Flex­ibles Fü­gen und wand­lungs­fähige Prozess­ketten

Seit über 50 Jahren fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) langfristige Projekte in Form von Sonderforschungsbereichen (SFB). In diesen Programmen betreiben Wissenschaftler*innen fächer- und hochschulübergreifend Grundlagenforschung, die für die antragstellenden Hochschulen schwerpunkt- und strukturbildend ist. An der Universität Paderborn werden aktuell vier Sonderforschungsbereiche geleitet. Welche Ziele die Wissenschaftler*innen darin verfolgen, wird in dieser Themenreihe vorgestellt.

Der Schlüssel für effiziente Produktion

Schrauben, Nieten, Clinchen – Überall, wo Produkte gefertigt werden, ob im Fahrzeugbau, der Medizin- oder Haushaltsgerätetechnik, werden Konstruktionen aus einzelnen Bauteilen zu mehr oder weniger komplexen Strukturen mit zahlreichen Verbindungsstellen zusammengesetzt. Zunehmende Produktvielfalt, immer kürzere Modellzyklen und ökologische Rahmenbedingungen stellen die Fügbarkeit in modernen Produktionsprozessen allerdings vor große Herausforderungen. Hier setzen Wissenschaftler*innen des Sonderforschungsbereichs „Methodenentwicklung zur mechanischen Fügbarkeit in wandlungsfähigen Prozessketten“ der Universität Paderborn an: Ihr Ziel ist es, Produktionsbedingungen zu verbessern, indem sie wandlungsfähige Fügetechnologien entwickeln, die bisherige starre Verfahren aufbrechen und eine flexible Prozesskette ermöglichen sollen.

Wachsende Anforderungen an die Fügetechnik

Fügestellen prägen nachhaltig die Eigenschaften von Produkten. Während eine Waschmaschine schon mit wenigen Clinchpunkten zusammengehalten werden kann – allein durch Umformen und ohne Hilfsfügeteile wie Schrauben – muss eine Autokarosserie mit bis zu 3.500 Stanznietverbindungen gefügt werden. Durch den steigenden Wunsch nach leichten, aber stabilen Strukturen von Produkten wachsen die Anforderungen an die Fügetechnik. Wie wichtig deshalb wandlungsfähige Prozessketten und flexible Fügeverfahren heute sind, weiß Prof. Dr.-Ing. Gerson Meschut, Sprecher des Sonderforschungsbereichs und Leiter des Laboratoriums für Werkstoff- und Fügetechnik (LWF) an der Universität Paderborn. „Die Fügbarkeit von Bauteilen ist häufig der Schlüssel für effiziente Produktionsprozesse und wird für den Entwicklungs- und Produktionsstandort Deutschland bei der Serienfertigung variantenreicher Produkte zunehmend zum strategischen Wettbewerbsfaktor“, erklärt er.

„Bisher sind mechanische Fügeverfahren allerdings starr für das entsprechende Produkt konfiguriert. Das limitiert nicht nur die Konstruktionsfreiheit bei der Werkstoffauswahl, sondern auch die Gestaltungsmöglichkeiten von Fabrikaten“, erklärt Meschut. Wenn es zu Änderungen in der Produktion komme – beispielsweise zur Veränderung der Blechdicke einer Autokarosserie – müssten derzeit sämtliche Anpassungen der Verfahren durch Trial-and-Error-Methoden durchprobiert werden. „Das kann sehr hohe Kosten verursachen und ist mit Blick auf Ressourceneinsatz und Umweltbelastung unbedingt zu ändern“, betont der Wissenschaftler.

Wandlungs- und Prognosefähigkeit mechanischer Fügeverfahren

In dem SFB nehmen die Wissenschaftler*innen die gesamte Prozesskette – vom Werkstoff (Fügeeignung) über die Konstruktion (Fügesicherheit) bis hin zur Fertigung (Fügemöglichkeit) – unter die Lupe. Seit 2019 erforschen sie, wie in wandlungsfähigen Prozessketten zielgerichtete Änderungen in der Produktentstehung ermöglicht werden können. Dadurch sollen bei den einzelnen Prozessschritten, beispielsweise an dem Halbzeug, der Fügestelle, dem Bauteil oder dem Fügeverfahren passgenaue Überarbeitungen vorgenommen werden können. Ergebnis ist eine unikale, das heißt einzigartige Fügestelle mit einem eigenen mechanischen Eigenschaftsprofil hinsichtlich verschiedener Beanspruchungsarten.

Dabei spielt insbesondere die Prognosegüte eine große Rolle: „Die bisherige experimentell geprägte Herangehensweise bei Änderungen im Produktionsprozess ist vor dem Hintergrund der wachsenden Anzahl an Werkstoff-Geometrie-Kombinationen nicht effizient“, erklärt Dr.-Ing. Mathias Bobbert, Geschäftsführer des SFB/Transregio 285. Vielmehr sind hier abgesicherte Prognosen der Fügbarkeit Voraussetzung für robuste Fügeprozesse: „Die ganzheitliche Prognose entlang der gesamten Prozesskette ist entscheidend für die Eigenschaften des späteren Endprodukts“, sagt Meschut.

Die Wissenschaftler*innen arbeiten dafür u. a. mit Computersimulationen und experimentellen Prüfmethoden. Betrachtet werden die gesamten Eigenschaften der verschiedenen Verbindungen: von den einzelnen Fügeteilwerkstoffen (Fügeeignung), z. B. Aluminium, Stahl oder Kunststoff, über die darauf angepassten Fügeprozesse (Fügemöglichkeit) bis zur schlussendlichen Belastbarkeit (Fügesicherheit), z. B. schlagartig wie im Fahrzeugcrash oder schwingend wie im Fahrbetrieb.

Universelle Lösungen

Im Zentrum der Forschungsarbeit stehen die Wechselwirkungen zwischen den jeweils vorausgegangenen Fertigungsschritten und der Fügestellenbelastbarkeit. Darauf aufbauend sollen Grundlagen geschaffen werden, die auch mit neuartigen Verfahrensansätzen eine Wandlungsfähigkeit der mechanischen Fügeverfahren ermöglichen.

Langfristiges Ziel der Wissenschaftler*innen ist es, eine flexible, übertragbare und branchenübergreifend anwendbare Auslegungsmethodik zu schaffen, die Eigenschaften und Anforderungen bei neuen Fügeaufgaben genauestens prognostiziert. Durch die Erarbeitung fachübergreifender Methoden sollen nicht nur sicherere Prognosen der Fügbarkeit ermöglicht und Verbindungseigenschaften verbessert, sondern auch wirtschaftliche Vorteile erzielt werden.

Interdisziplinäres Forscherteam

Die Paderborner Wissenschaftler*innen arbeiten dafür gemeinsam mit Wissenschaftler*innen der Technischen Universität Dresden und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in einem interdisziplinären Forschungsverbund, aufgeteilt in 16 Teilprojekten, zusammen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert die Transregio-Initiative TRR 285 bis 2023 mit rund 10 Millionen Euro.

„Eine wesentliche Stärke des SFB ist die interdisziplinäre Forschung, die wir in den verschiedenen Fachbereichen an drei Standorten betreiben“, sagt Meschut.  „Rund 60 Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Werkstofftechnik, Konstruktion, Mechanik, Messtechnik und Leichtbau kooperieren hier, um das Thema der Fügbarkeit von allen Seiten zu durchdringen.“

Text: Jennifer Strube, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto/Grafik (Universität Paderborn): In der Themenreihe stellen Paderborner Wissenschaftler*innen die Forschung in ihren Sonderforschungsbereichen vor.
Foto (Universität Paderborn): Prof. Dr.-Ing. Gerson Meschut, Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Methodenentwicklung zur mechanischen Fügbarkeit in wandlungsfähigen Prozessketten“.
Foto (Michael Austermeier): Dr.-Ing. Mathias Bobbert, Geschäftsführer des Sonderforschungsbereichs „Methodenentwicklung zur mechanischen Fügbarkeit in wandlungsfähigen Prozessketten“.

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