Bei einer internationalen Konferenz über die Ziele der Scharia, die vom 10. bis 12. Oktober an der Universität Paderborn stattfand, diskutierten Fachleute aus Indonesien, Kanada, Katar, Pakistan, den USA und mehreren europäischen Staaten über Möglichkeiten einer innermuslimischen Erneuerung des Verstehens der Scharia. Unter den Referenten und Referentinnen waren muslimische und nichtmuslimische Rechtswissenschaftler, Theologen und Vertreterinnen aus der Praxis. Insgesamt nahmen etwa 130 Fachleute und Studierende an der Tagung teil, die damit wahrscheinlich die bislang größte internationale Tagung über die Scharia war.
„Die Tagung hat gezeigt, auf welch hohem Niveau in der gesamten Islamischen Welt über die Scharia diskutiert wird“, so Prof. Dr. Klaus von Stosch, Vorsitzender des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften (ZeKK) der Universität Paderborn. „Zugleich wurde deutlich, dass wir durch eine Besinnung auf die letzten Werte und Ziele der Scharia einen wichtigen Beitrag dazu leisten können, um den scheinbaren Widerspruch zwischen Scharia und Menschenrechten zu überwinden.“
Auch sein Mitarbeiter und Mitveranstalter, der muslimische Rechtswissenschaftler und Theologe Idris Nassery, freut sich: „Ich bin überglücklich, dass wir so hochkarätige Wissenschaftler hier in Paderborn zusammenbringen konnten.“ Ähnlich begeistert äußerten sich andere Teilnehmer. „Jetzt müssen wir die hier in Paderborn begonnene Diskussion an den verschiedenen Standorten für Islamische Theologie weiterführen und auch besser in der Öffentlichkeit sichtbar werden“, so Nassery weiter. „Die Scharia muss endlich wieder in ihrer ursprünglichen Wortbedeutung verständlich werden: als Weg zur Quelle und damit als Weg zu Gott.“
Wie wenig überzeugend eine rein wörtliche Befolgung traditioneller muslimischer Regeln sei, machte Prof. Dr. Jasser Auda (Doha/Katar) deutlich, indem er darauf verwies, dass zur Zeit des Propheten nicht nur er selbst, sondern auch seine Gegner die Kleidung getragen haben, die heute vielen als typisch muslimisch gilt. Oder, so Auda, „glaubt etwa irgendjemand, dass die Gegner Muhammads im 7. Jh. Cowboyhut und Jeans getragen haben?“ Die verschiedenen überlieferten Regeln müssten in ihren historischen Kontext eingeordnet und von den Grundaussagen der normativen muslimischen Texte her relativiert werden. Streit entzündete sich an seiner Bemerkung, dass Frauen besser zur Erziehung kleiner Kinder geeignet seien als Männer. Prof. Dr. Aeyesha Chaudry (British Columbia/Kanada) machte demgegenüber unmissverständlich deutlich, dass sie findet, dass sich ihr Mann genauso gut um ihre Kinder kümmern könne wie sie. „Ich glaube, dass Gott Männer und Frauen gleich geschaffen und mit gleichen Rechten ausgestattet hat“, so die engagierte muslimische Feministin. Ob das aber wirklich bedeute, dass Frauen und Männer nicht nur, wie alle Anwesenden meinten, die gleiche Würde hätten, sondern ob sie auch wirklich gleich seien, wurde kontrovers und lebhaft diskutiert.
Klaus von Stosch: „Diese Tagung war ein weiterer wichtiger Schritt, um die Universität Paderborn zu einem Standort islamischer Religionslehre zu machen.“ Prof. Dr. Ebrahim Moosa (Notre Dame/USA) betonte ausdrücklich, wie sehr er sich über die Entwicklung in Paderborn freue: „Die Voraussetzung, nun auch ein Studienprogramm in Islamischer Theologie zu entwickeln, könnten kaum besser sein. Das muslimische Team um Dr. Muna Tatari macht in Paderborn schon jetzt großartige Arbeit.“