Interview mit Dr. Annette von Alemann zum Internationalen Frauentag als neuer Feiertag in Berlin
Zum ersten Mal ist der Internationale Frauentag am 8. März in Deutschland ein gesetzlicher Feiertag – allerdings nur in Berlin. Dort stimmte das Abgeordnetenhaus jüngst anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland für die Novelle. Soziologin Dr. Annette von Alemann spricht im Interview über die Hintergründe des Weltfrauentages, warum er als Feiertag sinnvoll ist und weshalb er uns alle angeht.
Frau von Alemann, wozu braucht es einen Weltfrauentag?
Von Alemann: Der Weltfrauentag erinnert daran, dass Mädchen und Frauen trotz aller gesetzlichen Gleichstellung, die in Deutschland und anderen Ländern erreicht worden ist, immer noch strukturell in vielfältiger Hinsicht benachteiligt werden. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit in der Familie und in der Gesellschaft. Frauen stellen die Mehrheit der familienbedingt Teilzeitarbeitenden, sie sind häufiger alleinerziehend und erhalten im Alter geringere Renten. Ungleichheit zeigt sich auch bei der Bewertung von als „männlich“ und „weiblich“ angesehenen Tätigkeiten, bei der Entlohnung sowie dem gesellschaftlichen Ansehen von Männer- und Frauenberufen oder dem Anteil von Frauen in hochqualifizierten Fach- und Führungspositionen – und das, obwohl Frauen oftmals gleich oder sogar besser ausgebildet sind als Männer und inzwischen mehr als die Hälfte der Hochschulabsolventen ausmachen. Der Weltfrauentag erinnert aber auch an die Benachteiligung von Mädchen und Frauen weltweit. Diese ist in vielen Ländern sehr viel größer als in Deutschland, wobei häufig soziale, ethnische und ökonomische Ungleichheitsdimensionen hinzukommen. Männer sind von diesen ebenso betroffen, aber die Benachteiligung verstärkt sich für Frauen. So können wiederum auch Ungleichheiten zwischen Frauen entstehen, zum Beispiel zwischen gut ausgebildeten einheimischen Frauen in professionellen Tätigkeiten und Migrantinnen, die in prekären Beschäftigungsverhältnissen für diese Sorgearbeiten übernehmen. Und schließlich erinnert der Weltfrauentag an die Anstrengungen und Verdienste der Frauenbewegungen. Wenn wir unsere heutige Situation mit der sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Situation von Frauen vor 100 Jahren vergleichen, stellen wir fest, wie viel wir schon erreicht haben. Viel ist noch zu tun, aber das, was bisher erreicht wurde, gibt uns Grund zum Feiern.
Wie wahrscheinlich ist es, dass dieser gesetzliche Feiertag auch in anderen Bundesländern eingeführt wird?
Von Alemann: Das ist schwer zu sagen. Was die Beschlusslage anbetrifft, so wäre es in meinen Augen wünschenswert, den Weltfrauentag so rasch wie möglich als gesetzlichen Feiertag einzuführen, selbst wenn er erst im Jahr 2020 wirksam wird. Und ich hoffe, dass andere Bundesländer nachziehen, wenn der 8. März als gesetzlicher Feiertag in Berlin fest etabliert ist.
Gehen die Ideen des Weltfrauentages durch den Feiertag verloren, nach dem Motto: „Blumen statt Gleichberechtigung?“
Von Alemann: Meines Erachtens gehen die Ideen des Weltfrauentags nicht dadurch verloren, dass er zum gesetzlichen Feiertag wird. Das haben wir beim Reformationstag 2017 festgestellt. Dadurch, dass die Länder diesen Tag vor zwei Jahren zu einem bundesweiten Feiertag erklärten, wurde besonders viel über die Reformation gesprochen und die Menschen hatten Zeit, Veranstaltungen zu besuchen, die an die Reformation erinnerten und darüber informierten. Natürlich ist ein gewisses Interesse für die Hintergründe eines Feiertags notwendig und es braucht Veranstaltungen zum Thema, die Menschen gerne besuchen möchten. Wie wir am 1. Mai – als Tag der Arbeit ebenfalls ein gesetzlicher Feiertag – sehen, freuen sich viele Menschen einfach über den freien Tag. Aber sie haben eben auch mehr Möglichkeiten, an Events und Kundgebungen teilzunehmen, wenn der Tag ein Feiertag ist.
Welche Bedeutung kommt dem Weltfrauentag als Feiertag überhaupt zu, wenn die Berliner Regierung zuerst beschließt, dass ein neuer Feiertag eingeführt werden soll, dann einige historische Anlässe wie den Revolutionstag 18. März 1848, das Kriegsende (Tag der Befreiung) am 8. Mai 1945 oder den Reformationstag am 31. Oktober diskutiert und sich schließlich auf den Weltfrauentag einigt?
Von Alemann: Das zeigt, dass es in unserer Gesellschaft immer noch als nachrangig angesehen wird, einen gesetzlichen Ehrentag für Frauen einzurichten. Frauen erscheinen immer noch als benachteiligte Minderheit – der Begriff „Benachteiligung“ wird häufig mit „Minderheit“ gleichgesetzt – dabei machen sie die Hälfte der Bevölkerung aus, nicht nur in Deutschland. Unsere Untersuchungen zu Vätern in Beruf und Familie zeigen ebenso wie die Untersuchungen zur Benachteiligung von Jungen im Bildungssystem, dass geschlechtsspezifische Benachteiligungen eben nicht nur Frauensache sind. Insofern geht ein Weltfrauentag, der geschlechtsspezifische Ungleichheit zum Thema hat, auch Männer an – also die Gesellschaft insgesamt.
Die Fragen stellte Jennifer Strube von der Stabsstelle Presse und Kommunikation.