Berufliche und private Selbstverwirklichung, die problemlose Bewältigung des Alltags mittels Technik, eine sichere Altersvorsorge, die Belohnung für einen gesunden Körper: Immer mehr gesellschaftliche Bereiche (er)fordern vom Einzelnen Selbstmanagement, Selbstoptimierung oder Selbstführung. Mit der Frage, welchen Anteil Automatismen, also unbewusste und weitgehend ungeplante Muster, an diesen selbstgesteuerten Prozessen haben, beschäftigen sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen verschiedener Fachgebiete am 8. und 9. April 2011 an der Universität Paderborn.
Ziel der Tagung ist es zu untersuchen, wie sich Mechanismen der Selbstkonstitution im Wechselspiel zwischen Subjekt, Gesellschaft und Medientechnologien vollziehen und wie sie sich historisch verändert haben. Dabei stehen besonders die Reibungsflächen des Automatismen-Konzepts im Fokus. Es geht um Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen zu (technischen) Automaten-Theorien einerseits und zu Vorstellungen des Selbst als Subjekt oder Identität andererseits. Auf dem Programm stehen Vorträge zur Selbst-Tätigkeit technischer Objekte, zu Selbst-Verhältnissen und -Konstitution sowie zu Kollektiven.
Die Teilnahme an der interdisziplinären Tagung ist kostenlos, Gäste sind herzlich willkommen. Anmeldungen sind bis zum 1. April möglich unter koord@gk-automatismen.uni-paderborn.de. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen zu Inhalten, Zeiten und Räumlichkeiten unter http://www.upb.de/gk-automatismen/tagungen/.
Weitere Informationen zu den einzelnen Vorträgen und Programm:
Das Verhältnis von Automatismen und Selbsttechnologien wird im Rahmen von medien-, technik- und diskursgeschichtlichen Vorträgen erörtert. So zeichnet der Medienwissenschaftler Jochen Venus die Verschränkungen zwischen der Entwicklung menschenähnlicher, selbstbewegter Automaten und der Vorstellung eines autonomen Subjekts in der Neuzeit nach. Claus Pias zeigt, wie die Fantasien eines kybernetischen Maschinenparks um 1960 die Sehnsucht nach einer utopisch entworfenen Massenarbeitslosigkeit impliziert. Er untersucht, welche Folgen gerade das Scheitern bestimmter Menschenauffassungen und der ihr zugehörigen technischen Konzepte für die Theoriebildung hatte.
Die Aktualität des Forschungsfeldes wird im Beitrag von Jens-Martin Loebel deutlich. Über einen Zeitraum von fünf Jahren hat der Informatiker mit Hilfe mehrerer GPS-Empfänger jeden seiner Schritte im öffentlichen Raum bewusst dokumentiert. Sein daraus erstelltes Bewegungsprofil zeigt, wie sich die unbemerkt hinterlassenen Datenspuren zu Kartographien des Selbst fügen; ferner eröffnet es die Möglichkeit, über Probleme des Datenschutzes zu diskutieren.
Der Soziologe Anil K. Jain thematisiert, wie sich Subjekte immer auch in unbewussten Strukturen und Handlungsroutinen formieren. Das Selbst-Verhältnis der bewussten Reflexion wird also durch stabilsierende Automatismen der „Deflexion“ begleitet: Diese Mechanismen der Vereinheitlichung und Objektivierung schaffen Selbstvergewisserung und damit Identität.
Auch die Ausbildung von Netzwerkeffekten durch Gruppen übersteigt den Horizont des willentlichen Handelns von Einzelnen. Welche Strukturen und welche (Eigen-)Dynamiken werden dabei sichtbar? Am Beispiel von Schwärmen untersucht Sebastian Vehlken kollektive Formen von Selbst-Organisation. Die Verschränkung von biologischer Forschung und Computertechnik führten in den 1990er Jahren zu fruchtbaren Erkenntnissen für neuartige Programmierungs-Prinzipien und digitale Visualisierungsverfahren.
„Automatismen – Selbsttechnologien“
Fachtagung des Graduiertenkollegs „Automatismen“ der Universität Paderborn
Programm am Freitag, 8.4.2011, Beginn 13.00 Uhr, Raum E2.339
Panel 1: Selbst-Tätigkeit technischer Objekte
Jochen Venus: Automat und Subjekt – Zur Morphologie und Semiotik neuzeitlicher Technophantasien und Sozialutopien
Claus Pias: Selbstläufer. Von der Freizeit zur Freiheit und zurück
Christoph Neubert: Selbstlos. Heterotechnologien im Menschen- und Maschinenpark
Panel 2: Selbst-Verhältnisse, Reflexion
Jens-Martin Loebel: Privacy is Dead – Ein Fünf-Jahres-Selbstversuch der bewussten Ortsbestimmung mittels GPS
Programm am Samstag, 9.4.2011, Beginn 9.30 Uhr, Raum E2.339
Panel 2: Selbst-Verhältnisse, Reflexion
Volker Peckhaus: Den Automatismen auf der Spur. Konzepte und Grenzen rationaler Zugänge zu Wissen und Wissenschaft
Anil K. Jain: Reflexion, Deflexion und die Rolle von Automatismen
Panel 3: Selbst-Konstitution, Selbst-Organisation, Kollektive
Annette Runte: Automatismus und Autismus. Subjektivität als 'Selbst-Technologie' in medizinischen und autobiographischen Diskursen der (Post-)Moderne
Ludwig Pongratz: Selbsttechnologien und Kontrollgesellschaft: Gouvernementale Praktiken in pädagogischen Feldern
Sebastian Vehlken: Schwärme. Zootechnologien. Epistemische Rekursionen selbstorganisierender Kollektive
<link fileadmin uni-aktuell pressefotos februar tagung_ss11_selbsttechnologien_plakat.pdf _blank>Plakat und <link fileadmin uni-aktuell pressefotos februar tagung_ss11_selbsttechnologien_flyer.pdf _blank>Flyer stehen als PDF-Dateien zur Verfügung.