Deutsch-britisches Team erforscht Hausmusik-Bearbeitungen von Werken des Komponisten
Rund 200 Jahre nach seinem Tod gehört Ludwig van Beethoven noch immer zu den weltweit meistgespielten Komponisten. Im 19. Jahrhundert sorgte die Hausmusik dafür, dass Bürger seine Werke nicht mehr nur im Konzertsaal, sondern auch daheim genießen konnten. Aus kompliziert komponierten Werken Beethovens entstanden bearbeitete einfachere Fassungen, die gut im Privaten zu spielen waren. Bislang wurden die Hausmusik-Bearbeitungen allerdings kaum erforscht. Wissenschaftler des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn, der University of Oxford und des Beethoven-Hauses Bonn wollen das ändern. Ihr neues knapp dreijähriges Forschungsprojekt „Beethoven in the House: Digitale Studien zu Bearbeitungen für Hausmusik“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem britischen Arts and Humanities Research Council mit rund 813.000 Euro gefördert.
„Hausmusik war das musikalische Massenmedium des 19. Jahrhunderts. Bearbeitungen bekannter Werke wurden daheim am Klavier oder in kleinen Besetzungen, etwa in Streichquartetten, gespielt“, erklärt Dr. Johannes Kepper. Er leitet das Projekt am „Zentrum Musik-Edition-Medien“ (ZenMEM) des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn zusammen mit Dipl. Wirt.-Inf. Daniel Röwenstrunk. Das neue Forschungsprojekt der Wissenschaftler verfolgt ein inhaltliches und ein technisches Ziel: Zum einen sollen bekannte Hausmusik-Bearbeitungen einiger Beethoven-Werke systematisch wissenschaftlich erschlossen werden. Zum anderen werden in Detmold und Oxford entwickelte Werkzeuge und Techniken, mit denen sich Notentexte digital archivieren und strukturieren lassen, erstmals kombiniert.
„Gerade für Werke Beethovens liegen uns zahlreiche Hausmusik-Bearbeitungen vor. Obwohl die Gattung Hausmusik wesentlich dazu beitrug, Musik abseits der Konzertsäle zu verbreiten und Bürger musikalisch zu bilden, wurden Hausmusik-Bearbeitungen von der Musikwissenschaft bislang kaum systematisch untersucht“, erläutert Johannes Kepper. Er und seine Kollegen wollen daher im Beethoven-Haus Bonn bekannte Arrangements von Beethovens 7. und 8. Sinfonie sowie von seinem Orchesterwerk „Wellingtons Sieg“ auswerten. Außerdem werden die Bestände der Bodleian Libraries der University of Oxford nach interessanten Hausmusik-Bearbeitungen von Beethovens Werken durchsucht. „So können wir die Breite der Hausmusik-Bearbeitungen abschätzen und ein möglichst repräsentatives Bild entwerfen. Unser Projekt soll dazu beitragen, ein besseres Verständnis von der hausmusikalischen Praxis des 19. Jahrhunderts und ihren typischen Merkmalen zu bekommen“, schildert Daniel Röwenstrunk den Ansatz.
Digitale Techniken ermöglichen genauere Untersuchung der Hausmusik-Bearbeitungen
Nachdem die Hausmusik-Bearbeitungen inhaltlich untersucht wurden, kommt die technische Ebene des Projekts ins Spiel: Einige der Bearbeitungen werden mithilfe von speziellen Werkzeugen und Softwaretechniken digitalisiert. „Wir arbeiten etwa mit den Techniken des ‚Music Information Retrieval‘ und der ‚Optical Music Recognition‘. Damit können wir Notentexte von Hausmusik-Bearbeitungen teilweise im Volltext erfassen. So entsteht eine Codierung des Notenbilds“, erzählt Johannes Kepper. Diese Codierung ermöglicht es den Wissenschaftlern, die Hausmusik-Bearbeitungen weiter auszuwerten, also etwa deren Aufbau genauer zu erforschen und herauszufinden, wie ein Stück an bestimmten Stellen gekürzt und vereinfacht wurde.
Methoden der digitalen Musikwissenschaft aus Deutschland und Großbritannien werden erstmals kombiniert
Bei „Beethoven in the House“ wollen Kepper und Röwenstrunk die von ihnen entwickelten Werkzeuge und Softwaretechniken mit denen der Kollegen in Oxford kombinieren und so kompatibel machen. Die im ‚Virtuellen Forschungsverbund Edirom‘ des Musikwissenschaftlichen Seminars Detmold/Paderborn entstandenen Werkzeuge für digitale Musikeditionen sollen mit einer Oxforder Software, dem ‚Music Encoding and Linked Data-Framework‘ (MELD), verknüpft werden. MELD basiert auf der sogenannten ‚Linked Open Data‘-Technik. „Hier werden Daten mit einem streng definierten Vokabular beschrieben, über Schnittstellen bereitgestellt und können so von Dritten weitergenutzt, interpretiert und in Beziehungen gesetzt werden“, beschreibt Röwenstrunk. Mit Detmold/Paderborn und Oxford kooperieren erstmals zwei der größten Einrichtungen, die an und mit dem Format ‚Music Encoding Initiative‘ (MEI) arbeiten, einem Datenformat zum Codieren und Archivieren von Musik.
Im neuen deutsch-britischen Forschungsprojekt können Johannes Kepper und Daniel Röwenstrunk auf Erkenntnissen aus „Beethovens Werkstatt“ aufbauen, einem seit 2014 laufenden Forschungsprojekt des Musikwissenschaftlichen Seminars und des Bonner Beethoven-Hauses. Im Projekt untersuchen Wissenschaftler Beethovens kompositorische Schaffensprozesse und kombinieren dabei die Ansätze der digitalen Musikeditionen sowie der sogenannten genetischen Textkritik.
Erste Ergebnisse von „Beethoven in the House“ werden für das Frühjahr 2021 erwartet. Nach Abschluss des Forschungsprojekts werden alle Erkenntnisse, die entwickelte Software und die erstellten Daten online frei zur Verfügung gestellt.
Weitere Informationen zum ZenMEM und zum Virtuellen Forschungsverbund Edirom: zenmem.de
Simon Ratmann, Stabsstelle Presse und Kommunikation
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