Wann wurde der Baum ein „Fremder“? Fremdländerversuchsanbau und Ko-Konstruktionen der Alterität in Spanien und Deutschland im langen 19. Jahrhundert

Überblick

Eine der größten Forschungsinvestitionen des Preußischen Staats Ende des 19. Jahrhunderts erfolgte nicht in Kohle und Stahl, sondern in Holz und Bäume. 1880 wurde auf Geheiß Otto von Bismarcks mit den großflächigen Versuchen mit sogenannten „Fremdländerbäumen“ begonnen. Im Sinne einer kulturhistorischen und von den Digital Humanities inspirierten Technik- und Umweltgeschichte fragt die Arbeit nach den Ko-Konstruktionen zwischen kulturellen Konnotationen des Fremden und dem experimentell-wissenschaftlich-technischen Umgang mit Bäumen („fremde“ bzw. “andere“ Bäume als Technik) in transnationaler Verflechtung. In einem zweiten Schritt soll untersucht werden, welche Konsequenzen diese Ko-Konstruktionen für die nachfolgende Nutzung der Bäume in beiden Staaten hatten. Der Schwerpunkt liegt auf dem experimentellen Anbau und den Umgang mit bewusst aus dem Ausland importierten Bäumen in Versuchsstationen und deren Verbreitung in den Wiederaufforstungsprogrammen der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert, um Aussagen über gesellschaftliche Vorstellungen von Fremdheit zu dekonstruieren.

Der Untersuchungszeitraum reicht von 1870/71, dem Beginn des forstlichen Versuchswesens in Preußen und Spanien, bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Forstwissenschaftler:innen, Adelige und Gärtner:innen führten bereits vor 1871 Experimente mit „fremden“ Baumarten durch, wie die bisherige Forschung betont. Deswegen wird diese Vorgeschichte des Fremdländerversuchsanbaus knapp mitberücksichtigt. Das Projekt konzentriert sich auf die Forschung in forstlichen Versuchsstationen, vor allem Eberswalde in Preußen und der Escuela Técnica Superior de Ingenieros de Montes nahe Madrid in Spanien. Im Mittelpunkt stehen die beiden verbreitetsten „fremdländischen“ Baumarten in den jeweiligen Untersuchungsregionen: Erstens die Douglasie (Pseudotsuga menziesii) im Deutschen Reich bzw. Preußen, der „Paradebaum“ unter den „ausländischen“ Baumarten in Preußen, und zweitens der Eukalyptus (Eucalyptus camaldulensis) im Spanischen Königreich. Letzterer wurde ab 1870 in zahlreichen Regionen Spaniens angebaut, insbesondere unter dem Diktator Francisco Franco nach Ende des Spanischen Bürgerkriegs, sodass er die heute am weitesten verbreitete fremdländische Baumart in Spanien darstellt. Seine Geschichte als Heilpflanze bietet zudem die Möglichkeit, eine rein ökonomisch orientierte Perspektive des „Fremdländeranbaus“ als Holzproduktion mit alternativen Nutzungsformen zu kontrastieren. Die Befunde zu Douglasie und Eukalyptus werden dabei auch in den Import und Anbau in anderen europäischen Ländern mit „anderen“ Baumarten und den Umgang mit ihnen eingeordnet.

Der Endpunkt Mitte des 20. Jahrhundert wurde gewählte, da sich erstens in beiden Ländern mit der Machtergreifung der Faschisten die politischen Rahmenbedingungen derartig änderten, dass sich insbesondere der kulturelle Diskurs, das heißt die verwendete Sprache, die mentalitätshistorische Einstellung gegenüber „Anderen“ und dem „Fremden“ und die Handlungen gegenüber dem „Fremden“, radikalisierte. Aber auch umwelthistorisch lässt sich eine Zäsur ausmachen, die den forstwissenschaftlichen Diskurs veränderte: 1925 trat in Preußen erstmals die „Rußige Douglasienschütte“ auf, nachdem der Pflanzenpilz P. gaeumannii der Douglasie aus Amerika „nachgefolgt“ war. Anfang der 1930er-Jahre häuften sich die Publikationen, die sich an eine Schadbestimmung machten, was zu einer Neubewertung der Douglasie führte – die begonnenen „Fremdländerversuche“ wurden allerdings weitergeführt. In Bezug auf Kalamitäten in den spanischen Eukalyptuspopulationen geht die Fachliteratur bisher davon aus, dass diese fast 100 Jahre, also bis in die 1970er-Jahre, ohne Bedrohung blieben – was ihren Erfolg ausmachte. In Bezug auf eine Binnenzäsur um 1930 wäre zudem zu überprüfen, ob in den Aufforstungsprogrammen beider Staaten unter den jeweiligen faschistischen Diktatoren ebenfalls ein qualitativer Unterschied zu erkennen ist. Eventuell ist es aber auch sinnvoll, den Zeitraum um die Zeit der Diktaturen bis 1945 zu erweitern, um so die langen Linien der Diskurse um den „Fremdländeranbau“ und die Wiederaufforstung in den Blick zu nehmen – zumal der Fakt, dass in beiden Ländern schließlich faschistische Diktaturen mit einem spezifischen Natur-, Identitäts- und Fremdheitsverständnis an die Macht kamen, jenseits der ursprünglich föderal organisierten, relativ jungen Nationalstaaten eine weitere Vergleichsebene bietet.

Die Relevanz des Themas unterstreicht, dass die „Fremdländerversuche“ in Preußen einen großen Umfang einnahmen und als eine große Forschungsinvestition des Deutschen Reiches ausgemacht werden können. Eine besondere Pointe des Themas ist es aber, dass die Douglasie und andere „fremde Baumarten“ in Deutschland nur etwa zwei Prozent der Waldfläche ausmachen. Während also der wissenschaftliche Diskurs durch die deutsche Forstwissenschaft stark propagiert wurde, hielt sich die Umsetzung der genannten Maßnahmen aus Gründen, die zu erforschen sind, relativ stark zurück.

Auch in Spanien besaßen die Versuche eine hohe kulturelle Sprengkraft und werden bis heute breit diskutiert. Das liegt auch daran, dass durch diese Versuche „fremde“ Arten in die „heimatliche“ Flora eingeführt wurden – ein Prozess, dessen Konsequenzen keineswegs abgeschätzt werden konnten. Eingeführte Baumarten konnten sich im Nachhinein als „invasiv“ entpuppen, also der heimischen Flora die Lebensgrundlage streitig machen und nur schwer wieder entfernt werden.

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Laufzeit:
10/2023 - 10/2028

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Dr. Martin Schmitt

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