Mit automatischen Verfahren zur Bildanalyse und personalisierter Suchfunktion wollen Informatiker die Forschungsarbeit von Kunsthistorikern unterstützen
Gemälde, Skulpturen, Architekturdenkmäler: Kunsthistoriker beschreiben und analysieren Kunstwerke im Kontext unterschiedlicher Stile und Epochen. Dabei helfen ihnen heute digitale Bilddatenbanken mit Aufnahmen der Kunstobjekte, die das Recherchieren und die vergleichende Analyse in ganz neuen Dimensionen ermöglichen. Doch die Suche nach bestimmten Objekten ist in solchen Systemen bislang mühselig. Das wollen Informatiker und Kunsthistoriker der Universitäten Hannover und Paderborn ändern: Im neuen Forschungsprojekt „Aby gets digital“ entwickeln sie gemeinsam einen Datenbank-Prototypen mit optimierter Suchfunktion und neuen Analyseverfahren für digitalisierte Abbildungen von Kunstwerken.
Maschinelles Lernen: Bildinhalte automatisch erkennen
„Es ist ein großer Gewinn, wenn wir die Auffindbarkeit der Bilder verbessern können“, sagt Anna Michel vom Lehrstuhl für Materielles und Immaterielles Kulturerbe. Und genau da liegt bereits die Herausforderung für die Informatiker: Sie können Textdaten inzwischen sehr gut auslesen und wiederfinden. Für Bilddaten allerdings ist die sogenannte Retrieval-Funktionalität wesentlich komplizierter umzusetzen: „Auch die Bildersuche bei Google funktioniert bislang nicht ausschließlich über die Bildinhalte, die nach wie vor schwierig zu erkennen sind, sondern vor allem über textuelle Zusatzinformation wie Dateinamen oder umliegenden Beschreibungstext“, erklärt Eyke Hüllermeier, Professor für Informatik und spezialisiert auf Intelligente Systeme.
Gemeinsam mit seinem Kollegen Ralph Ewerth, Experte für Bildverarbeitung und Leiter der Forschungsgruppe Visual Analytics an der Technischen Informationsbibliothek (TIB) in Hannover, will er dem Computer jetzt nicht nur das Lesen, sondern auch das Erkennen kunsthistorischer Inhalte auf Bildern beibringen: „Mit speziellen Algorithmen wollen wir das System dazu bringen, aus Beispielen zu lernen und Bildhinhalte zu erkennen.“ Hierzu legen die Informatiker zunächst mit den Kunsthistorikern wichtige Bildkategorien fest. Der Computer soll dann etwa Fotos, auf denen Schlösser oder Sakralbauten abgebildet sind, automatisch mit diesen Kategorien kennzeichnen. In der Fachsprache heißt das automatisierte Annotation.
Google für Kunsthistoriker
Mit der Optimierung der Suchfunktion gehen die Wissenschaftler noch einen Schritt weiter: Der Computer soll nicht nur automatisch Bilder bestimmten Kategorien zuordnen, er soll sich bei der Suche auch dem Nutzer anpassen. Was mit Google im World Wide Web schon Alltag ist, sollen jetzt auch Kunsthistoriker bekommen: eine personalisierte Suche. Das System beobachtet dabei das individuelle Suchverhalten und gibt entsprechende Bildvorschläge aus.
Schließlich soll der Nutzer der neuen Datenbank selbst auch etwas beibringen können, damit es seine wissenschaftliche Arbeit unterstützen kann. Um beispielsweise formale und inhaltliche Analogien zwischen den Objekten finden zu können, soll der Kunsthistoriker mit dem System die Bildermenge strukturieren und ähnliche Objekte gruppieren können. „Der Nutzer soll im Rahmen eines interaktiven Prozesses eigene Kategorien und Clusterstrukturen entwickeln können, indem er dem System durch Beispiele zu gruppierender und nicht zu gruppierender Bilder Hinweise auf den zugrunde liegenden Ähnlichkeitsbegriff gibt. Das können durchaus Kriterien mit hoher semantischer Komplexität sein, z.B. die Differenzierung nach ganz bestimmten Typen von Sakralbauten.“
„Aby gets digital“
Vorbild für dieses Tool zur Clusteranalyse ist die Arbeit des Kunsthistorikers und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg, der bereits Anfang des 20. Jahrhunderts die sogenannte Methode des vergleichenden Sehens praktizierte und in seinen Analysen Bilder aus unterschiedlichsten Zeiten und Zusammenhängen nebeneinander stellte: "Warburg hat heterogenes Bildmaterial gesammelt, auf einer Holztafel arrangiert und dabei zum Beispiel wiederkehrende Gestaltungsmerkmale über alle Jahrtausende seit der Antike gefunden. Diese Arbeit ist mit den neuen Informationssystemen und ihrer Fülle an Datenmaterial in ganz neuen Dimensionen möglich", erklärt Anna Michel.
Den Prototypen als neues Forschungswerkzeug für Kunsthistoriker entwickeln die Wissenschaftler am Beispiel bereits bestehender Datenbanken mit ganz unterschiedlichem Bildmaterial, darunter auch das Paderborner Bildarchiv. Professorin Eva-Maria Seng, die das Projekt von Seiten der Kunstgeschichte leitet, hat bereits 2006 an ihrem Lehrstuhl für Materielles und Immaterielles Kulturerbe angefangen, Bildmaterial zu digitalisieren. Mittlerweile fasst allein dieses Archiv 20.000 Aufnahmen von Objekten des kulturellen Erbes. "Ziel ist, die Datenbanken nutzerfreundlicher und effizienter zu machen und damit auch noch speziellere Forschungsfragen zu ermöglichen", begründet Eva-Maria Seng die Motivation für das Vorhaben.
Für die Informatik geht das Projekt laut Eyke Hüllermeier mit neuen Herausforderungen und Forschungsfragen im Bereich der Bilderkennung und -analyse einher: „Die spezielle Problemstellung aus der Kunstgeschichte erfordert die Entwicklung neuer Lösungsansätze und Verfahren. Speziell die ähnlichkeitsbasierte Bildanalyse ist eine große Herausforderung für uns – und bedeutet anspruchsvolle und tiefgründige Forschungsarbeit, von der letztlich nicht nur die Kunsthistoriker profitieren.“
Text: Frauke Döll
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