Zum Tag der Deut­schen Ein­heit

Prof. Dr. Peter Fäßler von der Universität Paderborn über wirtschaftliche Entwicklungen und die aktuelle Situation in Ostdeutschland

Am Mittwoch, 3. Oktober, feiert die Bundesrepublik Deutschland den Tag der Deutschen Einheit. Traditionell wird die vor 28 Jahren offiziell beschlossene Wiedervereinigung von Ost und West im Vorfeld der Feierlichkeiten von einem Bericht der Bundesregierung zum aktuellen Stand begleitet. Die Zwischenbilanz: Der Osten holt wirtschaftlich auf, dennoch gibt es im Vergleich zum Westen weiterhin deutliche Unterschiede. „Meines Erachtens überwiegen die positiven Aspekte der Deutschen Einheit ganz eindeutig. Das gilt insbesondere für Ostdeutschland“, sagt Prof. Dr. Peter Fäßler vom Historischen Institut an der Universität Paderborn. „Die sozialistische Diktatur ist Vergangenheit, stabile demokratische Verhältnisse prägen trotz jüngster Irritationen die Gegenwart. Der Lebensstandard ist enorm gestiegen, es gibt eine moderne Infrastruktur und die ökologische Situation hat sich in vielerlei Hinsicht entscheidend verbessert“, führt Fäßler fort. Neben diesen positiven Entwicklungen leide Ostdeutschland vor allem unter zwei gravierenden Problemen: Zum einen sei der wirtschaftliche Niedergang, die Deindustrialisierung der 1990er Jahre, nicht hinreichend kompensiert worden, sodass bis heute kein DAX-Konzern seine Zentrale in einem der „neuen“ Bundesländer hat. Zum anderen, so der Paderborner Historiker, bereite der demographische Wandel, die rasche Alterung der Gesellschaft, ein Bevölkerungsrückgang und der Rückzug aus dem ländlichen Raum immer noch Sorgen.

Der Rechtspopulismus und das „Volk“

Im Zuge rechtspopulistischer Ausschreitungen, wie denen in Chemnitz, rücken durchaus positive Entwicklungen im Osten medial in den Hintergrund. Die Parole „Wir sind das Volk“, die noch Ende der 1980er Jahre die Montagsdemonstrationen in der DDR begleitete, findet sich heute in rechtspopulistischen Kreisen wieder. Ein für Rechtspopulisten typisches Verhalten, wie Fäßler bemerkt: „Sie übernehmen aus anderen Zusammenhängen vertraute und erfolgreiche Slogans bzw. Rituale, instrumentalisieren sie aber für eigene Zwecke. Dadurch soll ein Legitimationstransfer erzielt werden. Bei dem Slogan „Wir sind das Volk“ funktioniert diese Vereinnahmung besonders gut, weil der Begriff „Volk“ doppeldeutig ist. Die Bürgerrechtler in der DDR bezeichneten damit im gesellschaftlichen und demokratischen Verständnis den Souverän, sprich die Bevölkerung, von der alle Staatsgewalt ausgehen müsse. Zugleich kritisierten sie die Herrschenden, die abgehobene SED-Parteielite. Diese berechtigte Kritik haben Rechtspopulisten heute zu einem undifferenzierten „Elitenbashing“ gewandelt, wobei sie wahllos Führungskreise in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medien verunglimpfen.“ Vervollständigt werde dieses Vorgehen durch ein nationalistisch-ethnisches Verständnis von „Volk“, was laut Fäßler dazu führe, dass sich rechtspopulistische Kreise angesichts einer als bedrohlich empfundenen Migration als Wahrer des „deutschen Volkes“ verstehen.

Entscheidend für die weit verbreitete schlechte Stimmung in Ostdeutschland dürfte jedoch eine kollektive Erfahrung sein, so der Wissenschaftler, nämlich „eine persönliche, als ungerechtfertigt empfundene Degradierung“. Fäßler: „Nach 1990 verloren sehr viele Menschen ihre Arbeit, in den Führungsetagen von Politik, Justiz, Wirtschaft, Medien oder Wissenschaft zogen vor allem „Wessis“ ein. Hinzu kommt die nachrangige Wahrnehmung ostdeutscher Befindlichkeiten in den Medien und – Hand aufs Herz – eine in der westdeutschen Gesellschaft nach wie vor anzutreffende Geringschätzung „Dunkeldeutschlands“.“

Text: Kamil Glabica, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Luca Geselle): Prof. Dr. Peter Fäßler vom Historischen Institut der Universität Paderborn.

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