Fahrzeuge, Maschinen oder Haushaltsgeräte – mechatronische Produkte bestimmen unseren Alltag entscheidend mit. Doch wenn es darum geht, diese Produkte systematisch und effizient zu planen und weiterzuentwickeln, ist in vielen Unternehmen noch Luft nach oben. Wissenschaftler des Heinz Nixdorf Instituts (HNI) der Universität Paderborn und des Instituts für Produktentwicklung (IPEK) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) erarbeiten in einem neuen Forschungsprojekt einen Leitfaden für produzierende Unternehmen. Er soll helfen, Produkte über mehrere Generationen hinweg systematischer, arbeitseffizienter und kostensparender zu entwickeln. Das Projekt „Zukunftsrobuste Produktentwicklung“ startete Anfang Oktober und wird über drei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit rund 600.000 Euro gefördert.
„Im produzierenden Gewerbe werden Produkte meist in Form von aufeinander aufbauenden Generationen entwickelt. Gute Beispiele sind der Porsche 911 oder eine Miele-Waschmaschine. Der Übergang von der Produktgeneration „n“ zur nächsten Generation „n+1“ ist in der Praxis jedoch komplex. Oft werden Produkte sehr unsystematisch weiterentwickelt. Die Prozesse von der strategischen Produktplanung bis hin zur fertig entwickelten Produktgeneration sind noch nicht gut genug aufeinander abgestimmt“, erklärt Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu. Mit seinen wissenschaftlichen Mitarbeitern Christian Koldewey und Maurice Meyer betreut er das Projekt in der Fachgruppe „Advanced Systems Engineering“ am HNI. Häufig komme es vor, dass ein Hersteller für die nächste Generation eines Produkts Bauteile und technische Systeme komplett neu entwickle, statt auf dem vorhergehenden Produkt aufzubauen und vorhandene Bauteile und Systeme zu überarbeiten, so der Wissenschaftler. „Das verursacht letztlich Mehrarbeit und unnötige Kosten“, sagt Dumitrescu.
Effektiver arbeiten und Kosten sparen
Im Forschungsprojekt erarbeiten die Paderborner Wissenschaftler mit ihren Karlsruher Kollegen daher einen Leitfaden für Unternehmen, der ein Gesamtmodell der Produktentwicklung beinhaltet. „Das neue Modell soll die Wechselwirkungen zwischen der strategischen Produktplanung und der Produktentwicklung ohne Brüche beschreiben und auf dem Modell der PGE-Produktgenerationenentwicklung aufbauen, das bereits erfolgreich im Fahrzeug- und Maschinenbau eingesetzt wird“, erklärt Christian Koldewey. Mit dem Gesamtmodell der Produktentwicklung könnten Unternehmen künftig ihre Produkte und ihre Produktprogramme über mehrere Generationen hinweg planen und realisieren – und so am Ende effektiver arbeiten und Kosten sparen.
Soll ein neues Produkt entwickelt werden, so lässt sich auf existierenden technischen Systemen und Komponenten des Vorgängerprodukts oder eines vergleichbaren Produkts eines Wettbewerbers aufbauen. „Ein neues Produkt nutzt also im Idealfall vorhandene interne oder externe Referenzen. Von dieser Annahme ausgehend beschreibt das Modell die Entwicklung einer neuen Produktgeneration als eine Kombination aus Übernahme-, Gestalt- und Prinzipvariation. Das heißt: Unternehmen können künftig mit unserem Modell ihre technischen Bedarfe und ihre Marktbedarfe ermitteln und dann Bauteile und technische Systeme eines Produkts identifizieren, die sich für eine neue Produktgeneration überarbeiten oder direkt übernehmen lassen“, schildert Maurice Meyer den Ansatz.
Der Fokus des Forschungsprojekts liegt zwar auf mechatronischen Produkten des produzierenden Gewerbes. „Unser Modell sollte aber grundsätzlich für alle Produkthersteller und Dienstleistungsunternehmen interessant sein“, fasst Roman Dumitrescu zusammen.
Über die Fachgruppe „Advanced Systems Engineering“ am Heinz Nixdorf Institut
In rasantem Tempo verändert die Digitalisierung die Art und Weise, wie Unternehmen Produkte entwickeln und produzieren. Dabei kommt es mehr denn je auf ein gutes Zusammenspiel verschiedener Fachdisziplinen wie Elektronik, Informatik und Maschinenbau an. Gleichzeitig müssen die vier Hauptaufgaben der Produktentstehung – Strategische Produktplanung, Produktentwicklung, Dienstleistungsentwicklung und Produktionssystementwicklung – eng aufeinander abgestimmt werden. Doch beim Entwickeln der Produkte von morgen stoßen bisherige Methoden schnell an ihre Grenzen. Hier setzt die Fachgruppe „Advanced Systems Engineering“ an. Prof. Dr. Roman Dumitrescu und sein Team erforschen, wie sogenannte Advanced Systems entstehen. Diese Systeme weisen vier Eigenschaften auf: sie sind autonom, vernetzen sich dynamisch, integrieren Produkt- und Servicekomponenten und interagieren sozio-technisch mit ihren Nutzern. Folglich erfordern sie ganzheitliche Methoden der Produktentstehung, die die beteiligten Fachdisziplinen zusammenbringen.
Weitere Informationen zur Fachgruppe: www.hni.uni-paderborn.de/ase
Simon Ratmann, Stabsstelle Presse, Kommunikation und Marketing