The­men­spe­cial „Arbeit 4.0“

 |  Forschung

Halbzeit beim Wissenschaftsjahr: „Arbeitswelten der Zukunft“ lautet das Motto, unter dem das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgewählte Projekte zur Thematik fördert und deren Relevanz so der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich macht. Durch Digitalisierung, alternative Arbeitsmodelle und künstliche Intelligenz verändert sich die Art und Weise, wie Menschen arbeiten. Wie Wissenschaftler der Universität Paderborn die Arbeit von morgen durch ihre Forschung mitgestalten, wird im Themenspecial „Arbeit 4.0" dargestellt. Neben technischen Innovationen werden insbesondere auch gesellschaftspolitische Implikationen beleuchtet.

Mensch, Maschine, Muße: Prof. Dr. Ruth Hagengruber über Arbeit im digitalen Zeitalter

Prof. Dr. Ruth Hagengruber, Wirtschaftsphilosophin an der Universität Paderborn, erklärt im Gespräch, wie sich unser Begriff von Arbeit wandelt, welche neuen Tätigkeiten im Zuge der Digitalisierung von Arbeit entstehen können und wo sich der Mensch darin einordnen wird.

Digitale Technologien übernehmen immer mehr Aufgaben, um die sich früher noch Menschen gekümmert haben. Wie ist es aus philosophischer Sicht zu beurteilen, dass Maschinen immer mehr von diesen Aufgaben übernehmen? Wird der Mensch irgendwann entbehrlich?

Hagengruber: Über industrielle bzw. automatisierte Prozesse wird der Mensch kontinuierlich entlastet. Er erfindet Technologien gerade zu diesem Zweck. Der Mensch denkt sich über die Arbeit hinaus! Sie ist ihm lästig, weil sie nur dazu da ist, das Unvermeidliche zu besorgen, damit er sich selbst erhalten kann. Wie Aristoteles feststellte, ist der Mensch für die Muße gemacht. Die Menschen möchten das Leben genießen, sie werden erfinderisch, um ihre Arbeit und die Besorgungen zu vereinfachen. In diesem Problem zwischen knappen Ressourcen und der Liebe zur Nicht-Arbeit, steht der Mensch. Hier erfindet und stellt der Mensch her, um sein Leben einfacher zu gestalten – darauf hat die Philosophin Hannah Arendt schon hingewiesen. Selbst Karl Marx, der Theoretiker der Arbeit, bekannte, dass das eigentliche Ziel sei, von Arbeit frei zu werden, was ihm Hannah Arendt als inneren Widerspruch seiner Theorie nachweist. Vor allem der auf Marx folgende Sozialismus war daran interessiert, zum Wohl des Arbeiters Arbeit durch Technik effizienter, produktiver zu machen, um den Arbeitsaufwand zu minimieren. Der Mensch ist vom Wunsch geleitet, von Arbeit frei zu werden, um sich den Tätigkeiten zu widmen, die wir als die wirklich menschlichen Tätigkeiten ansehen. Das sind Tätigkeiten der Fantasie, der Bildung, der Kreativität. In diesem Sinne wird die maschinelle Arbeit die Arbeit des Menschen ersetzen, aber das ist rein quantitativ gedacht. Die qualitative und kreative Arbeit wird hingegen umso stärker zum Ausdruck kommen und gebraucht werden.

In welchen Bereichen wäre der zukünftige Einsatz von Maschinen, die den Menschen entlasten, vorstellbar?

Hagengruber: Ich kann mir viele Bereiche vorstellen, in denen Maschinen hier Arbeit übernehmen, das heißt aber auch nicht, dass ich keine Nachteile sehe. Dass die Arbeit für den Menschen weniger wird oder verschwindet oder dass der Mensch sich sogar selbst aufhebt und nicht mehr arbeitet, das wird nicht der Fall sein, davon bin ich fest überzeugt. Unser Begriff von Arbeit wird sich wandeln. Die Kreativ-Arbeit erhält einen neuen Stellenwert. Dies ist ein wichtiger Punkt, der heute, wenn davon gesprochen wird, dass in den Schulen die Digitalisierung Einzug halten soll, oft übersehen wird. Mit den Fertigkeiten in der Digitalisierung müssen auch die Bemühungen verstärkt werden, die kreativen Fähigkeiten der jungen Menschen in gleichem Maße zu entwickeln.

Wenn viele Menschen immer mehr von tausend mühevollen Tätigkeiten entlastet werden, wächst der Raum, ihr kreatives Potential zu entwickeln. Sie erhalten die Möglichkeit, Tätigkeiten nachzugehen und diese auszudifferenzieren, die sie als spezifisch menschlich auszeichnen. Das sind nun mal die Bereiche der Werte, der Liebe, der Pflege, der Bildung, der Kreativität. Aber auch diese sind nicht einfach da, auch diese müssen gelernt und gelehrt werden und nach ihrem Nutzen und Guten hin beurteilt werden. Wir werden also nicht einerseits die tätigen Maschinen haben, andererseits die Leute, die nichts mehr tun. Im Gegenteil.

Werden die Maschinen Berufe überflüssig machen? Natürlich. Wenn ich mich in das selbstfahrende Cab setze, anstatt den Taxi-Fahrer zu rufen, dann ist dies der Fall, und wenn die Post per Drohne kommt, ebenfalls. Das kreative Potential wird sich darauf richten, unter den gegebenen neuen technischen Umständen neue Tätigkeiten und Wirkungsbereiche zu kreieren. Heute sehen wir bereits viele Beispiele davon. Ihre Großmutter brauchte und kannte kein Facebook, für Sie sind die sozialen Medien die Welt der Kommunikation, die heute eben ganz anders aussieht, als die Kommunikationswelt der Großmutter. Wie weit eine solche gesellschaftliche Veränderung realisiert wird, wird allerdings eine Entscheidung der ganzen Gesellschaft sein. Will sie diese Entwicklung unterstützen und sich auf dieser Grundlage neu erfinden, neue Berufe und Tätigkeitsfelder schaffen oder will sie den Status quo, der ihr bekannt ist, erhalten. Nach meiner Auffassung werden diese neuen Tätigkeiten, die der Mensch im Idealfall entwickeln wird, im Wesentlichen im Bereich der Organisation von Daten liegen, bei der intelligenten Synthese von Datenmengen, wie es bei Facebook, Amazon, Google und vielen anderen vorgemacht wurde. Welche Daten will ich miteinander verknüpfen? Darauf wird es in Zukunft für den Menschen ankommen.

Wo genau wird man dann ansetzen müssen, um die Digitalisierung von Arbeit voranzutreiben?

Hagengruber: Im vergangenen Jahr habe ich bei der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bundesmuseum Bonn organisierten Veranstaltung „Wann übernehmen die Maschinen?“ vorgeschlagen, Basiskurse im Programmieren ab der dritten Schulklasse einzuführen. Die Kinder können früh lernen, wie sich ein einfacher Algorithmus aufbaut. Es geht also um Vertrautheit mit dieser Technik. Erst dann sind sie und wir nicht mehr den Algorithmen ausgeliefert, wie sie z. B. Facebook auf sehr primitive Weise kreiert. Hier werden die Bildungswissenschaften eine enorme Aufgabe haben. Hier wird auch die Philosophie nochmal viel wichtiger, weil sie fragt, wie sammeln wir überhaupt Daten? Facebook erstellt auf der Basis von zwei, drei oder vier Profilen ein Muster und überträgt dies von Einzelfällen auf weitere Fälle. Das ist, so würde Platon sagen, ganz schlechte Philosophie, weil Einzelfälle keine Abstraktion auf das Allgemeine erlauben. Die Empirie und das empirische Verfahren, wie es Facebook anwendet, sind philosophisch falsch und führen in diese gefährlichen Schlussfolgerungen, die wir ablehnen. Es ist also wichtig, dass man die Bevölkerung hier mitnimmt. Dazu braucht sie aber Wissen und eine bestimmte Ausbildung, um nicht einer Sache ausgeliefert zu sein.

Es entsteht ein wenig der Eindruck, dass der Mensch heute ein immer kleinerer Teil eines immer größeren Ganzen wird, sodass das Produkt der eigenen Arbeit nicht mehr so einfach zu erkennen ist. Verlieren wir auf diese Weise den Sinn von Arbeit aus den Augen?

Hagengruber: Durch die Philosophie und Soziologie haben wir in den letzten Jahrzehnten gelernt, dass sich unser Weltbild erheblich verändert hat. Anstatt uns als starre ontologische Einheiten zu sehen, verstehen wir heute, dass wir vielerlei sein können, dass wir viele verschiedene Funktionen ausüben können, in viele Welten eingebettet und dort vernetzt sind. Wir begreifen uns als Teil von großen Datenmengen und Ordnungen, was Vor- und Nachteile hat. Wir schwimmen einerseits in Datenmengen, die uns Sorge bereiten, weil wir begreifen, dass wir ihrer Komplexität nicht mehr gewachsen sind. Andererseits lernen wir, dass z. B. die Datenmengen es uns erlauben, uns ganz individuell in diesen Datenmengen wieder zu finden. Nehmen Sie das Beispiel der Genetik. Die riesigen Datenmengen, die hier erschlossen wurden, können sozusagen „alles“ aussagen. Zugleich erlauben sie uns heute paradoxerweise, uns als genau dieser eine Organismus zu identifizieren. Das wiederum hat natürlich gute und schlechte Seiten. Hier gilt wiederum, was Aristoteles schon sagte: Jedes Instrument, siehe das Messer, ist für Gutes und Schlechtes zu gebrauchen. Denn die Zwecke müssen von den Menschen gesetzt werden. Sie sind es, die damit Gutes oder Schlechtes bewirken, nicht die Instrumente. Dies wird die Arbeit der Zukunft sein und sie wird täglich wichtiger.

Das Interview führte Kamil Glabica, Stabsstelle Presse und Kommunikation

Foto (Universität Paderborn, Nina Reckendorf): „Mit den Fertigkeiten in der Digitalisierung müssen auch die Bemühungen verstärkt werden, die kreativen Fähigkeiten der jungen Menschen in gleichem Maße zu entwickeln.“ (Prof. Dr. Ruth Hagengruber)
Foto (Universität Paderborn, Kamil Glabica): Prof. Dr. Ruth Hagengruber, Wirtschaftsphilosophin an der Universität Paderborn.

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