Themenspecial „Künstliche Intelligenz“
Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Wissenschaftsjahr dreht sich 2019 alles um das Thema Künstliche Intelligenz (KI). Schon heute bestimmen Anwendungen, die auf Digitalisierung und Maschinellem Lernen beruhen, weite Bereiche unseres Lebens: Von virtuellen Assistenzsystemen über Industrieroboter bis hin zu humanoiden Pflegekräften – die intelligenten Maschinen nehmen uns viel Arbeit ab. Wie diese Systeme funktionieren und welche gesellschaftlichen Implikationen es dabei gibt, erörtern Paderborner Wissenschaftler*innen im Rahmen eines Themenspecials. Dabei liegt der Fokus auf ihrer Forschung, mit der sie die Entwicklung mitgestalten.
Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Oliver Müller über Einsatzgebiete Künstlicher Intelligenz
Vor zwei Jahrhunderten hat die Industrialisierung die Gesellschaft grundlegend verändert. Heute findet im Zuge der Digitalisierung eine ähnlich große Umbruchphase statt. Hauptsächliche Katalysatoren: Systeme, die auf Basis Künstlicher Intelligenz (KI) arbeiten. Von Kreditbeurteilungen über die Preisbestimmung von Wohnungen bis hin zur Bewertung eines Burgers anhand von Fotos – Wie Unternehmen und Endverbraucher davon profitieren können und welche Konsequenzen damit verbunden sind, erklärt Prof. Dr. Oliver Müller, Wirtschaftsinformatiker an der Universität Paderborn.
Maschinen lernen ähnlich wie Menschen
„Maschinelles Lernen“, so der Fachausdruck, ist die Methode, auf die eine KI zurückgreift, um auf Basis von Daten Entscheidungen zu treffen. Im Idealfall soll sie logische Zusammenhänge herstellen können. Oliver Müller: „Ich vergleiche Maschinelles Lernen gerne mit der Art und Weise, wie wir Menschen, vor allem im Kindesalter, lernen, nämlich anhand von Beispielen. Angenommen es geht darum, die Unterschiede zwischen einem Hund und einer Katze zu erkennen. So zeigt man sowohl dem Kind als auch dem Algorithmus möglichst viele Beispiele beider Tiere. Das Pärchen von Problem und Antwort, also das Bild eines Tieres und die korrekte Bezeichnung, wird vorgegeben, in der Hoffnung, dass der Algorithmus bzw. das Kind dazu in der Lage ist, irgendwann Unterschiede zu finden, ohne die Antwort vorgeben zu müssen.“ Wie schnell ein solcher Lernprozess aber zum Erfolg führt, hängt laut Müller davon ab, wie groß die Unterschiede zwischen den vorgegebenen Beispielen seien und wie gut die Datengrundlage ist.
In der wirtschaftlichen Praxis findet diese Methode z. B. bei Kreditbeurteilungen Anwendung: „Ich zeige dem Algorithmus hier viele Kreditanträge einer Bank und ob der Kunde in der Lage war, die Zinsen und Tilgungen zu zahlen“, erzählt Müller und betont: „Das heißt, dass ich den Kunden und den Kredit anhand von Daten beschreiben muss. Der Computer braucht Beispiele, in denen das mit den Rückzahlungen gut geklappt hat und welche, bei denen die Hypothek nicht zurückgezahlt wurde.“ Im Idealfall würde dieses sogenannte „Kreditscoring“ bereits nach ein paar hundert Beispielen funktionieren. Liegen die Daten allerdings in unstrukturierter Form vor, das heißt als Text- oder Bilddaten, die sich nicht so gut in Zahlen ausdrücken lassen, kann es sein, dass der Computer ein paar hunderttausend Beispiele sehen muss. „Im Finanz- und Versicherungsbereich wird das schon seit 20 oder 30 Jahren praktiziert. Eine Versicherung macht ja nichts anderes, als ein Risiko zu beurteilen. Damals wurde das vielleicht noch anders bezeichnet, „Data Mining“ oder einfach nur Statistik. Heute heißt es „Maschinelles Lernen“ oder Künstliche Intelligenz“, bemerkt der Wirtschaftsinformatiker. Die Algorithmen, die hierfür verwendet werden, seien allerdings teilweise immer noch dieselben wie vor paar Jahrzehnten. Komplexere Daten, wie sie durch die Digitalisierung und insbesondere Social Media entstanden sind, würden heute neuere Algorithmen gebrauchen.
Urlaubsplanung mithilfe Künstlicher Intelligenz
„Ich sehe den Wirtschaftsinformatiker hier als Übersetzer zwischen der Betriebswirtschaftslehre und der Informatik“, erklärt Müller. „Wenn es beispielsweise um Vorhersagen für ein Kredit- oder Versicherungsrisiko geht, dann brauche ich großes betriebswirtschaftliches Verständnis, um die Problemstellung zu verstehen. Anschließend muss ich das Problem so formulieren, dass es durch Maschinelles Lernen gelöst werden kann.“ Schwierig wird es insbesondere dann, wenn der Computer hauptsächlich mit Bilddaten arbeiten muss.
An der Universität Paderborn untersucht Müller zusammen mit seinem Team Online-Marktplätze wie z. B. Airbnb oder eBay, die stark auf Bilder angewiesen sind: „In diesem Zusammenhang stellen wir uns die Frage, welchen Einfluss Bilder auf unsere Zahlungsbereitschaft nehmen. Kann ein Algorithmus allein anhand eines Bildes beurteilen, wie gut oder schlecht ein Produkt ist?“ Wer aktuell seine eigene Wohnung bei Airbnb anbieten möchte, muss diese zunächst beschreiben, anschließend schlägt das Online-Unternehmen einen Preis vor. „Hauptsächliche Kriterien hierfür sind momentan die Location und die Größe, also recht simple Bezugsdaten. Für Airbnb, aber natürlich auch für den Kunden, wäre es gut, wenn das System anhand von Fotos einschätzen könnte, ob es sich um einen fairen Preis handelt. Das wäre eine Vision, an der wir derzeit arbeiten“, so Müller. Erste Erfolge bei der Bildanalyse können die Wissenschaftler bereits auf einem anderen Gebiet vorweisen: „Wir können den Computer etwa darum bitten, einen guten von einem schlechten Burger allein anhand von Fotos zu unterscheiden. Viele Restaurantbewertungen enthalten ja mittlerweile Bilder. Die Erfolge, die wir da sehen, sind, dass der Computer sehr schnell erkennen kann, wenn es in die Richtung Fast Food geht und dementsprechend schlechte Qualität ausfindig macht.“
Maschinen verstehen lernen
Bei all dem Fortschritt müsse laut Müller allerdings eines immer mitgedacht werden, nämlich die Transparenz: „Je nach Anwendungsgebiet können die Konsequenzen verheerend sein. Wenn eine Bank ihrem Kunden einen Kredit verweigert, dann muss sie ihre Entscheidung erklären können. Welcher Bankberater aber weiß, warum ein Computer so entschieden hat? Ein Arzt muss in der Lage sein, eine Diagnose zu erläutern, die unter Verwendung Künstlicher Intelligenz erstellt wurde. Das Problem dabei ist, dass die wirklich guten Algorithmen nicht so leicht verständlich sind. Selbst die Entwickler wissen manchmal nicht genau, was der Algorithmus macht, weil dieser selbstständig lernt.“ Genau dieses Zusammenspiel sei aber entscheidend, damit die Gesellschaft in Zukunft von Künstlicher Intelligenz profitieren könne: „Denn am Ende müssen Menschen die Verantwortung für die Entscheidungen von intelligenten Maschinen auf sich nehmen.“
Text: Kamil Glabica, Stabsstelle Presse und Kommunikation