Informatiker erforscht Entwicklung von Quantencomputern
Sie könnten unsere herkömmlichen PCs alt aussehen lassen und sollen Probleme lösen, an denen selbst die besten Superrechner bislang scheitern: Quantencomputer. Große Tec-Unternehmen wie Google, IBM und Microsoft liefern sich aktuell einen Wettkampf um die Entwicklung der Megarechner. Doch Quantencomputer sind schwer zu bauen und zu programmieren. Jun.-Prof. Dr. Sevag Gharibian, Quanteninformatiker an der Universität Paderborn, möchte mit einem neuen Forschungsprojekt einen Beitrag zum besseren Verständnis der neuen Superrechner leisten und untersuchen, wie sich mithilfe von Quantensystemen die physikalischen Eigenschaften und Prozesse der Natur berechnen lassen. Sein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 273.800 Euro gefördertes dreijähriges Projekt startete Anfang des Jahres.
Forschung in der Welt des Allerkleinsten
„In der Quanteninformatik arbeiten wir daran, die nächste Computergeneration zu bauen. Heutige Rechner basieren auf der klassischen Mechanik und rechnen mit Bits. Quantencomputer dagegen funktionieren auf Basis der Quantenmechanik und rechnen mit Quanten-Bits, meist Qubits genannt“, erklärt Sevag Gharibian. Während die klassische Mechanik mathematisch beschreibt, wie groß oder makroskopisch sich Objekte verhalten, widmet sich die Quantenmechanik der Welt des Allerkleinsten: Sie untersucht die mathematischen Gesetze, die bestimmen, wie klein oder subatomar Objekte wie Photonen, also winzige Lichtteilchen, agieren.
„Durch die Gesetze der Quantenmechanik wissen wir heute, dass sich subatomare Objekte wie Photonen oder Elektronen komplett anders verhalten als ihre Gegenstücke in der klassischen Mechanik. Nehmen wir ein klassisches Objekt, etwa einen Tennisball in Bewegung: Er kann nur an einem Ort sein und einen Zustand annehmen. Kleine Objekte wie Elektronen dagegen können gleichzeitig an verschiedenen Orten und in verschiedenen Zuständen existieren“ führt Gharibian aus.
Für die Welt der Computer bedeutet das: Im Chip eines normalen PCs wird ein Bit durch einen Prozessor, ein klassisches Objekt, modelliert. Durch den Prozessor fließt entweder Strom oder nicht. Bei „Strom an“ nimmt das Bit den Zustand 1 an, bei „Strom aus“ den Zustand 0. Im Quantencomputer dagegen ist der Prozessor durch beispielsweise ein Elektron, ein subatomares Objekt, ersetzt. Das Bit wird dann durch das Elektron modelliert, Teil des Elektrons und zum Qubit. Das Qubit kann wie das Bit den Zustand 1 oder 0 annehmen – aber auch gleichzeitig im Zustand 1 und 0 sein sowie in theoretisch unendlichen Zuständen dazwischen.
Quantencomputer könnten wesentlich schneller rechnen als bisherige Computer
Genau diese auf den ersten Blick schwer greifbare Fähigkeit der Qubits macht Quantencomputer schneller und leistungsfähiger als bisherige Rechner: Für die gleiche Berechnung benötigen sie wesentlich weniger Zeit. „In einem aktuellen Computer können zwei Bits immer nur eine Zahl auf einmal darstellen – in einem Quantencomputer dagegen kann bereits ein Qubit unendlich viele verschiedene Zustände annehmen und das gleichzeitig“, beschreibt Gharibian.
„Quantencomputer nutzen außerdem das quantenphysikalische Phänomen der Verschränkung“, erzählt der Informatiker. So können Qubits quantenverschränkt, also miteinander verknüpft sein. Wird ein Qubit in einen bestimmten Zustand gebracht, ändert sich auch der Zustand der anderen mit ihm verbundenen Qubits. Das geschieht mit Überlichtgeschwindigkeit. Wenn mehrere Qubits miteinander quantenverschränkt sind, kann auch der Quantencomputer mit Überlichtgeschwindigkeit und damit deutlich schneller als aktuelle Computer rechnen.
Big Data, Medizin oder Datenschutz: Quantencomputer als vielfältige Helfer
Die Quantencomputer könnten künftig im Bereich Big Data eingesetzt werden, über Verschlüsselungsmechanismen für mehr Datensicherheit sorgen, aber auch helfen, physikalische Prozesse zu simulieren, die in der Natur vorkommen. Gharibian: „Quantencomputer sind derzeit zum einen für die Verarbeitung großer Datenmengen und im Bereich der Kryptographie, der Wissenschaft der Verschlüsselung von Informationen, interessant – beispielsweise mit dem sogenannten Shor-Algorithmus, der Mittel der Quanteninformatik nutzt. Zum anderen könnten uns Quantencomputer dabei unterstützen, die Eigenschaften der Materie besser zu verstehen. Dadurch ließen sich etwa neue Medikamente entwickeln und neuartige Nanomaterialien designen.“
Bislang ist allerdings vieles Zukunftsmusik, denn die Entwicklung der Quantencomputer steckt noch in den Kinderschuhen. „Die Forschung zu Quantencomputern setzte intensiv Mitte der 1990er Jahre ein – mit Peter Shors Quantenfaktor-Algorithmus, der Schwachstellen bei der Verschlüsselung von Daten offenbarte. Bisher haben Tec-Firmen wie Google und Spezialunternehmen wie IonQ erste Quantencomputer mit unterschiedlichen Technologien und Leistungen von 50 bis 100 Qubits entwickelt“, so Gharibian.
Grundlagenforschung im „Quantum Computing Lab“
Was die Entwicklung von Quantencomputern so kompliziert macht: Da sie nach anderen Gesetzen funktionieren als bisherige Rechner, braucht es neue Programmiermethoden. Und: Sie müssen aufwändig auf extrem niedrige Temperaturen heruntergekühlt werden. Hier kommt Sevag Gharibians Forschungsprojekt ins Spiel: „In unserem Projekt wollen wir Algorithmen und mathematische Beweise für Computerprobleme entwickeln, die bei mit Tiefsttemperaturen arbeitenden Quantensystemen auftreten“, erläutert der Wissenschaftler. Ein zentrales Problem bei der Entwicklung von Quantencomputern sei es beispielweise, die Energie eines Quantensystems, das auf den absoluten Nullpunkt heruntergekühlt ist, zu berechnen, so Gharibian. Bisherige Ansätze der sogenannten theoretischen Informatik seien hier nicht effizient genug.
Gharibian wendet daher in seinem „Quantum Computing Lab“ an der Universität Paderborn verschiedene Methoden der theoretischen Informatik und der Mathematik an: „Wir setzen etwa Techniken der Algorithmen- und der Komplexitätstheorie ein, zwei Teilgebieten der theoretischen Informatik, und aus der Mathematik vor allem lineare Algebra und algebraische Geometrie“, führt der Informatiker aus. Besonders interessant für ihn ist die sogenannte Hamiltonianische Komplexität: „Dieses Spezialgebiet der theoretischen Informatik hilft uns zu verstehen, wie sich Quantensysteme verhalten, die mit Tiefsttemperaturen arbeiten.“
Zur Quantenüberlegenheit ist es wohl noch ein weiter Weg
Im Herbst 2019 sorgten Google-Forscher mit einem Artikel in der Fachzeitschrift „Nature“ für Aufsehen. Sie behaupteten, mit Googles Quantenprozessor „Sycamore“ erstmals die sogenannte Quantenüberlegenheit demonstriert zu haben. Bei der Quantenüberlegenheit ist ein Quantencomputer in der Lage, ein komplexes Problem weitaus schneller zu lösen als derzeitige mit Bits rechnende Supercomputer. Laut Google soll „Sycamore“ für eine Berechnung rund 200 Sekunden gebraucht haben – IBMs „Summit“, der aktuell schnellste Superrechner der Welt, hätte dafür weitaus länger gebraucht. Sevag Gharibians Einschätzung: „Ob es Google wirklich gelungen ist, die Quantenüberlegenheit nachzuweisen, ist unklar. IBM behauptete, dass sein Superrechner mit etwas Optimierung fast die gleichen Resultate erzielen könne wie Googles Quantencomputer. Bislang hat IBM das aber nicht nachgewiesen. In jedem Fall sollten wir uns bewusstmachen: Klassische Computer wurden jahrzehntelang enorm weiterentwickelt. Auf absehbare Zeit werden sie Quantencomputer wahrscheinlich noch übertreffen.“
Quantencomputer werden bisherige Computer also so schnell nicht ersetzen. Wann und wie genau sie eines Tages eingesetzt werden, ist noch vollkommen offen. Sevag Gharibian möchte mit seiner Forschung dazu beitragen, dass wir die Superrechner der Zukunft besser verstehen können.
Weitere Informationen zur Forschung von Sevag Gharibian: http://groups.uni-paderborn.de/fg-qi
Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation