Die Predigten auf dem Konstanzer Konzil
Überblick
Die Predigten auf dem Konstanzer Konzil (1414-1418) versprechen wertvolle neue Erkenntnisse über diese Kirchenversammlung zu erbringen, wenn sie – was noch nicht geschehen ist – im Sinne einer Kulturgeschichte des Politischen untersucht werden. Es geht also nicht nur im Sinne bisheriger theologie- und geistesgeschichtlicher Forschung um konkrete Argumente und gelehrte Traditionen, sondern vielmehr um die Funktion von Predigten in der politischen Kommunikation auf dem Konzil, ihre Rolle bei politischen Verhandlungen und ihren Einsatz bei Entscheidungen. Ferner gilt es zu ermitteln, wie sie das Selbstverständnis des Constantiense und seiner Teilnehmer prägten sowie Rezeption und Nachwirkung des Konzils mitbestimmten.
Predigten in der historischen Forschung
Predigten stellten das einzige Massenmedium des Mittelalters dar. Nur sie boten vor der Erfindung des Buchdrucks die Möglichkeit, viele Menschen auf einmal zu erreichen, zu informieren, zu beeinflussen und für einen bestimmten Zweck zu mobilisieren. Aus gutem Grund setzten Kreuzzugsprojekte bis ans Ende des 15. Jahrhunderts zur Mobilisierung von Kreuzfahrern auf das Medium der Predigt, ja auf organisierte Predigtkampagnen. Gepredigt wurde an Fürstenhöfen, in Klöstern und in Städten, bei Konzilien und politischen Versammlungen, im alltäglichen Leben wie bei festlichen Anlässen. In einer Gesellschaft, die ihre grundlegenden Normen im Wesentlichen religiös begründete, war es die spezifische Aufgabe von Predigten, den Zuhörerinnen und Zuhörern unter Rückgriff auf die Bibel und die Grundsätze des christlichen Glaubens normative Orientierung zu bieten. Das betraf die alltägliche Lebensführung und das Wissen um die Inhalte des Glaubens, aber auch konkrete Ereignisse und Vorhaben.
Trotz ihrer Bedeutung werden Predigten in der Geschichtswissenschaft wenig behandelt, zumal in Deutschland. Aus positivistischer Sicht waren die Predigttexte unattraktiv, weil sie nur selten die gesuchten harten Fakten boten. So druckte Heinrich Finke, der Herausgeber der Konstanzer Konzilsquellen, zwar Predigten ab, aber oft nur jene Teile, die ihm für die Rekonstruktion konkreten Geschehens und konkreter Zustände von Belang schienen. Aus geistes- und theologiegeschichtlicher Sicht fanden und finden Predigten mitunter insoweit Interesse, wie sie es erlauben, gelehrte Traditionen und theologische Argumente aufzudecken. Darüber hinaus gibt es in der deutschen Forschung einzelne Beiträge über die Rolle von Predigten in politischen und zeremoniellen Zusammenhängen, z. B. über Kreuzzugspredigten bzw. Predigten am Avignonesischen Papsthof (Maier; Lützelschwab). Georg Strack verfasste eine Habilitationsschrift über „Reden und Predigten der Päpste (11.-14. Jh.)“.
Neue methodische Ansätze
Neue Ansätze, welche die Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten befruchtet haben, wurden auf Predigten noch nicht angewendet. Vor allem hat man sie noch nicht als wichtigen Teil der politischen Kultur im Spätmittelalter betrachtet. Bei diesem Ansatz einer Kulturgeschichte des Politischen geht es darum, dass Politik sowie ihre Institutionen und die Formen, in denen man sie treibt, nicht essenzialistisch als etwas Feststehendes betrachtet werden, sondern als Ausdruck und Erzeugnis von Sinnzuschreibungen, normativen Vorstellungen und Deutungen, worauf wiederum die Institutionen und Formen der Politik zurückwirken. Anders gesagt: Die Kulturgeschichte des Politischen rekonstruiert, worin für die Zeitgenossen die Sinnhaftigkeit politischer Akte lag.
Das Konstanzer Konzil und seine Predigten
Das Konstanzer Konzil drängt sich angesichts dieser Lage geradezu dafür auf, um an einem bedeutenden Beispiel die Bedeutung von Predigten im Sinne einer Kulturgeschichte des Politischen zu untersuchen. Als sich in Konstanz mehrere Hundert Geistliche sowie Fürsten und Gelehrte aus ganz Europa trafen, stand dieser heterogene Teilnehmerkreis vor vielen gravierenden Problemen. Es galt, das schon 36 Jahre währende Große Schisma zu beenden und die Einheit der Kirche wiederherzustellen, gegen Ketzer vorzugehen und in der Kirche Reformen anzustoßen. Um Lösungen dafür zu suchen und einen Konsens über die zu treffenden Maßnahmen zu erzielen, setzten die Konzilsväter auf Kommunikation. Gut erforscht sind die vielen Traktate, die insbesondere zu Fragen der Ekklesiologie, der Rechte des Konzils und der Kirchenreform Stellung nahmen.
Wenig beachtet wurden hingegen die rund 330 Predigten, die belegt sind. Bei etwa der Hälfte liegt ein handschriftlicher Text vor. Es handelt sich um lateinische „sermones ad clerum“. Dieses Material ist durch Vorarbeiten gut erfasst (Acta Concilii Constantiensis, hg. v. Finke; Schneyer; Kreuzer.) Vor allem erarbeiteten Chris Nighman und Phillip Stump einen Katalog von Konzilspredigten, der 2007 im Internet in Form von pdf-Dateien veröffentlicht wurde. Der Bearbeiter des Projekts wird das Material mit der Zustimmung von Nighman und Stump demnächst in Form einer Datenbank veröffentlichen. Das vorliegende Projekt kann sich daher weitgehend auf die Materialauswertung konzentrieren.
Key Facts
- Laufzeit:
- 07/2020 - 12/2023