Ein neues Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Paderborn und Warschau untersucht den Spracherwerb bei Kleinkindern. Im Fokus stehen die Prinzipien des gesellschaftlichen Miteinanders und der Umgebung, die zu den ersten Worten der Kinder führen. Insbesondere geht es auch darum, wie Wortbedeutungen mit Handlungen verknüpft und entsprechend eingeprägt werden. Das „Early semantic development” (EASE), so der Projektname, wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Nationalen Wissenschaftszentrum (Narodowe Centrum Nauki – NCN) in Polen gefördert. Insgesamt wird eine Fördersumme von rund 450.000 Euro investiert.
„Viele denken, dass der Spracherwerb mit dem ersten Wort beginnt, doch viel früher trainiert das Kind bereits mit seiner Umgebung, Handlungen mit Wörtern zu verknüpfen“, erklärt Prof. Dr. Katharina Rohlfing, die das neue DFG-Projekt seitens der Universität Paderborn leitet. EASE geht davon aus, dass Spracherwerb für Kinder deshalb mühelos erscheint, weil die Umgebung daran mitwirkt, das Kind für den Spracherwerb fit zu machen. „Einerseits passen sich die Bezugspersonen an die Wahrnehmungsmöglichkeiten des Kindes an und verknüpfen ihre Sprache mit anderen Bewegungen, andererseits aber nehmen die Bezugspersonen die Bemühungen des Kindes auf und formen sie, so dass immer neue, anspruchsvolle Ziele des Erwerbs entstehen“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin. Das Miteinander etabliere sich und führe schließlich dazu, dass dem Kind durch Sprache Mittel zur Verfügung stehen, die andere Kommunikationsmittel letztendlich schlagen. Mit Worten können Kinder erfolgreicher handeln. Wie sie dies entdecken, untersuchen die Forscher der Universitäten Warschau und Paderborn.
Prof. Dr. Katharina Rohlfing und Dr. Iris Nomikou aus Paderborn beschäftigen sich mit intuitiven und multimodalen Elternstrategien und ihrer Wirkung auf den Spracherwerb. In ihrer Forschung verdeutlichten sie bereits, wie Sprache mit anderen Modalitäten wie Armgesten oder Blicken eng gekoppelt wird. Eine Bezugsperson könne die Arme des Kindes strecken und dabei gleichzeitig „Du bist sooo groß!“ sagen. Durch diese Kopplung entstehen erste Bedeutungen als Päckchen, in denen sich Handlung und Sprache sinnvoll aufeinander beziehen. Rohlfing: „Bereits früh in der Interaktion betten Bezugspersonen die Handlungen des Kindes auf diese Weise ein, sodass die Bedeutung eines Wortes wie „Ball“ für das Miteinander etabliert wird: Er kann zu einem anderen gerollt werden.“ Die Forscherinnen wollen jedoch wissen, wie ein Wort zunehmend vom Kontext gelöst wird.
Auf Warschauer Seite untersucht Prof. Dr. Joanna Rączaszek-Leonardi unterschiedliche Funktionen von Sprache aus der Perspektive dynamischer Systeme. Sie ist der Meinung, dass Sprache sowohl symbolisch als auch ikonisch – also bildhaft – verarbeitet wird. „Manchmal müssen wir über eine Bedeutung gründlich nachdenken, doch im täglichen Leben erfordert es keine besondere Mühe, das „Guten Tag“ zu verstehen und sofort darauf zu antworten“, erklärt Rohlfing. Genau solche Phasen werden im EASE untersucht: „Viele der ersten Wörter deuten auf etwas, ohne entziffert sein zu müssen. In diesem Sinne ist zum Beispiel das Wort „Ball“ mit einer Anforderung verbunden, ihn zu rollen. Es wird zunächst nur auf einen bestimmten Ball angewendet, bevor das Wort auch im Tennisspiel eine Anwendung und allgemeine Bedeutung findet und somit immer mehr zum Symbol für eine bestimmte Kategorie von Gegenständen wird“, erklärt Rohlfing weiter.
Die Zusammenarbeit der beiden Gruppen im Rahmen des Beethoven-Projektes, der Kooperation in den Geistes- und Sozialwissenschaften für Polen und Deutschland, bietet einen Austausch hinsichtlich der Funktionen von Sprache und ihrer Rolle für den Spracherwerb. Die Forscherinnen setzen dabei unterschiedliche – qualitative und quantitative – Methoden ein, um das Miteinander zu verschiedenen Zeitpunkten unter die Lupe zu nehmen.
„Der neue Ansatz des Projektes besteht darin – wie beim Fußball – das ganze Spiel (alle 90 Minuten) und nicht nur das erste Tor zu betrachten, um herauszufinden, wie das erste Wort zustande kommt und welche Prinzipien des Miteinanders dazu führen“, erläutert Rohlfing. Dazu wurden Längsschnittstudien sowohl in Polen als auch in Deutschland durchgeführt, in denen die Forscherinnen den Aufbau von Rollen und Routinen beobachten möchten. Das EASE-Projekt beschäftigt sich somit mit der frühen Phase des Erwerbs, aus der die ersten bedeutungsvollen Äußerungen, aber auch das Wissen über die kommunikativen Rollen, das Aufeinander-Eingehen und den Austausch hervorgehen.