Deut­sche Li­te­ra­tur der Ge­gen­wart: Ma­r­le­ne Stre­e­ru­witz über­nimmt die 35. Gast­do­zen­tur für Schrift­stel­le­r­in­nen und Schrift­stel­ler an der Uni­ver­si­tät Pa­der­born

Die österreichische Schriftstellerin, Dramatikerin und Regisseurin Marlene Streeruwitz wird am 9. Januar 2017 die 35. Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn übernehmen. Die Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller wurde 1983 eingerichtet. Sie ist ein Angebot der Universität für alle an Literatur Interessierten der Region. Thomas Brussig und Christoph Peters hatten zuletzt die Gastdozentur inne. Die Gastdozentur findet montags von 16.15 bis 17.45 Uhr im Hörsaal G auf dem Campus der Universität statt.

Marlene Streeruwitz’ Gastdozentur trägt den Titel „Frozen I-V. Theorie und Praxis der Romane in der Digitalität“. Am Montag, 9. Januar, startet sie ihre Gastdozentur mit einer Auftaktlesung. Am 16., 23. sowie 30. Januar 2017 folgen drei poetologische Vorlesungen, die mit einer Abschlusslesung am 6. Februar abgerundet werden.

Marlene Streeruwitz wurde am 28. Juni 1950 in Baden bei Wien geboren. Zunächst nahm sie dort ein Jurastudium auf, das sie jedoch bald abbrach, um ebenda Slawistik und Kunstgeschichte zu studieren. Seit 1986 publiziert sie eigene Werke, und seit 1989 ist sie am Theater und im Rundfunk tätig. 1996 hatte sie die Poetikdozentur an der Universität Tübingen und im Jahr darauf die Frankfurter Poetikdozentur inne. Ferner übernahm sie im WS 2001/02 die Samuel-Fischer-Gastdozentur für Literatur an der FU Berlin. 2003 wurde sie in den Universitätsrat der Akademie der Bildenden Künste in Wien gewählt. Im Jahr 2011 stand ihr Roman „Die Schmerzmacherin“ auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Streeruwitz lebt heute in Wien, London und New York.

Streeruwitz wurde bislang mit Auszeichnungen wie dem Mara-Cassens-Preis für „Verführungen“ (1997), dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur (1999), dem Hermann-Hesse-Preis (2001), dem Kulturpreis der Stadt Baden bei Wien (2004), dem Peter-Rosegger-Literaturpreis des Landes Steiermark (2008), dem Droste-Literaturpreis der Stadt Meersburg (2009), dem Bremer Literaturpreis (2012) und dem Franz-Nabl-Preis für Literatur der Stadt Graz (2015) geehrt.

Werke in Auswahl: Tübinger Poetikvorlesungen „Sein. Und Schein. Und Erscheinen“ (1997), Erzählungen „Majakowskiring“ (2000) und „Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin“ (2008) sowie die Romane „Frauenjahre“ (1996), „Partygirl“ (2002), „Jessica“ (2004), „Entfernung“ (2006), „Verführungen“ (2007), „Kreuzungen“ (2008), „Die Schmerzmacherin“ (2011), „Nachkommen“ (2014) sowie als Nelia Fehn „Die Reise einer jungen Anarchistin nach Griechenland“ (2014) und jüngst „Yseut. Abenteuerroman in 37 Folgen“ (2016).
 

Weitere Informationen zur Autorin:

Im Schnittfeld von ästhetischem Formungswillen, feministischer Theorie und kulturpolitischem Engagement nimmt die Dramatikerin und Erzählerin Marlene Streeruwitz seit den 1990er Jahren in Drama, Hörspiel und Prosa das Verhältnis von Oberfläche und Tiefe, Wahrheit und Realität, Wahrnehmbarkeit und Erzählbarkeit in den Blick, in dem die Wirklichkeit verschleiernden Mythen des Alltags durchschlagen. Die Dramen, Hörspiele und Romane, die Marlene Streeruwitz in den vergangenen zwanzig Jahren vorgelegt hat (zuletzt Nachkommen, 2014, Die Reise einer jungen Anarchistin in Griechenland, 2014, und Yseut, 2016), sind in ihrer stilistischen Unverwechselbarkeit so auch immer Arbeit mit der Form: Aufhebung der traditionellen Formen wie der Tragödie, des Entwicklungsromans, des Abenteuerromans, des Reiseberichts etc. bei gleichzeitig strenger Formung. Sie wird geleitet von der Frage, wie Kunst die Dinge wieder ins Licht der Erkenntnis rücken kann.

Ausgehend von dieser Frage, versucht die Autorin in ebenso beunruhigender wie berückender Weise, durch Störungen (der Syntax) und Fremdstellungen (der Sprache) das Sehen, Hören und Lesen (Theater, Hörspiel, Prosa) zur Erfahrung eines transitorischen Sprungs in neue Qualitäten hinein werden zu lassen. Erkenntnis über die uns umgebende und unser Handeln steuernde Wirklichkeit beginnt mit der Irritation von Wahrnehmungsgewohnheiten. Sie beginnt mit der Demontage der scheinbar geordneten Realität mit ihren falschen Glücksversprechen und der Auslöschung von Erinnerung.

In ihrer 2014 erschienenen Poetik hat sie diesen Leitgedanken ihres Schreibens folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Der vollständige Satz ist eine Lüge. Im Entfremdeten kann nur Zerbrochenes der Versuch eines Ausdrucks sein […] Im Stakkato des Gestammels. In den Pausen zwischen den Wortgruppen ist das Suchen zu finden. Nach sich. Nach Ausdruck.“ All das macht die Texte von Marlene Streeruwitz ‚gegenwärtig‘ im Sinne eines reflektierten Verhaltens zur eigenen Gegenwart: als literarische Zeugnisse einer wachen Zeitgenossenschaft, die immer auch zeigt, dass das Private und das Öffentliche niemals getrennt zu denken und zu leben sind.