Programmkino Lichtblick erhält Alumni-Preis 2019
Vor 15 Jahren wurde die studentische Initiative „Programmkino Lichtblick e. V.“ an der Uni Paderborn gegründet. Initiiert wurde sie von Annette Brauerhoch, Professorin für Filmwissenschaft, gemeinsam mit Studierenden als Reaktion auf die Schließung der lokalen Programmkinos. Seitdem kuratiert das Lichtblick-Team jedes Semester eine thematische Filmprogrammreihe und zeigt diese im POLLUX-Kino in der Paderborner Innenstadt. Dabei geht es den Mitgliedern nicht allein um die Wiederaufführung von Klassikern. Lichtblick bietet vom kommerziellen Kino ausgeschlossenen und ungewöhnlichen Filmen eine Plattform – und das am liebsten klassisch analog projiziert.
Wir haben uns mit einem Teil des momentan zehnköpfigen Teams getroffen, um mehr über ihr Engagement zu erfahren. Unsere Interviewpartner*innen:
- Philipp Bert, Lehramtsstudent Deutsch und Geschichte, engagiert sich seit 2017 im Verein, seit 2019 als erster Vorsitzender.
- Tim Sifrin, Student im Zwei-Fach-Bachelor Medienwissenschaften und Englischsprachige Literatur und Kultur, ist seit 2018 Mitglied und wurde 2019 zum zweiten Vorsitzenden gewählt.
- René Wessel studiert im Zwei-Fach-Bachelor Deutschsprachige Literaturen und Germanistische Sprachwissenschaft und ist seit 2016 bei Lichtblick, von 2017 bis 2019 als zweiter Vorsitzender des Vereins.
- Alexandra Simopoulos studiert im Master Medienwissenschaften und engagierte sich fünf Jahren bei Lichtblick, zuletzt von 2017 bis 2019 als Vorsitzende.
Interview mit "Ausgezeichnetes Engagement"-Preisträger 2019
Was sind die Ziele und Aufgaben von Lichtblick?
René Wessel: Wir möchten Kinokultur und Filmgeschichte in Paderborn lebendig halten und möglichst viele Menschen – nicht nur Studierende – dafür begeistern. Dabei spielt für uns – nach dem um die Jahrtausendwende einsetzenden Siegeszug der digitalen Formate – die Materialität des Films eine wichtige Rolle. Dass wir noch immer viele Filme analog auf 35mm-Filmmaterial zeigen, hat durchaus auch pragmatische Gründe. Ungeachtet möglicher ästhetischer Vorzüge ist ein großer Teil der Filmgeschichte ausschließlich analog verfügbar. Viele kommerzielle Kinos können diese Filme heute gar nicht mehr abspielen; das POLLUX hat seinen 35mm-Projektor zum Glück behalten.
Philipp Bert: Mir ist die Vermittlung von kulturellen Aspekten bei unserer Arbeit wichtig. Wir bringen unseren Zuschauern Filme nahe, die experimentell und zum Teil recht alt sind. So lernt man noch etwas über deren Entstehungszeit. Und auch die Stummfilm-Vorführungen wie z. B. „Hamlet“ oder Chaplins „Zirkus“ kommen bei Zuschauern und Studierenden gut an.
René Wessel: Wenn wir einen 90 Jahre alten s/w-Stummfilm wie „Zirkus“ zeigen und das Kinopublikum aus dem Lachen kaum noch rauskommt, widerspricht das auch dem Vorurteil, ältere Filme seien langweilig, trocken, von unserer heutigen Lebenswirklichkeit zu weit entfernt und nur noch von historischem Interesse. Ich finde es gut, wenn ein Film – damals wie heute – seinem Publikum etwas zutraut, nicht bloß berieseln und Erwartungen erfüllen will. Vor allem aber würde ich Unterhaltung und ‚Filmkunst‘ nicht als Gegenpole sehen. Diese künstliche Trennung ist vielleicht eines der größten Missverständnisse, denen wir bei unserer Arbeit begegnen. Da ist Chaplin wohl das beste Beispiel. Klar wollen wir uns und unser Publikum auch mal fordern, aber nicht so, dass es zur Überforderung wird.
Die Kino-Aufführungen, die Programmauswahl, die Materialität und besondere Ästhetik des Films sind wichtige Aspekte Ihrer Arbeit. Können Sie das näher ausführen?
Alexandra Simopoulos: Wir unterscheiden uns grundlegend von anderen Uni-Kinos, die häufig einfach eine Blu-ray oder DVD im größten Hörsaal zeigen. Wir „machen Kino“ – von der Kuratierung bis zur Vorführung. Wir kümmern uns um die komplette Programmgestaltung, knüpfen Kontakte zu Verleihern, Archiven und Regisseuren, erstellen Flyer, machen Werbung, informieren die Presse und betreuen die Vorführungen. Wir sehen uns damit als kleinen Teil in einer langen Kette von Festivals, Archiven und Museen, die dafür kämpfen, dass Programmkinos und die analoge Aufführungspraxis erhalten bleiben. Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Digitalisierung, denn die bringt natürlich Vorteile. Aber der größte Teil der Filme liegt nun mal analog vor und mit unserer Arbeit möchten wir diesen lebendig halten.
Wie läuft Ihre Arbeit ab, bis ein Semesterprogramm steht?
Philipp Bert: Wir sammeln zunächst Ideen und diskutieren diese. Mein letzter Vorschlag „Tod – Altern – Sterben“ ist zum Beispiel nicht so gut angekommen. [lacht] Aus anderen Ursprungsideen entwickeln sich aber Programme. So hatte ein Mitglied „Montana Sacra“ von Alejandro Jodorowsky gesehen und daraufhin das Thema „Exzentrische Filme“ vorgeschlagen. Daraus hat sich dann in langen Diskussionen das aktuelle Thema „Träume“ entwickelt.
Alexandra Simopoulos: Danach recherchieren wir, welche Filme thematisch dazu passen. So entsteht eine lange Liste, oftmals mit mehr als 100 Filmen. Dann beginnt eine Art Detektivarbeit: Wir suchen nach den Filmen, ermitteln die Rechteinhaber, die Verleiher und Filmarchive, die Leihgebühren und den Zustand. Das reduziert die Liste schon mal deutlich. Bei einigen Themen wie „Queer Cinema“ oder „Film Noir“ gibt es so viel Material, dass wir eingrenzen müssen. Sobald Verfügbarkeit, Rechte und Kosten geklärt sind, können wir ein Programm erstellen. Dann geht es weiter mit der Werbung und schließlich der Begleitung der Vorführungen. Dabei reisen die Filme – wie bei „Vanishing Days“ – manchmal von China durch die halbe Welt, bis sie in Paderborn gezeigt werden.
Tim Sifrin: Vieles machen wir auch parallel: Während das aktuelle Programm läuft, macht man sich Gedanken über das nächste. Ich habe tatsächlich schon eine Idee für das kommende Semester – eine Liste mit 60 Regisseuren und 100 Filmen hab ich schon stehen. Da könnt ihr euch drauf freuen. [lacht]
Warum sollten sich Studierende bei Lichtblick engagieren?
Tim Sifrin: Grundsätzlich ist jeder willkommen, der sich ein bisschen für Film interessiert. Gerade weil unsere Mitglieder ganz unterschiedliche Hintergründe und Interessen mitbringen, ist die Vereinsarbeit und die Diskussion um die Programme so interessant.
Alexandra Simopoulos: Man kann bei uns viele grundlegende und praktische Erfahrungen sammeln, die für das spätere Berufsleben nützlich sein können. Einiger unserer Ehemaligen arbeiten sogar mittlerweile in der Kinobranche. Auch die Kontakte mit bekannten Personen aus der Branche sind toll. So trinkt man dann auch mal mit der renommierten Filmpianistin Eunice Martins einen Kaffee oder wir bekommen eine sehr freundliche E-Mail-Antwort von Rosa von Praunheim.
René Wessel: Bei der Suche nach dem Rechteinhaber von „Der Kandidat“ hatte ich einmal völlig unerwartet Alexander Kluge [dt. Autor und Filmemacher] persönlich am Telefon und war erstmal ziemlich perplex. Er hat sich sehr über unser Interesse gefreut – und als wir später auch seinen Film „Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos“ gezeigt haben, hat er sich sogar Zeit genommen, mir einige Fragen für die Filmeinführung zu beantworten. Neben solchen Begegnungen würde ich vor allem den Projektcharakter unserer Arbeit hervorheben. Nach einer langen gemeinsamen Vorbereitung eines Semesterprogramms dann wirklich alles stehen zu haben und zu begleiten, unterscheidet sich doch deutlich vom Uni-Alltag, wo die meisten Arbeiten ja ausschließlich vom Dozenten gelesen und bewertet werden, bevor sie in irgendeiner Schublade verschwinden.