Ein Forscherteam an der Universität Paderborn untersucht ein Anreizsystem bei Internetplattformen für digitale Arbeit, das nun für die Zukunft der digitalen Arbeit in Deutschland zukunftsweisend werden könnte.
Das Anreizsystem funktioniert wie Ratings für Hotels oder Restaurants, es bezieht sich allerdings auf Personen, die auf so genannten Crowdworking-Plattformen von privaten Personen oder Unternehmen ausgeschriebene Aufgaben übernehmen. Die Aufgaben decken dabei ein breites Spektrum an Tätigkeiten ab wie das Ausliefern von Essen, das Testen von Software oder das Übersetzen von Texten. Plattformen schreiben diese Jobs im Auftrag ihrer Kunden aus. Die Auftraggeber oder die Plattformen selbst bewerten später, wie gut die Crowdworker die Aufgabe erledigt haben. Wer viele Aufgaben übernimmt und gute Bewertungen sowohl von der Plattform als auch ihren Kunden erhält, bekommt die Möglichkeit im Rating aufzusteigen (erhält also mehr Sterne) – und das bedeutet oft mehr Geld und interessantere Aufgaben in der Zukunft.
Das Bundesarbeitsgericht hat nun in einer viel beachteten Entscheidung festgestellt, dass ein klagender Crowdworker als Arbeitnehmer einer Crowdworking-Plattform zu betrachten sei, und dies zentral mit dem Bewertungssystem der Plattform begründet. Üblicherweise sind Crowdworker als Soloselbständige tätig, was für die Plattformen den Vorteil hat, dass keine Arbeitgeberpflichten entstehen. Im vorliegenden Fall hat der klagende Crowdworker sein Einkommen vorwiegend aus der Arbeit für die beklagte Plattform erhalten. Weil er schon lange die Dienste der Plattform in Anspruch genommen hat, war es ihm möglich, ein höheres Pensum an Aufgaben zu übernehmen, um so seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Das ist unter anderem eine Folge des Bewertungssystems: Wenn man ein hohes Level (zum Beispiel viele Sterne) erreicht hat, lohnt sich die Arbeit mehr als für Personen, die erst kürzlich dazu gestoßen sind oder bisher nur wenige Aufgaben erfolgreich bearbeitet haben. Für das Bundesarbeitsgericht hat unter anderem diese Tatsache dazu geführt, dass der Kläger gegenüber der Plattform weisungsgebunden und von ihr persönlich abhängig war, also letztlich wie ein Arbeitnehmer agierte.
„Ökonomisch gesehen ist diese Entscheidung einerseits nachvollziehbar, andererseits bedauerlich“, sagt Paul Hemsen, der als Doktorand gemeinsam mit Prof. Dr. Martin Schneider solche Sternebewertungssysteme bei Plattformen untersucht. Hemsen ergänzt: „Tatsächlich sind die Bewertungssysteme bewusst so gestaltet, dass die Crowdworker einen Anreiz haben, auf der Plattform zu bleiben und sich dort stark und konstant zu engagieren. Die Aussicht, ein höheres Level oder mehr Sterne zu erreichen, kann Crowdworker ähnlich motivieren wie die Erwartung einer Beförderung in einem Unternehmen. Weil der Crowdworker das erreichte Level aber nicht auf andere Plattformen übertragen kann, ist er in gewisser Weise an eine bestimmte Plattform gebunden.“ Allerdings sehen Hemsen und Schneider darin auch einen Vorteil: Crowdworker bearbeiten oft komplexe Aufgaben wie das Erstellen von Texten oder das Entwerfen von Designs. Wenn dies regelmäßig geschieht, manchmal für dieselben Kunden, werden sie auch produktiver und können schwierigere Aufgaben übernehmen. Das rechtfertigt höhere Entgelte für die Aufgabe, wie die Bewertungssysteme sie vorsehen.
Hemsen untersuchte insgesamt 37 Crowdworking-Plattformen in deutscher Sprache, die Vermittlungsdienste anbieten. Dabei wurden nur solche für digitale Arbeit (am Computer) berücksichtigt, nicht etwa Lieferdienste, handwerkliche Tätigkeiten oder Ähnliches. Von diesen Plattformen haben acht ein Ratingsystem, das für das Bundesarbeitsgericht einen Hinweis für die Abhängigkeit eines Arbeitnehmers darstellt. Das betrifft vor allem solche Plattformen, die komplexe Aufgaben vermitteln. „Die Plattformen versuchen mit diesem Geschäftsmodell, selbstständige Experten zu finden, an sich zu binden und attraktive Vergütungen für die jeweiligen Aufgaben zu bieten“, so Hemsen. Im Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Digitale Zukunft“ war Hemsen auch an einer Befragung von rund 800 deutschen Crowdworkern beteiligt. Die Ergebnisse zeigten, dass Crowdworker nicht nur stärker an eine Plattform gebunden sind, wenn diese ein Bewertungssystem mit verschiedenen Leveln verwendet, sie fühlen auch eine stärkere emotionale Verbundenheit mit der Plattform und sie verdienen deutlich mehr als auf Plattformen ohne ein solches Bewertungssystem. Prof. Dr. Martin Schneider schließt daraus: „Vielleicht begrüßen die Beobachter, die die digitale Plattformarbeit für ihre schlechten Arbeitsbedingungen kritisieren, die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Aber das in der Entscheidung angeführte Bewertungssystem ist typisch für Plattformen, die ihren Crowdworkern besonders attraktive Aufgaben und eine vergleichsweise gute Bezahlung bieten. Insofern trifft die Entscheidung, falls sie über den Einzelfall hinaus Bedeutung erlangt, die falschen Crowdworking-Plattformen.“
Über den Forschungsschwerpunkt „Digitale Zukunft“
Der Forschungsschwerpunkt „Digitale Zukunft“ der Universitäten Paderborn und Bielefeld erforscht in den Disziplinen Betriebswirtschaftslehre, Informatik, Elektrotechnik, Psychologie und Soziologie, wie die Digitalisierung unser Arbeiten und unsere Gesellschaft verändert. Die Ergebnisse ihrer Arbeit stellen die Forschenden regelmäßig im Rahmen von Vorträgen und Veröffentlichungen vor. Der Forschungsschwerpunkt wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW gefördert. Im Oktober hat in Paderborn unter Federführung von Prof. Dr. Martin Schneider das zweite Crowdworking-Symposium stattgefunden. Dort haben 40 Forschende aus zehn Ländern Erkenntnisse zum Crowdworking diskutiert.
Informationen zum Forschungsschwerpunkt „Digitale Zukunft“: www.digitale-zukunft-nrw.de
Informationen zum Crowdworking-Symposium 2020: www.upb.de/crowdwork
Forschungsergebnisse zu den Bewertungssystemen der Plattformen:
Paul Hemsen: “Monetary incentivized ratings on crowdsourcing platforms for paid work”, vorgestellt bei ILERA European Congress 2019, Link
Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts zu seiner Entscheidung über die Arbeitnehmereigentschaft von Crowdworkern, Link