„Killertomaten, Riesenameisen und narrative turn – Über das Stottern des Realismus“
Die in Berlin lebende Autorin Kathrin Röggla wird am 13.12.2010 die 29. Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn übernehmen. Die seit 1983 durchgeführte Veranstaltung richtet sich sowohl an Studierende als auch an alle literarisch Interessierten in der Region. Albert Ostermaier und Lea Singer waren zuletzt als Gastdozenten in Paderborn. Die Gastdozentur findet immer montags von 16.15-17.45 Uhr im Hörsaal G statt.
Kathrin Röggla wird ihre Dozentur unter den Rahmentitel „Killertomaten, Riesenameisen und narrative turn – Über das Stottern des Realismus“ stellen und am Montag, dem 13.12.2010, eine Auftaktlesung aus ihrem Werk "wir schlafen nicht" halten. Im Januar schließen sich dann drei Vorträge an, die die Autorin unter die folgenden Einzeltitel gestellt hat: „Von Mitarbeitern und Topüberzeugern: Authentizitätsmaschinen und literarische Gespräche“ (10.1.2011), „Wirklichkeitshunger: Turbo-Kapitalismus, Killertomaten und Katastrophen-Dramaturgien“ (17.1.2011) sowie „Das Stottern des Realismus: Fiktion und Fingiertes, Ironie und Kritik“ (24.1.2011). Eine weitere Lesung aus einem ihrem jüngsten Werke, "die alarmbereiten" (2010), beschließt die Gastdozentur am 31.1.2011.
Weitere Informationen:
Kathrin Röggla ist – und darin ist sich die literarische Kritik einig – eine der sprachintelligentesten jungen Autorinnen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Schon ihr erster Prosaband "Niemand lacht rückwärts" (1995), eine Sammlung von Prosafragmenten mit Momentaufnahmen aus der Alltagsrealität, deutet ihr ,Schreibprogramm' an: Es ist eine spielerisch-irritierende, skurril-komische Arbeit an und mit der Sprache, so wie sie konkret stattfindet: in politisch-gesellschaftlicher Wirklichkeit, im Alltag, in Phrasen, Floskeln, Redewendungen, Jargon, Trash usw.
Diese Darstellung gesellschaftlicher Sprachwelten ist eine – schon die für Röggla konsequente Kleinschreibung weist darauf hin – literarisch-künstliche, ironisch distanzierte, die sich aber nicht in beliebiger Sprachartistik erschöpfen, sondern durchleuchten, erkennen, aufklären will. „Wenn ich etwas lese, will ich doch nicht zuerzählt werden, es interessiert mich beim Lesen weniger, meiner Wirklichkeit zu entkommen, als mehr mit ihr zu spielen, auf sie zu reagieren, etwas vielleicht anders zu begreifen, was um mich herum geschieht. Literatur als Erkenntnisinstrument kann nicht über triviale Erzählschemata laufen“ (Röggla). Das ist eine deutliche Absage an eine nur mimetisch-realistische Literatur.
Literatur ist für Röggla nur dann Instrument der Erkenntnis, wenn sie sprachlich verfasste Wirklichkeit literarisch verdichtet, übertreibt und so zur Deutlichkeit entstellt. So liegen ihrem Roman "wir schlafen nicht" (2004), der die Welt der „Unternehmensberater, Online-Redakteure oder der Key Account Managerin“ zum Gegenstand hat, konkret geführte Gespräche zugrunde, Dokumentarisches also, und ihre letzte Prosaarbeit "die alarmbereiten" (2010) übersetzt den allgegenwärtigen ,Diskurs der Angst und des Alarmismus‘ in die Distanz der indirekten literarischen Rede, in der Hoffnung ihn zu ,entlarven‘. Geradezu folgerichtig ist, dass Kathrin Röggla ihre Texte selbst immer wieder in andere literarische Richtungen ,bearbeitet‘: den Prosatext zum Theatertext oder den Theatertext zum Radiostück, begleitet und unterlegt von theoretischen Entwürfen und gesellschaftsanalytischen Essays.
Kathrin Röggla wurde 1971 in Salzburg geboren. Sie studierte Germanistik und Publizistik in Berlin. Seit 1988 hält sie literarische Lesungen und Performances in der Salzburger Literaturwerkstatt und ist in der Salzburger Autorengruppe und in der Redaktion der Literaturzeitschrift „erostepost“ aktiv. Seit 2002 ist sie Theaterautorin. Sie hat zahlreiche Werke veröffentlicht, u. a. „die alarmbereiten“ (Frankfurt/Main, 2010), die Prosawerke „Niemand lacht rückwärts“ (Frankfurt/Main, 1995) und „really ground zero“ (Frankfurt/Main, 2002) sowie die Romane „Abrauschen“ (Salzburg, 1997, umgestaltete Neuausgabe 2001) und „wir schlafen nicht“ (Frankfurt/Main, 2004). Darüber hinaus verfasste sie Theatertexte wie „wir schlafen nicht“ (Uraufführung Düsseldorfer Schauspielhaus 2004), „draussen tobt die dunkelziffer“ (UA Volkstheater/Wiener Festwochen 2005) und „machthaber“ (UA Schauspielhaus Wien 2010). Kathrin Röggla lebt seit 1996 in Berlin-Neukölln.
Für ihre Werke wurden ihr u. a. der Open-Mike-Preis Berlin (1993), der Italo-Svevo-Preis (2001), der Preis der SWR-Bestenliste (2004), der Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (2004), der Solothurner Literaturpreis (2005) und der Anton-Wildgans-Preis (2009) verliehen.