Die Abgabefrist naht, unliebsame Aufgaben wie wissenschaftliche Ausarbeitungen, Steuererklärungen oder Präsentationen werden aufgeschoben – nicht nur Studierende kennen das Problem mit der sogenannten Prokrastination. Ein neues Forschungsprojekt der Universität Paderborn sagt der „Aufschieberitis“ jetzt den Kampf an: Das auf drei Jahre angelegte Vorhaben „Leichtfüßig und nachhaltig – Entwicklung und Evaluation eines ressourcenorientierten Programms gegen akademische Prokrastination“ zielt darauf ab, dem Phänomen präventiv entgegenzuwirken und Prokrastination bei Studierenden zu reduzieren. Im Zentrum steht die Entwicklung eines Programms, das auf einem für das Forschungsgebiet neuen Ansatz basiert. Das Gesamtvolumen beläuft sich auf ca. 248.000 Euro, finanziert durch zentrale Qualitätsverbesserungsmittel der Universität und mit finanzieller Unterstützung durch die Techniker Krankenkasse (TK).
Leistung und Wohlbefinden leiden
„Prokrastination ist die wissenschaftliche Bezeichnung für das Aufschieben von Tätigkeiten trotz des Wissens um negative Konsequenzen. Im akademischen Kontext ist dieses Verhalten besonders weit verbreitet und kann bei Studierenden mit Leistungseinbußen bis hin zu Problemen der physischen und psychischen Gesundheit einhergehen“, erklärt Prof. Dr. Katrin Klingsieck vom Fach Psychologie, die das Vorhaben leitet. Die Wissenschaftlerin ist Expertin, wenn es um das Thema Prokrastination geht: „Fast jede Studentin, jeder Student kennt Prokrastination von sich. Drei Viertel beschreiben es sogar als eine für sie typische Gewohnheit“. Bereits 2017 hat Klingsieck deshalb die uniinterne Beratungsstelle „ProLernen“ ins Leben gerufen, die ein breites Spektrum an Hilfsangeboten (Beratung, Gruppen, Trainings etc.) anbietet. Laut der Wissenschaftlerin resultiert die Gewohnheit bei der Hälfte der Studierenden in teilweise massiven Einbußen an Leistung und Wohlbefinden. „Häufig bleiben die Studierenden hinter ihrem eigentlichen Potential zurück und können selbst ihre Freizeit nicht mehr richtig genießen, weil das schlechte Gewissen ein ständiger Begleiter geworden ist“, so Klingsieck. Der Wunsch nach Hilfe sei groß.
Die TK will mit ihrem Engagement ihre Präventionsangebote im Settingansatz „Gesunde Hochschule" ausbauen. „Wenn sich das Projekt an der Uni Paderborn bewährt und bei den Studierenden nachhaltige Erfolge zeigt, planen wir einen bundesweiten Roll-Out. Dann hat das Forschungsprojekt Pionierarbeit geleistet", so Joachim Schröer, Gesundheitsmanager bei der TK in Nordrhein-Westfalen.
Dennis Kehne, Mitarbeiter im Hochschulsport und verantwortlich für das Studentische Gesundheitsmanagement der Universität, freut sich auf das Projekt: „Aus zahlreichen Untersuchungen wissen wir, dass Prokrastination bei den Studierenden ein wichtiges Thema ist. Durch das neue Forschungsprojekt bekommen wir wertvolle Impulse für das Studentische Gesundheitsmanagement an unserer Hochschule.“
Bewusstes und Unbewusstes miteinander kombinieren
Das Programm, das die Wissenschaftler*innen um Klingsieck entwickeln, wird auf Basis des sogenannten Zürcher Ressourcen Modells (ZRM) konzipiert. Die Interventionsstudie verfolgt damit einen für die Prokrastinationsforschung neuen Ansatz. ZRM-Trainerin und Gesundheitswissenschaftlerin Tamara Schneider, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt, erläutert die Ausrichtung: „Das ZRM ist ein motivationspsychologisches Selbstmanagementtraining, das bereits in den 90er Jahren von Dr. Maja Storch und Dr. Frank Krause für die Universität Zürich entwickelt wurde. Das Besondere am Training ist, dass neben dem bewussten Handlungswunsch auch die unbewussten Bedürfnisse Berücksichtigung finden.“ Bisherige Studienergebnisse bestätigen dem Projektteam zufolge, dass diese Verknüpfung zu einer deutlichen Stressreduktion beitragen kann. Klingsieck: „In aktuellen Anti-Prokrastinations-Trainings wird das Unbewusste nicht berücksichtigt, weswegen die Angebote kaum anhaltende Effekte haben. Das neue Programm soll das Veränderungspotential der Teilnehmerinnen und Teilnehmer voll ausschöpfen und so zu einer nachhaltigen Verhaltensänderung führen.“
Das Forschungsteam arbeitet eng mit dem Institut für Motivation und Selbstmanagement Zürich (ISMZ) zusammen. Am Ende soll ein innovatives und evidenzbasiertes Programm gegen Prokrastination entstehen, das im Rahmen von ProLernen sowie in das Studentische Gesundheitsmanagement der Universität Paderborn eingebunden wird und perspektivisch auch an anderen Universitäten Anwendung finden kann. Mit dessen Fertigstellung rechnen die Wissenschaftler*innen im August 2024.