Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Claus-Jochen Haake und die Philosophin Prof. Dr. Ruth Hagengruber lieferten sich am Mittwoch, 26. Oktober, in ihrem Vortrag, der im Rahmen der Wissenschaftlichen Vortragsreihe „Zukunftsgestaltung durch Transdisziplinarität“ der fünf Fakultäten zum 40sten Geburtstag der Uni Paderborn stattfand, einen fairen Schlagabtausch und beantworteten die Frage „Ist, was fair ist, auch gerecht?“ mit einem klaren „Nein“. Thim Strothmann und Jennifer Stania, Studierende der Sportwissenschaft und Mitglieder des Hochschulsports, stimmten im Hörsaal G das Publikum mit ihrer Tanzperformance „Fairness“ auf das Thema ein.
Mikroökonom und Spieltheoretiker Claus-Jochen Haake verdeutlichte die Position seiner Wissenschaft anhand von Beispielen aus der Spieltheorie und lud das Publikum zum Mitspielen ein. Sein Heiratsbeispiel – vier Frauen und vier Männer wollen heiraten und erstellen eine Rangfolge ihrer Wahl aus den jeweils anderen – war für die Wirtschaftswissenschaft fair gelöst, wenn jeder seine „zweite Wahl“ bekommt, denn so ist niemand benachteiligt worden. Der Dissenz zwischen fairer und stabiler Lösung, in der sich kein Paar durch gemeinsame Heirat besser stellen kann, verdeutlicht das Dilemma der Diskussion. Ruth Hagengruber griff den Protest des Publikums geschickt auf: „Eine Verteilung kann formal gerecht sein, aber für den Einzelnen nicht vorteilhaft.“
Als Antwort versteigerte Claus-Jochen Haake einen echten 20-Euro-Schein im Publikum. Den Zuschlag erhielt ein 21-€-Gebot, der Bieter akzeptierte sogar einen Aufschlag von 1 €, um die Auktion zu gewinnen. Die nachfolgende Versteigerung eines Umschlags mit einem aufgeklebten 20-€-Schein und unbekanntem Inhalt endete bei 14 €. Im Umschlag steckten 15 €, der Bieter hatte also Glück gehabt. Die zweite Versteigerung beurteilte das Publikum als weit weniger fair als die erste, da wichtige Informationen fehlten. Ruth Hagengrubers Urteil: „Dies ist kein faires, aber ein gerechtes Verfahren, das aber viele leer ausgehen lässt.“
Auf die Spitze trieb Claus-Jochen Haake den wissenschaftlichen Disput mit dem „Ultimatum-Spiel“: Prof. Dr. Volker Peckhaus, Dekan der Fakultät für Kulturwissenschaften, sollte 10 € aufteilen. Das Angebot konnte der Spielpartner entweder annehmen oder ablehnen. Lehnt er ab, gehen beide leer aus. Sein Spielpartner war der Dekan der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, Prof. Dr. Martin Schneider. Volker Peckhaus behielt 5,50 €, Martin Schneider 4,50 €, eine auf den akzeptablen Konsens zielende Lösung des Spiels. Mutig und risikofreudig reagierte eine Zuschauerin, die das Spiel bis auf 10 Cent für den Kontrahenten ausgereizt hätte. Diese Steilvorlage nutzte Ruth Hagengruber: „Menschen akzeptieren unfaire Verteilungen, weil sie daraus einen anderen Nutzen ziehen.“
Über John Rawls „Theorie of Justice“ nahmen Claus-Jochen Haake und Ruth Hagengruber einen letzten Anlauf, ihre Frage nach Fairness und Gerechtigkeit mit einem „Ja“ beantworten zu können. Über das „Erbschaftsproblem“ – 2 Erben legen über eine 100-Punktverteilung ihre Rangfolge für die zu erbende Villa, das Jagdhaus, das Boot, Schmuck, Silber und einen Ferrari fest – zeigte Haake, dass die Wirtschaftswissenschaft eine Aufteilung berechnen kann, in der jeder ungefähr gleich viel hat, kein Neid erzeugt wird und der „Schlechtere“ besser gestellt wird. Sind es aber mehr als zwei Erben, geht die Rechnung nicht mehr auf. Ruth Hagengruber konterte: „Das ist ein schönes realitätsfernes Beispiel, dass in keinem Scheidungs- oder Erbstreit funktionieren würde“. Beide Wissenschaftler kommen aber abschließend zum Ergebnis, dass Fairness und Gerechtigkeit unterschiedliche Konzepte zu Grunde liegen, die sozial, kulturell, individuell und durch unterschiedliche Werte beeinflusst sind.
Der Vortrag war Teil der Reihe „Zukunftsgestaltung durch Transdisziplinarität“ der fünf Fakultäten im Rahmen der Jubiläumswochen. Professorenteams stellen fakultätsübergreifende Forschungsprojekte und Innovationen vor. Die Vorträge werden mit einem künstlerischen Rahmenprogramm eröffnet: Dozenten und Studierende unterschiedlicher Fächer und Bereiche (Musik, Sprachen und Bewegung) interpretieren das jeweilige Vortragsthema unter dem Titel „Performance 40“ künstlerisch.
Text: Heike Probst