Nahfeldmikroskop, das auf 50 Nanometer genau ist, beobachten sie zum Beispiel, wie der Wirkstoff an den DNA-Origamis andockt.

Zur Publikation: https://doi.org/10.1039/D2NR02701A

Weiterhin bietet die DNA-Origami-Technologie die einzigartige Möglichkeit, funktionelle Einheiten und insbesondere einzelne Biomoleküle wie Proteine und Nukleinsäuren hochpräzise anzuordnen. So können exakte Anordnungen hergestellt werden, die als Plattformen für Studien an Einzelmolekülen genutzt werden können. Mit hochauflösenden Rasterkraftmikroskopen zur Visualisierung einzelner Proteine in solchen DNA-Origami-basierten Anordnungen können dann verschiedene Ereignisse wie etwa die Bildung oder der Zerfall von Proteinkomplexen unterschieden werden. Die Paderborner Nanowissenschaftler*innen wenden diese Technik derzeit bei der Untersuchung von Protein-Wirkstoff-Wechselwirkungen und der Entdeckung von neuen Protein-Hemmstoffen an.

Zur Publikation: https://doi.org/10.1002/sstr.202000038

In einem auf diesen Themen aufbauenden Forschungsvorhaben werden die Forschenden auch antimikrobielle Moleküle kontrolliert auf DNA-Origamis anordnen, um deren Wirksamkeit gegenüber antibiotikaresistenten Keimen zu erhöhen. Das Vorhaben wird durch die Verleihung des Forschungspreises der Universität Paderborn an Keller gefördert.

Adri­an Kel­ler er­hält For­schungs­preis der Uni­ver­si­tät Pa­der­born 2022 für die Ar­beit an DNA-Ori­ga­mis

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Her­aus­for­de­rung: Sta­bi­li­tät der neu ge­bau­ten Struk­tu­ren aus DNA

Bevor die DNA-Origamis jedoch tatsächlich in der Praxis zum Einsatz kommen können, gibt es noch einige Herausforderungen, die bewältigt werden müssen. Eine davon ist die Stabilität der Origami-Nanostrukturen. Unter physiologischen Bedingungen, also so wie im Körper, wird die gefaltete DNA unkontrolliert abgebaut. Die Degradation, der Abbau, ist in einigen Anwendungsfällen zwar gewünscht – beispielsweise im Bereich der Drug-Delivery-Systeme, wo Wirkstoffe an bestimmten Orten freigesetzt werden sollen – doch wenn sich die Transportbox zu früh öffnet, kann dies fatale Folgen haben. Deshalb untersuchen die Forschenden das Verhalten von verschiedenen DNA-Origami-Nanostrukturen unter relevanten Umgebungsbedingungen, die das Milieu im Körper nachbilden. „In unseren Studien haben wir herausgefunden, dass insbesondere niedrige Magnesiumkonzentrationen und die Gegenwart von DNA-zersetzenden Enzymen für die Zerstörung der DNA-Nanostrukturen verantwortlich sind“, so Keller. Das haben die Paderborner Wissenschaftler*innen in den vergangenen Jahren untersucht. „Jetzt konnten wir zeigen, dass sich das Abbauverhalten in den physiologischen Medien durch ein besonderes Design der Nanostrukturen kontrollieren lässt. Wir können die Stabilität der Strukturen also gezielt an eine gewünschte Anwendung anpassen.“ Kellers Ziel ist es, durch entsprechende Designs auch komplexe Degradationsprofile und damit maßgeschneiderte Wirkstofffreisetzungen zu ermöglichen.

Zur Publikation: https://doi.org/10.1002/smll.202107393

Text: Gesa Seidel, Stabsstelle Presse, Kommunikation und Marketing

Kon­takt

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PD Dr. Adrian Keller

Technische Chemie - Arbeitskreis Grundmeier

Group leader "Nanobiomaterials"

E-Mail schreiben +49 5251 60-5722

„Beim DNA-Origami werden DNA-Stränge gezielt in beliebige dreidimensionale Strukturen gefaltet. Darauf können Wirkstoffe äußerst präzise angeordnet werden. Mit dieser Methode wollen wir neuartige Wirkstofftransportsysteme gestalten.“

Gut zu wis­sen

Die Abkürzung DNA steht für die englische Bezeichnung von Desoxyribonukleinsäure: deoxyribonucleic acid. Darin gespeichert sind die Erbinformationen von Lebewesen und DNA-Viren. Die DNA selbst besteht aus Phosphaten, Zucker und den vier Basen Adenin und Guanin sowie Thymin und Cytosin. Diese Basen sind über Wasserstoffbrückenbindungen miteinander verbunden. Dabei passen jeweils nur zwei Basen zueinander: Adenin und Thymin bilden ein Paar, das andere sind Guanin und Cytosin. Durch diese Basenpaarung bildet die DNA eine Doppelhelix-Struktur aus, in der sich zwei Stränge spiralförmig umeinanderwinden. Bei der Herstellung von DNA-Origamis werden nun mehrere einzelne Stränge über diese Basenpaarung so miteinander verknüpft, dass sich die entstehende Doppelhelix in die gewünschte Form faltet. Die Stränge werden also quasi miteinander „verwoben“ wie die Fäden in einem Stück Stoff.

Wei­ter­füh­ren­de In­for­ma­ti­o­nen

Die Arbeitsgruppe „Nanobiomaterials“ an der Universität Paderborn unter der Leitung von Dr. Adrian Keller untersucht Struktur und Verhalten biomolekularer Systeme. Ihr Ziel: neue und verbesserte biomedizinische Materialien, Tests und Therapien.

Der Arbeitskreis „Technische und Makromolekulare Chemie“ im Department Chemie an der Universität Paderborn wird von Prof. Dr.-Ing. Guido Grundmeier geleitet. In diesem Bereich sind vier Forschungsbereiche angesiedelt, die sich mit molekularer Adhäsion, nanostrukturierten Oberflächen und Grenzflächen, der Funktionalität und Stabilität von Polymer/Oxid/Metall-Grenzflächen und In-situ optischer Spektroskopie an Grenzflächen und (Nano-) Biomaterialien beschäftigen.