„‚­Being Tag­ge­d‘: Die di­gi­ta­le Neu­ord­nung der Welt“

 |  Forschung

Forschungsprojekt unter Paderborner Leitung untersucht Chancen und Herausforderungen chiploser RFID-Technologie

RFID-Technik („Radio-Frequency Identification“, deutsch: „Funkerkennung“) bleibt in unserem Alltag häufig unsichtbar und doch ist sie fast überall: Die Chips finden sich u. a. in Ausweisen, Fahrzeugen, Kleidung, der Umwelt, in Tieren und manchmal auch in Menschen. Auf diesen Chips werden Informationen wie z. B. Produktionsdaten, Lieferketten und Preise, Namen, Geburtsdaten oder biometrische Merkmale gespeichert. Durchgesetzt hat sich in den vergangenen Jahren aber auch eine neue Technik, die es ermöglicht, RFID-Tags ohne Chips herzustellen und diese kostengünstig an fast jedem Objekt anzubringen.

Zur Untersuchung dieser Technologie hat sich ein interdisziplinärer Forschungsverbund zwischen Mediensoziologie, Science & Technology Studies (STS) und Elektrotechnik zum Ziel gesetzt, ein Gesamtbild der Chancen, Herausforderungen und Konfliktszenarien allgegenwärtiger chiploser RFID-Anwendungen zu erstellen. Dafür analysieren die Forschenden systematisch die gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftstheoretischen Bedeutungen der massenhaften Anwendung chiploser RFIDs. Das auf zwei Jahre angelegte Forschungsprojekt „UbiTag“ startete im Juli und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 300.000 Euro gefördert. Es läuft unter der Leitung von Prof. Dr. Jutta Weber vom Institut für Medienwissenschaften an der Universität Paderborn und ihrer wissenschaftlichen Mitarbeiterin Jasmin Troeger in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Daniel Erni aus dem Fachgebiet Allgemeine und Theoretische Elektrotechnik (ATE) der Universität Duisburg-Essen.

Kostengünstige Alternative zu verbreiteter Technologie
 

„Das radikale Innovationspotenzial der chiplosen RFID-Technologie wurde bisher nicht erkannt, da sie fälschlicherweise meist nur als marginale Weiterentwicklung einer etablierten Technologie wahrgenommen wird. Jedoch trägt sie maßgeblich zu einer neuen Qualität der digitalen Inventarisierung der Welt bei“, erklärt Weber. Die Herstellungskosten chiploser, druckbarer Funketiketten belaufen sich auf weit unter einem Cent pro Stück, wodurch sie eine deutlich günstigere Alternative zu Modellen mit Chip darstellen. „Dadurch werden sie zur wichtigsten Ersatztechnologie für den derzeit verbreiteten optischen Barcode, welcher sich – im Gegensatz zur Funketikette – nur über eine direkte Sichtverbindung einzeln ablesen lässt“, so Emi.

Chancen und Risiken druckbarer RFID-Tags
 

Die zunehmende Digitalisierung und Inventarisierung unserer Welt hat große gesellschaftliche und politische Folgen: Sie ermöglicht neue Formen der sozialen Steuerung wie etwa Überwachung oder Verhaltensvorhersagen, aber auch neue Wissensformen durch die Klassifizierung und Datafizierung von Organismen und Objekten. Dabei wird das Möglichkeitsspektrum für die Zuordnungen und Kategorisierungen durch druckbare RFID-Tags wesentlich erweitert.

Mithilfe des neuen Identifikationscodes kann die physikalische (Waren-)Welt umfassend durchnummeriert werden, es könnte also jeder materielle Gegenstand individualisiert, identifizierbar sowie verfolgbar und auf diese Weise mit einer auslesbaren individuellen Historie versehen werden. So wird beispielsweise aus einer Shampoo-Flasche im Mülleimer nun die Flasche Shampoo, gekauft von Max Mustermann am 12.03.2021 um 15:43 Uhr, für 3,95 Euro in der Muster-Drogerie, Musterstraße 1, Musterstadt.

Im Diskurs zu den gesellschaftlichen Effekten von RFID lassen sich grob zwei Schwerpunkte ausmachen: Auf der einen Seite bietet die Technologie Potenzial für logistische und betriebswirtschaftliche Organisationsprozesse, andererseits birgt sie Risiken für die Privatsphäre und den Datenschutz. „Die Aussicht auf deutlich günstigere und flächendeckend verteilte RFID-Tags lässt auf eine neue Qualität an Überwachung und Verhaltensprojektion schließen. Im Projekt wollen wir diesen Diskurs mit einer umfangreichen Bestandsaufnahme potenzieller Entwicklungen und Konsequenzen von druckbaren RFIDs erweitern und die Basis für eine breite gesellschaftliche Debatte schaffen, die im Anschluss partizipative Verfahren ermöglicht“, verdeutlicht Weber die Ziele.

Forschungsergebnisse verständlich vermitteln
 

Um die Basis für eine breite gesellschaftliche Debatte zu schaffen, werden die Forschungsergebnisse auf der projekteigenen Webseite, den Social-Media-Kanälen und in wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht. Die beteiligten Forschenden und eingeladene Wissenschaftler*innen erklären wichtige Aspekte von druckbaren allgegenwärtigen RFIDs darüber hinaus kurz und verständlich in Mini-Interviewclips, die voraussichtlich im Sommer 2023 auf einer eigenen Webseite erscheinen werden. Zudem bezieht das Projektteam extra beauftragte Science-Fiction-Geschichten in ihre Forschung ein. Diese Geschichten sollen das abstrakte Thema allen Interessierten nicht nur in einem englischsprachigen Sammelband, sondern auch via Podcasts näherbringen.

Foto (Shutterstock/andreynikolaev.com): Chiplose RFID-Tags funktionieren ohne Kommunikationsprotokoll. Sie verwenden ein Gitter von sogenannten Dipolantennen, die aus zwei geraden Metallstäben oder Drähten bestehen.

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