Quantenforschung an der Universität Paderborn: Von den Grundlagen bis zur Anwendung
Quantentechnologien verändern unser Leben. Die Erforschung kleinster Energieteilchen – der sogenannten Quanten – rückt Möglichkeiten in greifbare Nähe, die lange undenkbar schienen. Neue Konzepte sollen Lösungen für große Herausforderungen unserer Zeit liefern: für komplexe Zusammenhänge im Bereich der Ressourceneffizienz als Teil der Energiewende, bessere Verkehrsströme dank Echtzeitdaten oder abhörsichere Kommunikation mittels Quantenverschlüsselung.
Die Quantenphysik stellt die Gesetze der Naturwissenschaft auf den Kopf. Obwohl sie eine der Säulen der modernen Physik ist, erscheint sie oft mysteriös: Man denke an verschränkte Teilchen, die eine Art Fernbeziehung führen, ihre Scheu gegenüber Messungen oder das gleichzeitige Vorhandensein mehrerer Zustände. Dabei spielt die Quantenphysik im alltäglichen Leben schon jetzt eine wichtige Rolle: von der Atomuhr über den Laser bis hin zur Magnetresonanztomografie (MRT) – all diese Erfindungen wären ohne sie nicht möglich gewesen.
Kleine Teilchen, große Wirkung
Um das große Ganze zu verstehen, begeben wir uns in die Welt der Kleinsten – der Photonen. Das sind Lichtteilchen, aus denen elektromagnetische Strahlung besteht. Sie bilden die Grundlage für eine Reihe von Quantentechnologien und gelten aufgrund ihrer speziellen Eigenschaften als Hoffnungsträger für eine Revolution in der Datenübertragung und -verarbeitung.
An der Universität Paderborn erforschen Wissenschaftler*innen die kleinen Energiepakete schon seit vielen Jahren. Im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Sonderforschungsbereichs (SFB) „Maßgeschneiderte nichtlineare Photonik“ arbeiten sie daran, neue Wege in der Informations- und Kommunikationstechnologie zu beschreiten – und zwar durch die Manipulation von Licht. Ziel des Verbundprojekts mit der Technischen Universität Dortmund ist es, die Datenübertragung durch Photonik sicherer und effizienter zu gestalten.
Photonen nach Maß
Die Arbeit mit Photonen bringt Herausforderungen mit sich. Noch sind gängige Quellen, die die kleinen Raritäten produzieren, relativ unpräzise. Da ihre gezielte Manipulation aber zu den wichtigsten Schlüsselelementen für Quantentechnologien gehört, ist (weitere) Grundlagenforschung auf dem Gebiet unerlässlich. Physiker*innen der Universität Paderborn arbeiten ständig daran, neuartige Konzepte für einzelne Photonen mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu entwickeln. Damit können sie die Form der Photonen, ihren Energiehalt und somit auch die Informationen, die sie übermitteln, beeinflussen. Konkrete Anwendung findet die Technologie beispielsweise in der Quantenkryptographie, bei der Daten mittels Lichtquanten übertragen und verschlüsselt werden.
Quantenforschung in Paderborn
Paderborn ist ein Standort für Quantenforschung auf Spitzenniveau. Dank ausgewiesener Expert*innen in verschiedenen Fachdisziplinen – neben Physiker*innen sind das insbesondere Informatiker*innen, Ingenieur*innen und Mathematiker*innen – laufen hier alle notwendigen Ressourcen zusammen, um Grundlagenforschung zu betreiben und deren Ergebnisse in die Anwendung zu bringen – Vorhaben, die die Quantenforschung in Deutschland und darüber hinaus entscheidend prägen und beschleunigen. An der Universität und insbesondere am Institut für Photonische Quantensysteme (PhoQS) verfolgen Wissenschaftler*innen der Physik, Mathematik, Elektrotechnik und Informatik das Ziel, ein national und international führendes Zentrum für photonische Quantentechnologien zu etablieren. Im Schwerpunkt „Photonisches Quantencomputing (PhoQC)“ haben es sich die Wissenschaftler*innen zur Aufgabe gemacht, einen interdisziplinären Ansatz zur Realisierung eines photonischen Quantencomputers zu entwickeln.
Licht mit Licht kontrollieren
Quantencomputer: Blick in die Zukunft
Die Paderborner Wissenschaftler*innen arbeiten außerdem daran, skalierbare Methoden zur Kontrolle von Quantensystemen für die nächste Generation von Rechnern zu entwickeln. Diese ermöglichen es, Quellen für einzelne Photonen mittels ultraschneller Elektronik präzise zu steuern. Interessant ist deren Erforschung aber auch deshalb, weil sie die Voraussetzung für etwas sind, an dem die großen Player der Technik- und IT-Branche arbeiten: Sie bilden die Grundlage für sogenannte Quantencomputer. Das sind spezielle Rechner, die im Vergleich zu klassischen Computern nicht mit Bits, sondern auf Basis quantenmechanischer Zustände arbeiten.
Quantencomputer gehören zu den zentralen Zukunftstechnologien des 21. Jahrhunderts – ihr Potenzial übertrifft selbst das der besten Superrechner. Als leistungsfähige Instrumente lösen sie komplexeste Rechenprobleme – Aufgaben, bei denen die klassische Hard- und Software an ihre Grenzen stößt.
In Paderborn werden künftig alle Schritte von der Grundlagenforschung zu neuen Quantenalgorithmen über große, komplexe Quantensysteme bis hin zu realen photonischen Quantennetzwerken für entsprechende Computing-Anwendungen vereint. Gemeinsam mit zahlreichen Partner*innen aus Wissenschaft und Industrie – bundes- und weltweit – entwickeln die Forscher*innen u. a. Chips für photonische Quantencomputer. Anwendungsfelder liegen zum Beispiel in der Chemieindustrie, der Biomedizin oder der Materialwissenschaft.
Photonen-Verschränkung: Fernbeziehung der besonderen Art
Forschende der Universität Paderborn haben erst vor Kurzem auf Basis sogenannter verschränkter Paare den ersten programmierbaren optischen Quantenspeicher entwickelt. Damit haben sie einen bedeutenden Schritt auf dem Weg hin zu nützlichen Quantentechnologien gemacht. In den Experimenten haben die Physiker*innen einen Quantenzustand so lange gespeichert, bis ein nächster erzeugt wurde – bislang stellte das eine kaum überwindbare Hürde dar. Die Arbeit könnte also den Grundstein für immer größere verschränkte Quantenzustände legen.
Verschränkte Systeme aus mehreren Quantenteilchen bieten entscheidende Vorteile, um Quantenalgorithmen zu realisieren. Anstatt eines einzelnen Zustands, der sich aus den Gegebenheiten eines Photons ergibt, entsteht ein Gesamtsystem aus mehreren Zuständen. Ein Zustand entspricht dabei einer Information, die übertragen bzw. weiterverarbeitet wird. Solche Systeme finden Einsatz in der Kommunikation, der Datensicherheit oder beim Quantencomputing.
Albert Einstein nannte es eine „spukhafte Fernwirkung“: kleinste Teilchen, die miteinander verbunden sind, obwohl sie teilweise tausende Kilometer voneinander trennen. Bei dem Phänomen der Verschränkung werden bestimmte Eigenschaften der Photonen miteinander gekoppelt. Konkret bedeutet das beispielsweise, dass aus einem Photon mit einem hohen Energiegehalt zwei Photonen mit jeweils der Hälfte der Ursprungsenergie entstehen. Diese beiden Teilchen, auch Photonenpaar genannt, sind miteinander verschränkt und haben die gleichen Eigenschaften. Sie werden quasi zu Zwillingen. Das macht sie zu besonders geeigneten Kandidaten für weitere Experimente und Anwendungen.
Forscher*innen für die Welt von morgen
Das Rennen um die Technologieführerschaft auf dem Gebiet der Quanten hat längst begonnen. Fachkräfte für dieses Zukunftsfeld zu qualifizieren und Anwendungen für die Wirtschaft und Großindustrie zu erschließen, ist dabei unerlässlich. Deshalb setzt die Universität Paderborn auf die Ausbildung einer neuen Generation ausgezeichneter Forscher*innen im Bereich Quantencomputing. Entsprechende Studienangebote sind bereits in mehreren Fachbereichen vorhanden. Durch den gezielten Zusammenschluss verschiedener Kernkompetenzen erschließen Paderborner Wissenschaftler*innen das Forschungsfeld des photonischen Quantenrechnens systematisch und erzeugen neue Synergien weit jenseits der Kapazitäten der einzelnen Disziplinen. Nahezu einmalig in der deutschen Forschungslandschaft ist dabei das Etablieren neuer Strukturen, was das Thema aus der Grundlagenforschung der Physik in die Forschungsaktivitäten der Informatik und Ingenieurwissenschaften überträgt.
Trotz allen Fortschritts: Der Weg bis hin zur tatsächlichen Realisierung anwendungsspezifischer Quantencomputer ist noch lang. Entscheidende Fragen sind bis dato offen und Lösungen oftmals nur in Ansätzen erkennbar. Das zu ändern, ist das zentrale Anliegen der Paderborner Wissenschaftler*innen.