Frühjudentum und Urchristentum - Beitrag für Dialog zwischen Christen und Juden
Stolz hält Prof. Dr. Hubert Frankemölle das Buch in den Händen: "Frühjudentum und Urchristentum, Vorgeschichte - Verlauf - Auswirkungen (4. Jahrhundert v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr.)" lautet der Titel, markant zu lesen in Weiß auf Rot. "Hinter diesen etwa 450 Seiten stecken 35 Jahre Lehr- und Forschungstätigkeit. Ohne meine vielen Helfer wäre das Buch trotzdem nicht erschienen", sagt Frankemölle. 25 Jahre lang arbeitete Frankemölle an der Universität Paderborn, zuvor war er akademischer Oberrat an der Uni Münster. "Das war mein letztes von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt", stellt er nüchtern fest: Für eine weitere Antragstellung ist der emeritierte Professor mit 65 Jahren zu alt. Ihn stört das letztlich wenig. "Natürlich werde ich auch weiterhin schreiben!"
Das Christentum entstand mit der Geburt Jesu von Nazareth, Jesus war sozusagen der erste Christ, heißt es. "Wer so denkt, macht es sich zu leicht", so Frankemölle. Seine Arbeitsthese lautet: Das im Neuen Testament dokumentierte Urchristentum hat seinen Ausgang im hellenistischen, also von der griechischen Lebensart geprägten, Judentum genommen und ist durch diese Hellenisierung in all seinen theologischen Aussagen geprägt worden. Neu an dieser These ist, dass hebräisches und griechisches Judentum und Christentum gleichermaßen betrachtet und in einen Zusammenhang gebracht werden. "Das Neue Testament kann nur aus dem griechischsprachigen Judentum heraus verstanden werden", betont Frankemölle: "Die Urchristen, also die Verfasser des Neuen Testaments, haben das griechischsprachige Judentum aufgenommen."
Mit seinem Buch, dessen Erscheinen eine Auswertung von Quellen und unendlich vieler Literatur vorausging, will Frankemölle ein Lehr- und Studienbuch bieten, das Informationen zum derzeitigen Forschungsstand bietet. Und zwar zum Forschungsstand der über 300jährigen Entwicklungen und Trennungsprozesse vor Christus und über die circa 300jährigen Entwicklungen nach Christus in sehr unterschiedlichen Gemeinden. "Dies ist nur in Form von Basiswissen und Überblicken möglich. Das Buch ist eine Art Entdeckungsreise. Nicht nur in einen langen historischen, sozialen, sprachlichen und insgesamt kulturell bedingten religiösen Prozess vom 4. Jahrhundert vor Christus bis zum 4. Jahrhundert nach Christus, sondern in eine Vielfalt von Prozessen, an deren Ende Christentum und Judentum voneinander unterscheidbar sind."
Der Förderungszeitraum der Deutschen Forschungsgemeinschaft ging von Mai 2004 bis Oktober 2006, gearbeitet hat Frankemölle an dem Projekt etwa sechs Jahre. "Mit Blick auf das überschaubare Budget bin ich für die DFG ein kleiner Fisch. Vor allem, wenn man die finanziellen Mittel berücksichtigt, mit denen Natur- und Informatikwissenschaftler gefördert werden. Meine Arbeit ist gleichwohl wichtig!" Einige Fragen des DFG-Leitfadens fand Frankemölle irritierend: Sind die die Ergebnisse wirtschaftlich verwertbar, gibt es möglicherweise Patente oder Industriekooperationen? "Wirtschaftlich verwertbar sind meine Ergebnisse nicht", so Frankemölle, allerdings habe Lehre und Forschung im geisteswissenschaftlichen Bereich ohne Profit ebenso ihre Berechtigung wie kommerzielle Forschung. Im Vorwort vergisst Frankemölle nicht, seine Mitarbeiter zu erwähnen: die mittlerweile pensionierte Sekretärin, die "gelassen, freundlich und sorgfältig" seine Diktate bis zur Hälfte des Buches "ins Reine gebracht" hat, die Assistentinnen und Assistenten, die bei ihrer Lektoratsarbeit stilistische Verbesserungen erzielt haben, die studentische Hilfskraft (SHK), die unermüdlich Literatur besorgt und das Sachregister komplettiert hat. "Vor allem mit Blick auf den schlecht ausgestatteten Buchbestand in der Paderborner Theologie war die Literaturrecherche keine leichte Aufgabe."
Alle Mühen hätten sich dann gelohnt, wenn viele christliche und jüdische Leser die heiligen Schriften der Juden und viele Christen die Fortsetzung dieser heiligen Texte im Neuen Testament im Kontext der vielfältigen jüdischen und christlichen Glaubensgeschichte differenzierter wahrnehmen würden, so Frankemölle. "So gesehen will ich einen Beitrag für den Dialog zwischen Juden und Christen leisten. Denn durch den Dialog wächst das gegenseitige Verständnis von den geschichtlichen und religiösen Wurzeln her."