Neues Verbundprojekt: Wissenschaftler*innen und Industriepartner*innen entwickeln neuen Ansatz für die industrielle Praxis
Je komplexer und variantenreicher Produkte werden, desto aufwändiger ist es für Unternehmen, technische und finanzielle Auswirkungen dieser Änderungen zuverlässig zu analysieren und zu bewerten. Die Herausforderungen wachsen, wenn viele Partner*innen an der Produktentwicklung beteiligt sind. Auswirkungsanalysen sollen Unternehmen dabei helfen, im Vorfeld mögliche Folgen von Produktänderungen zu ermitteln. Um solche Analysen in der Produktentwicklung zu vereinfachen, entwickelt ein Konsortium aus Forschungsinstituten, Software-Herstellern und Anwenderunternehmen unter Führung des Heinz Nixdorf Instituts der Universität Paderborn einen modellbasierten und IT-gestützten Lösungsansatz. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Verbundprojekt „ImPaKT“ (IKT-befähigte modellbasierte Auswirkungsanalyse in der Produktentwicklung) ist im Januar gestartet und umfasst ein Projektvolumen in Höhe von rund vier Millionen Euro für die Dauer von drei Jahren.
Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette
Die Variantenvielfalt wächst: Viele Produkte gibt es heute nicht nur in verschiedenen Farben oder Materialien, sondern auch in unterschiedlichen Modellen. Jedes modifizierte Detail bedeutet Änderungen im Konstruktions- und Produktionsprozess aller beteiligten Partner*innen. Bei der Entwicklung von komplexen Produkten wird das sogenannte Engineering Change Management (ECM), also Prozesse, um Änderungen an Produkten kontrolliert und dokumentiert vorzunehmen, daher zunehmend zeitraubend und fehleranfällig. Unvollständige oder verteilte Daten- und Wissensbasen, Medienbrüche in den Informationsflüssen, mangelnde Einbindung der Lieferanten und hohe Kosten für das Variantenmanagement können den Prozess erheblich erschweren. Im Verbundprojekt „ImPaKT“ arbeiten die Konsortialpartner*innen deshalb an einer Lösung, die eine effiziente Auswirkungsanalyse von Änderungen dank einer ganzheitlichen Daten- und Wissensbasis ermöglicht und gleichzeitig Produktbaukästen durch funktionsorientierte Auswirkungsanalysen besser beherrschbar macht.
Da Änderungen an Produkten weitreichende Auswirkungen auf die Qualität, Kosten oder auch Liefertermine haben können, sei es wichtig, solche Änderungen systematisch zu planen und abzustimmen: „‚ImPaKT‘ betrachtet bei der Auswirkungsanalyse die gesamte Wertschöpfungskette einschließlich der Kund*innen und Zuliefer*innen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal des Projekts“, betont Prof. Dr.-Ing. Iris Gräßler, Inhaberin des Lehrstuhls für Produktentstehung am Heinz Nixdorf Institut und Leiterin des Konsortialprojekts. Die Forschungserkenntnisse sollen direkt für die industrielle Praxis nutzbar gemacht werden, erklärt Projektmanager Christian Oleff. „Dank des breitgefächerten Verbunds von Anwendungspartnern und der leistungsstarken IT-Systempartner sind wir in der Lage, branchenübergreifende Lösungen für den Entwicklungsalltag in der industriellen Praxis zu entwickeln“, so der Mitarbeiter in der Fachgruppe Produktentstehung am Heinz Nixdorf Institut weiter.
Neue Methoden für eine ganzheitliche Auswirkungsanalyse
Eines der Projektziele ist der Aufbau eines idealtypischen Modells, einer sogenannten Referenzarchitektur, für eine durchgängig modellbasierte Systementwicklung. Durch die Integration von z. B. mechanischen, elektronischen und softwaretechnischen Komponenten in einem Produkt sind interdisziplinäre Entwicklungsprozesse erforderlich. Die Projektpartner*innen wollen deshalb einen gemeinsamen Parameterraum für Änderungen schaffen: Dafür sollen aus verschiedenen Disziplinen stammende Modelle in den bestehenden Datentöpfen – beispielsweise aus der Entwicklung mechanischer, elektrotechnischer und softwaretechnischer Systemelemente – verknüpft werden. Auf Basis dieser Integrationsplattform wollen die Projektpartner*innen mit den Mitteln des Model-based Systems Engineerings (MBSE), also der Produktentwicklung auf Basis von Modellen, und unter Nutzung von Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI) Methoden für eine ganzheitliche Auswirkungsanalyse entwickeln und implementieren. Außerdem sollen Standards zur Einbindung der Auswirkungsanalyse in das Prozessmanagement und die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit eingeführt werden. „MBSE ist ein mächtiger Lösungsansatz für die kollaborative Produktentstehung, den wir für unterschiedliche Branchen und Unternehmenstypen verfügbar machen wollen“, erklärt Gräßler.
An ihrem Lehrstuhl für Produktentstehung arbeitet die Verbundkoordinatorin Prof. Dr.-Ing. Gräßler an einer konkreten Beurteilung von Änderungsauswirkungen auf Basis eines Systemmodells und deren Anwendung. Vorrangige Aufgabe der Industriepartner*innen wird es sein, die Tauglichkeit der Projektergebnisse an drei Fallbeispielen aus der Praxis zu validieren: einem komplexen Raupenlaufwerk für Landmaschinen, einer intelligenten Auswuchtmaschine und einem Präzisions-Werkzeug für den Spritzguss von Steckdosendeckeln für E-Fahrzeuge. „Bei allen Fallbeispielen geht es um die unternehmensübergreifende Zusammenarbeit auf Basis eines ganzheitlichen Systemmodells und die Auswirkungsanalyse von Änderungen“, so Gräßler. Auf Grundlage der „ImPaKT“-Referenzarchitektur wollen die Software-Partner*innen dann einen Demonstrator implementieren, der die Informationen verknüpft und deren Auswertung ermöglicht.
An dem Projekt beteiligt sind neben dem Heinz Nixdorf Institut das Institut für Maschinenelemente und Systementwicklung der RWTH Aachen, die Softwarehäuser CONTACT Software, Itemis und PROSTEP sowie die Anwenderunternehmen Eisengießerei Baumgarte, Hadi-Plast Kunststoff-Verarbeitung, Hofmann Mess- und Auswuchttechnik, CLAAS Industrietechnik, Knapheide Hydraulik-Systeme sowie Schaeffler.