Ost­bel­gi­en in Pa­der­born er­le­ben: 7. Bel­gi­en­tag am 10. Mai

Interview mit Botschaftsrat Alexander Homann und Prof. Dr. Sabine Schmitz von der Universität Paderborn

Seit 2016 veranstaltet das Belgienzentrum (BELZ) der Universität Paderborn jährlich den Belgientag. Am Mittwoch, 10. Mai, ist es wieder soweit: Unter dem Motto „Ostbelgien im Fokus“ laden Ostbelgien, die Universität und die Stadt Paderborn alle Interessierten mit zahlreichen Programmpunkten dazu ein, spannende Einblicke in die Geschichte, Kultur und aktuelle Politik Belgiens zu gewinnen. „Das Belgienzentrum der Universität Paderborn fungiert als Brückenbauer zwischen Ländern und Kulturen. Bereits zum siebten Mal schafft der Belgientag Raum für Austausch, Diskussion und Dialog, um das Miteinander in Europa zu stärken“, betont Universitätspräsidentin Prof. Dr. Birgitt Riegraf.

Im Interview sprechen Alexander Homann, Botschaftsrat und Leiter der Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft – Ostbelgien, der Föderation Wallonie-Brüssel und der Wallonie, sowie Prof. Dr. Sabine Schmitz, Vorstandsvorsitzende des BELZ, über die Besonderheiten von Deutschlands Nachbarland und die Gründe, Ostbelgien beim diesjährigen Belgientag in den Blick zu nehmen.

Was verbindet Ostbelgien mit dem Belgienzentrum der Universität Paderborn?
Homann: Die Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn und insbesondere mit dem dort angesiedelten Belgienzentrum ist von größter Bedeutung – nicht nur für Ostbelgien. Es ist deutschlandweit die einzige Einrichtung ihrer Art, die sich wissenschaftlich mit unserem Land – mit Belgien befasst. Der Blick von außen auf Belgien und seine Gliedstaaten – Sie würden Bundesländer sagen – ist uns sehr wichtig. Die Arbeit, die über die Internetplattform des BELZ „Belgien.net“ geleistet wird, ist ein weiterer Aspekt, der unsere volle Unterstützung erfährt. Hier wird Belgien verschiedenen Zielgruppen vermittelt, sodass man fundiertes Wissen über den für viele doch unbekannten Nachbarn erwerben kann. Darüber hinaus werden auch Lehrkräfte adressiert, die so Belgien aus sprachlicher, geschichtlicher oder politischer Sicht in ihren Unterricht integrieren können.

Ostbelgien versucht, als einziger deutschsprachiger Gliedstaat Belgiens, innerbelgisch eine Brücke zu den beiden anderen Sprachgruppen des Landes, also den Flamen und den Wallonen zu schlagen, wann immer das möglich ist. Über die Zusammenarbeit mit dem Belgienzentrum der Universität Paderborn kann Ostbelgien auch eine Brücke nach Deutschland schlagen und daran mitarbeiten, Belgien bei seinem Nachbarn Deutschland stärker in den Blick zu rücken. Der Fokus auf Ostbelgien beim diesjährigen Belgientag ist eine besonders wertvolle Gelegenheit hierzu. Auch deshalb wird der Ministerpräsident der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens Oliver Paasch am 7. Belgientag teilnehmen.

Was macht Ostbelgien so besonders?
Homann: Ostbelgien ist mit gut 78.000 Einwohner*innen und 854 Quadratkilometern mit Abstand Belgiens kleinster Gliedstaat. Eines der Alleinstellungsmerkmale dieses Bundeslandes ist seine vom Verfassungsgeber ermöglichte Rechtstellung. Die Deutschsprachige Gemeinschaft ist trotz ihrer geringen Größe mit Gesetzgebungshoheit – also einem Parlament und einer Regierung – in der Lage, Autonomie zu gestalten. Das macht Ostbelgien als Teil des belgischen Bundesstaates auch für Wissenschaftler*innen interessant. Hinzu kommt die verfassungsmäßige Möglichkeit, eigene Außenbeziehungen zu pflegen und zu gestalten. Das ist, gerade wenn man ein kleineres „Bundesland“ ist, zum Lernen von oder Kooperieren mit anderen Partner*innen besonders wichtig.

Da Ostbelgien aber ein grenzerfahrener Landstrich mit einer hohen Lebensqualität und ein Wirtschaftsstandort mit Potenzial ist, eröffnen sich hier viele Möglichkeiten, neue Lebensformen und Formen der Vergemeinschaftung auszuprobieren. Sprachkompetenz wird im Bildungssystem Ostbelgiens zum Beispiel sehr viel Bedeutung beigemessen – das hilft bei der Mobilität auf den Arbeitsmärkten von Belgien, Deutschland und den Niederlanden – kurzum den Arbeitsmärkten der Nachbarn. All das trägt, so glaube ich, dazu bei, dass es sich lohnt, mehr über Belgiens kleinsten Gliedstaat zu erfahren, der direkt an Deutschland grenzt.

Warum widmet das Paderborner BELZ den Belgientag in diesem Jahr Ostbelgien?
Schmitz: Einerseits war es uns ein Anliegen, die besondere Rolle Ostbelgiens bzw. der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens im Aussöhnungsprozess zwischen Belgien und Deutschland ins Gedächtnis zu rufen. Denn das Gebiet und seine Einwohner*innen waren Gegenstand wichtiger politischer und juristischer Klärungsprozesse zwischen Brüssel und Bonn nach 1945; galt es doch die Abtretung von „Eupen/Malmedy“ in Folge des Versailler Vertrags an Belgien sowie die erfolgte Annexion durch die Deutschen während zweier Weltkriege endgültig hinter sich zu lassen. Andererseits ist es wichtig, einem großen Publikum vor Augen zu führen, dass besonders in Nordrhein-Westfalen Ostbelgien als Modellregion für gelungenes Grenzmanagement wahrgenommen wird. Ein deutlicher Ausweis hierfür ist die Euregio Maas-Rhein. Um diesem Vermittlungsanliegen und noch vielen weiteren nachzukommen, bot sich das Jahr 2023 an, da es mit dem 50. Jahrestag der ersten Sitzung des Rates der deutschen Kulturgemeinschaft einen Meilenstein in der kulturellen Selbstbestimmung Ostbelgiens markiert.

Wie können Interessierte Ostbelgien am 10. Mai in Paderborn kennenlernen?
Homann: Das geht mit Fachgesprächen über Steuergerechtigkeit und Grenzerfahrungen am Vormittag des 10. Mai in der Universität Paderborn los und über den direkten Kontakt in der Fußgängerzone rund um das Rathaus Paderborns weiter, wo man Ostbelgien auch kulinarisch kennenlernen kann. Außerdem informiert ein Ostbelgienmobil über Land und Leute. Das ist zudem vor und im Gymnasium Theodorianum möglich, wo eine Ostbelgierin Poetry Slam mit Unterstützung der Schüler*innen performt und die Begegnung mit einem bekannten Comiczeichner möglich ist. Es wird einen bunten Strauß an Angeboten geben, der hoffentlich Neugier auf einen Teil Belgiens weckt, an den man hier vielleicht nicht direkt denkt, den man aber in knapp drei Stunden erreichen und entdecken kann. Übrigens auch mit dem Fahrrad und einem hierfür ausgeklügelten Routensystem. Dies werden Schüler*innen des Theodorianums im Herbst austesten. Sie werden bestimmt von ihren Erfahrungen berichten.

Welche Zukunftsprojekte verbindet das BELZ über das Jahr hinaus mit Ostbelgien?
Schmitz: Ostbelgien ist eng mit den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen verflochten und daher ein besonders spannender Forschungsgegenstand im Rahmen des vom BELZ ab 2023/24 eingerichteten Masterstudiengangs BeNeLux-Studien. Wir planen daher regelmäßige Exkursionen nach Ostbelgien, um vor Ort auch in Gesprächen mehr über diese Verflechtungen zu erfahren. Ferner ist angedacht, im Rahmen dieser Exkursionen auch das Archiv des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens zu besuchen. Ebenso hoffen wir, mit Ostbelgien in einen anregenden Dialog zu treten: über Fremdsprachenerwerb – dort werden Französischkenntnisse bereits in der KITA und spätestens in der Grundschule vermittelt, über Fragen des Wassermanagements – das in der Eifelregion von besonderer Bedeutung ist, sowie über Regionalentwicklung.

Foto (Frank Michael Arndt): Alexander Homann, Botschaftsrat und Leiter der Vertretung der Deutschsprachigen Gemeinschaft – Ostbelgien, der Föderation Wallonie-Brüssel und der Wallonie.
Foto (Dömer): Dr. Sabine Schmitz, Vorstandsvorsitzende des Belgienzentrums der Universität Paderborn.

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