Prof. Dr. Hugo Duminil-Copin, mehrfach ausgezeichneter Mathematiker und Träger der Fields-Medaille, ist diesjähriger Festredner der Paderborner Weierstraß-Vorlesung am 12. Mai. Im Interview erklärt er, woran er forscht, was es mit Perkolationsmodellen auf sich hat und wieso ihn Phasenübergänge so begeistern.
Sie befassen sich mit der Schnittstelle von Wahrscheinlichkeitstheorie, Kombinatorik und mathematischer Physik. Was kann man sich als Laie darunter vorstellen?
Duminil-Copin: Mathematische Physik ist die Untersuchung von physikalisch motivierten Objekten mithilfe der Mathematik. Konkret geht es bei meiner Forschungsarbeit um die mathematische Untersuchung von Phasenübergängen. Ich beschäftige mich mit massiven Veränderungen der Materie wie z. B. dem Übergang von Wasser zu Dampf bei 100 Grad. Mein Ziel ist es, diese Art von Übergängen zu verstehen und mathematisch zu modellieren.
Die Wahrscheinlichkeit, die nichts anderes ist als die Theorie der zufälligen Ereignisse, ergibt sich ganz natürlich, wenn man mathematische Physik betreibt. Die Komplexität unserer Welt zwingt uns dazu, sie mithilfe des Zufalls zu modellieren. Wenn es unmöglich wird, das Verhalten eines physikalischen Systems genau zu verfolgen, wendet man sich an die Wahrscheinlichkeitstheorie und fragt sich, welches das typische Verhalten des Systems ist. Selbst in der Mathematik ist diese Idee, sich (manchmal systematisch) dem typischen Verhalten von Dingen zuzuwenden, relativ neu, aber sehr wirkungsvoll.
Welche Rolle spielt dabei die Kombinatorik? Dieser Teil der Mathematik könnte in „die Kunst des Zählens" umbenannt werden. Und das Zählen ist ein sehr wirkungsvolles Mittel, um die Wahrscheinlichkeit von Zufallsereignissen zu verstehen. Es kommt daher häufig vor, dass die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Kombinatorik trifft.
Seit vergangenem Jahr sind Sie Träger der Fields-Medaille und wurden für die „Lösung langjähriger Probleme in der probabilistischen Theorie der Phasenübergänge in der statistischen Physik, insbesondere in den Dimensionen drei und vier“ ausgezeichnet. Können Sie beschreiben, worum es dabei geht?
Duminil-Copin: In der Laudatio zur Fields-Medaille wird zwar meine Arbeit am 3D- und 4D-Ising-Modell, einem Modell für kooperative Phänomene, als ein wichtiger Beitrag erwähnt, aber für mich ist dies nur ein Teil eines größeren Puzzles. Ich bin vor allem daran interessiert, das Verhalten von sogenannten abhängigen Perkolationsmodellen zu verstehen. Dabei handelt es sich um Modelle von Zufallsgraphen, die dazu dienen, die Porosität von Materialien zu verstehen, zum Beispiel wie Gas oder Flüssigkeit durch einen porösen Stein fließen können.
Bevor ich mit meiner Doktorarbeit begann, gab es eine große Diskrepanz zwischen unserem Verständnis bestimmter Perkolationsmodelle, die einen sehr schnellen Abfall von Korrelationen aufweisen, und unserem Verständnis von Perkolationsmodellen, die einen langsameren Abfall von Korrelationen aufweisen. Ich versuche in meiner Arbeit, die Theorie des Letzteren zu entwickeln. Eine wichtige Folge dieser Forschungsrichtung ist, dass eine Vielzahl von Modellen mit diesen Perkolationsmodellen verbunden ist und dass man viele neue Ergebnisse erhalten kann, indem man ein Problem zunächst in die Perkolationstheorie übersetzt und dann die neu entwickelte Perkolationstheorie zur Lösung des Problems anwendet. Ich interessiere mich besonders für Anwendungen der Perkolationstheorie auf das Verständnis von Phasenübergängen, zum Beispiel den Verlust der Magnetisierung von Magneten bei der sogenannten Curie-Temperatur.
Was wollen Sie mit Ihrer Forschung in Zukunft noch erreichen? Gibt es bestimmte Ziele, die Sie sich gesetzt haben?
Duminil-Copin: In der Forschung wirft die Lösung einer jeden Frage eine Vielzahl neuer Fragen auf. Ich versuche daher nicht, zu sehr im Voraus zu planen, was ich tun möchte, und lasse mich lieber vom Fluss meiner eigenen Forschung leiten. Insbesondere davon, in welche Richtung mich das, was ich lerne und was ich entdecke, führt.
Insgesamt bietet die Vielfalt der Phasenübergänge in unserer Umwelt eine schöne Spielwiese für mathematische Physiker. Ich möchte das Spektrum der möglichen Anwendungen der Perkolationstheorie erweitern, indem ich neue physikalische Phänomene und damit verbundene neue Perkolationsmodelle untersuche. Dies wird erhebliche Herausforderungen mit sich bringen und ich freue mich darauf, sie in Angriff zu nehmen.
Das Interview wurde aus dem Englischen in Deutsche übersetzt. Die Originalfassung finden Sie hier.