GestEnTalker: Die prädiktive Rolle der präverbalen Gestenkommunikation für die Entwicklung von Sprache und präschulischen Kompetenzen: Eine Längsschnittuntersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Sprachentwicklungsverzögerung und Mehrsprachigkeit
Überblick
Ziel des Projektes ist die eingehende Untersuchung deklarativer Gesten als VorläuferfähigkeitderSprachentwicklung. Mit einer interdisziplinären Sicht auf das früheKommunikationsverhalten werden dabei Fragestellungen zu typisch entwickelten Kindern und zu sprachlichen Risikokindern (late talkers) verfolgt. Ausgehend von einem Modell der wird postuliert, dass die gestische Kommunikation von Kindern eine wissenserweiternde Bestätigung durch die Bezugsperson erfährt. Dabei wird der sukzessiven Familiarisierung mit der Kommunikationssituation eine wesentliche Funktion für den Erfolg der Wissensaneignung sowie die Inputqualität der Bezugsperson zugeschrieben. Es wird angestrebt,(1) den Einfluss der Familiarisierung mit der Kommunikationssituation auf die gestische und lautsprachliche Kommunikationsentwicklung der Kinder zu untersuchen. Des Weiteren soll die Rolle der gestischen Kommunikationals (2)Prädiktor für den späteren Spracherwerb und mögliche Spracherwerbsprobleme und (3) Auslöser des Verhaltens derBezugspersonen untersuchtwerden. 96monolingualdeutsch aufwachsende Kinder sollen dabei rekrutiert werden, um bei einem maximalendrop outvon 30% 72 Kinder längsschnittlich zwischen 12 und 30 Monaten untersuchen zu können.Für den angestrebten Vergleich von late talkersund unauffälligen Kindern werden gezielt Kinder in Extremgruppen (mit und ohne Risikofaktoren)rekrutiert. Bei derElizitierung der gestischenKommunikation kommen maßgeblich Methoden zur Anwendung, die sich in bisherigenStudien als erfolgversprechend erwiesen haben.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
Antragstellerinnen / Antragsteller Professor Dr. Ulf Liszkowski; Professorin Dr. Carina Lüke; Professorin Dr. Ute Ritterfeld; Professorin Dr. Katharina Rohlfing
Key Facts
- Grant Number:
- 222349122
- Laufzeit:
- 12/2012 - 12/2019
- Gefördert durch:
- DFG
Detailinformationen
Ergebnisse
In dem Projekt wurde die gestische Kommunikation, insbesondere die Verwendung deiktischer Gesten als (klinisch relevante) Vorläuferfähigkeit der Sprachentwicklung untersucht. Im ersten Projektzeitraum wurde in experimentellen und semi-natürlichen Versuchsanordnungen die gestische und lautsprachliche Entwicklung von 80 Kindern längsschnittlich im Alter von 12, 14, 16, 18 und 21 Monaten erfasst, differenziert analysiert und mit den sprachlichen Fähigkeiten im Alter von 2;0 und 2;6 Jahren in Beziehung gesetzt. Dabei wurde die prädiktive Kraft deiktischer Gesten für sprachliche Kompetenzen bis zum Alter von 2;6 Jahren festgestellt. Demnach haben Kinder, die im Alter von 12 Monaten noch nicht mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigen (Indexfingerpoint), ein deutlich höheres Risiko für eine Sprachentwicklungsverzögerung (SEV) als Kinder, die bereits mit 12 Monaten Indexfingerpoints produzieren. Es ergaben sich auch bis zum Alter von 18 Monaten noch Unterschiede in der Häufigkeit des Gebrauchs der deiktischen Gesten, die die Kinder mit SEV verglichen mit den sprachlich typischen Kindern im Alter von 18 Monaten insgesamt häufiger nutzten. Die Analysen der Teilstichprobe Bielefeld ergaben außerdem, dass sich Kinder mit unterschiedlichen Sprachentwicklungsverläufen auch darin unterscheiden, wie sie Zeigegesten mit lautsprachlichen Mitteln kombinierten: während die sprachlich typischen Kinder zwischen ihrem 14. und 16. Monat zunehmend häufiger Zeigegesten mit Wörtern nutzten, verwendeten die später sprachlich verzögerten Kinder im Verlauf eher häufiger Zeigegesten ohne lautsprachliche Mittel. Aus den Ergebnissen des ersten Projektzeitraums ergaben sich für den zweiten Projektzeitraum weiterführende Fragestellungen in Bezug (a) auf die Prädiktivität der Pointing-Gesten sowie möglicherweise auch anderer gestischer Kompetenzen für die Sprachentwicklung einsprachig aufwachsender Kinder, (b) darauf, ob diese Prädiktivität auch auf mehrsprachig aufwachsende Kinder zutrifft, und (c) auf den gestischen und lautsprachlichen Input der Bezugspersonen als mögliche Erklärung der Zusammenhänge sowie der Unterschiede zwischen den sprachlich typischen und verzögerten Kindern. Die Untersuchung der weiteren gestischen und sprachlichen Entwicklung der Kinder bis zum Alter von 6;0 Jahren am Standort Dortmund zeigte, dass die Verwendung des Indexfingerpoints im Alter von 12 Monaten prädiktiv für rezeptive und produktive Fähigkeiten im Bereich Lexikon und Grammatik sowie für das phonologische Arbeitsgedächtnis im Alter von 3;0, 4;0, 5;0 und 6;0 Jahren ist, und die Kinder mit SEV (n = 10) auch bis zum Alter von 6;0 Jahren in fast allen gestischen und sprachlichen Parametern schlechtere Ergebnisse als die typisch entwickelten Kinder erreichten. Für die Stichprobe der mehrsprachig aufwachsenden Kinder (n = 42) konnte ebenfalls festgestellt werden, dass die Kinder mit einer SEV (n = 10) deutlich seltener (30%) bereits mit 12 Monaten Indexfingerpoints in der Kommunikation einsetzten als sprachlich typisch entwickelte Kinder (75%). Ein Vergleich der Ergebnisse der mehrsprachigen Kinder zur einsprachigen Stichprobe zeigt jedoch auch, dass ein deutlich höherer Anteil der mehrsprachigen, sprachlich typisch entwickelten Kinder im Alter von 12 Monaten noch nicht mit dem Indexfinger zeigt (25%). Die weiteren Analysen des Inputs der Bezugspersonen adressierten zum einen das kontingente Antwortverhalten auf verschiedene gestische und multimodale Verhaltensweisen der Kinder, zum anderen Aspekte wie die dekontextualisierte Sprache und deren Zusammenhang mit den späteren sprachlichen Fähigkeiten der Kinder. Dabei zeigte sich in Bezug auf das kontingente Antwortverhalten für die Zeitpunkte 12 und 16 Monate, dass Bezugspersonen signifikant mehr verbale Antworten auf die Indexfingerpoints ihrer 12 Monate alten Kinder sowie auf deren Indexfinger-Wort-Kombinationen gaben als auf Handpoints, und diese Antworten auch mit späteren sprachlichen Fähigkeiten korrelierten. Vergleiche der Gruppe der Kinder mit SEV mit den sprachlich typischen Kindern zeigten im Alter von 14 Monaten Unterschiede im Antwortverhalten: die Bezugspersonen der sprachlich typischen Kinder äußerten mehr verbale Antworten pro Geste nach Indexfingerpoint-Wort-Kombinationen als die Bezugspersonen der sprachlich verzögerten Kinder. In Bezug auf die dekontextualisierte Sprache wurde festgestellt, dass frühe Formen dekontextualisierter Sprache bereits mit 12 Monaten im Input vorhanden sind und damit deutlich früher als bislang angenommen. (2019) Walking, pointing, talking - the predictive value of early walking and pointing behavior for later language skills. Journal of child language 46 (6) 1228–1237 Lüke, Carina; Leinweber, Juliane; Ritterfeld, Ute (Siehe online unter https://doi.org/10.1017/S0305000919000394) (2016). Effekte von Objekt- Familiarisierung auf die frühe gestische Kommunikation: Individuelle Unterschiede in Hinblick auf den späteren Wortschatz. 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