Britische Streitkräfte in Deutschland sind nicht erst seit dem Brexit ein viel beachtetes Thema. Spätestens mit Beginn des Abzugs aus den Regionen der Bundesrepublik ist auch ihre Bedeutung für die lokale Bevölkerung und umgekehrt deren Einfluss auf die Briten zunehmend in den Fokus gerückt. Ein Projekt der Universität Paderborn, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund 300.000 Euro gefördert wird, soll dazu jetzt neue Erkenntnisse liefern. Start des auf drei Jahre angelegten Vorhabens war der 1. März.
„Das DFG-Projekt folgt auf die Ausstellungen „Briten in Westfalen“ der Stadt Paderborn und „Briten in Nordrhein-Westfalen“ des Landtags NRW in Düsseldorf“, sagt Dr. Bettina Blum vom Historischen Institut der Universität Paderborn, die die Ausstellungen konzipiert hat und das Vorhaben leitet. „Dadurch haben wir schon viel Vorarbeit geleistet, die dabei hilft, die wechselseitigen Beziehungen genauestens zu erforschen“, so Blum weiter. Konkret geht es bei dem Projekt um soziale und kulturelle Auswirkungen, die die Stationierung britischer Truppen in Deutschland über drei Generationen hinweg sowohl auf die etwa zwei Millionen Angehörigen der britischen Streitkräfte als auch auf die lokale Bevölkerung in Nordwestdeutschland hatte.
Inhaltlich geht die Historikerin vor allem der Frage nach, in welchem Verhältnis die britischen Militärgemeinden zur lokalen Bevölkerung in den Garnisonsstädten standen. „In erster Linie geht es dabei um Vorstellungen und Bilder von den jeweils „Anderen“, welche Probleme es gab, aber auch welche Möglichkeiten der Begegnung wie und von wem genutzt wurden“, führt die Wissenschaftlerin aus. Auch die Familienangehörigen und Zivilangestellten der britischen Streitkräfte spielen eine wichtige Rolle: Sie haben laut Blum die Orte, an denen die Soldaten stationiert waren, entscheidend mitgeprägt und viele Kontakte geknüpft.
Private Quellen besonders wichtig, Interessierte können sich melden
Neben Quellen aus deutschen und britischen Archiven arbeitet Blum zu einem großen Teil mit privatem Material: Interviews mit Zeitzeug*innen, private Fotos und Dokumente sollen Auskunft über das deutsch-britische Verhältnis geben. Dazu Blum: „Diese privaten Perspektiven sind besonders wichtig, denn sie verdeutlichen, wie die Lebenswirklichkeit von Deutschen und Briten aussah, wie politische oder militärische Maßnahmen empfunden und wie Begegnungen konkret gestaltet wurden“.
Bisher haben sich rund 400 Menschen am Projekt beteiligt – Deutsche und Brit*innen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Berufe. Manche haben die Besatzungszeit erlebt, andere die Stationierung von Truppen. Die Erfahrungen von Soldat*innen, Schulkindern, Ehefrauen, Lehrer*innen, deutsch-britischen Paaren oder Freundeskreisen, Zivilist*innen, Demonstrant*innen, aber auch von Kneipenbetreiber*innen, Bürgermeister*innen, Verbindungsoffizieren und vielen anderen sind gefragt und bringen zentrale Perspektiven in das Projekt ein. Personen, die im Zuge der weiteren Recherchen von ihren Erfahrungen berichten oder anderes Material wie zum Beispiel Fotos teilen möchten, können eine Mail an bettina.blum@uni-paderborn.de schicken.
Bei dem Projekt soll die gesamte britische Zone, d. h. alle Orte in Deutschland, an denen die Briten stationiert waren, im Zeitraum von 1945 bis zum Truppenabzug untersucht werden. Sowohl deutsche als auch britische Perspektiven sind dabei von Interesse. Erste Ergebnisse werden für Anfang 2021 erwartet.
Nina Reckendorf, Stabsstelle Presse und Kommunikation