„Ringvorlesung Wirtschaftsethik“ zur Papstenzyklika „Laudato si“. Ein Interview mit den Paderborner Professoren René Fahr und Günter Wilhelms
Zum vierten Mal organisieren sie die „Ringvorlesung Wirtschaftsethik“ in Paderborn: Wirtschaftswissenschaftler René Fahr und Theologe Günter Wilhelms. Grundlage der wirtschaftsethischen Auseinandersetzung diesmal ist die jüngste Sozial-Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus. In seinem Lehrschreiben ruft der Papst die Welt zur ökologischen Umkehr auf, prangert Umweltzerstörung und Klimawandel an, tadelt die Reichen dieser Welt für ihren Konsumrausch und klagt mehr soziale Gerechtigkeit ein. Im Gespräch berichten die beiden Paderborner Professoren von ihrer Motivation für die fächerübergreifende Kooperation und erklären, warum die Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus für nachhaltiges und ethisches Wirtschaften auch bei kritischer Betrachtung so bedeutsam ist.
Herr Professor Fahr, Herr Professor Wilhelms, in diesem Semester beschäftigen Sie sich im Rahmen ihrer Kooperation Wirtschaftsethik mit der Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus. Welche Impulse haben Sie dazu veranlasst?
René Fahr: Das Bedeutendste an der Enzyklika ist für mich, dass sie das menschliche Verhalten als Ursache der Klimaveränderung faktisch benennt und die Verbindung zum individuellen Handeln herstellt.
Günter Wilhelms: Papst Franziskus will uns wachrütteln. Von oberster kirchlicher Stelle aus rückt er die Themen Umweltschutz und Bewahrung der Schöpfung in den Mittelpunkt, verbindet sie engstens mit der Frage nach sozialer Gerechtigkeit und bringt es in den Kontext seiner Kapitalismuskritik. Wirtschaftsethisch fordert uns das natürlich heraus.
Interessiert Wirtschaftsakteure ein päpstliches Lehrschreiben, wenn es um ihr Handwerk geht?
Wilhelms: Unternehmen, Verbände oder auch die Politik haben in vielfältiger Weise auf die Enzyklika reagiert, die meisten positiv. Es gibt aber auch kritische Anmerkungen, die dem Papst vorhalten, er würde zu naiv mit der Thematik umgehen.
Fahr: Speziell aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht irritiert mich, dass Papst Franziskus seine Ansichten nicht an aktuelle Theorien der Wirtschaftsethik und der Nachhaltigkeit anbindet. Er hätte eine noch größere Leserschaft erreichen können.
Wilhelms: Das stimmt. Dennoch meine ich, dass Papst Franziskus schon die richtige Form der Verkündigung getroffen hat.
Warum sollten sich Wirtschaftsakteure mit der Enzyklika auseinandersetzen? Was weiß der Papst, was sie nicht wissen?
Wilhelms: Papst Franziskus geht es um die kulturelle Dimension dieses Themas. Ob das allen klar ist, weiß ich nicht. Ihm geht es um die gesellschaftlich strukturelle Frage, in welchem Bewusstsein wir eigentlich handeln. Wie stehen wir zum Leben? Wie gehen wir mit der Natur, der Schöpfung um? Je nach dem wie unser Bewusstsein geprägt ist, hat das auch Auswirkungen auf die Art und Weise, wie wir Wirtschaft treiben. Der Papst denkt ganzheitlich. Diesen Aspekt macht er stark. Es geht ihm um die Basis. Wenn die nicht stimmt, wird es keine Veränderung geben.
Fahr: Es ist gut, wenn die Enzyklika den Unternehmern die Ausrede nimmt, sich mit dem Tagesgeschäft herauszureden. Ich bin ziemlich sicher, dass viele Unternehmer nachhaltiges Wirtschaften zwar befürworten, sich aber zunächst zu Recht damit beschäftigen, wie sie ihre Leute in Lohn und Brot halten. Ihr Nachhaltigkeitsdenken reicht im Alltag vermutlich „nur“ bis zur Firmenübergabe in zehn oder zwanzig Jahren. Ökologisch handeln sie lediglich dahingehend, dass sie geltende Gesetze beachten. Da sagt der Papst jetzt: Nein. Er verlangt mehr und weitet die Verantwortungsdimension der Unternehmer sehr breit auf ökologische Belange aus…
Wilhelms: …immer in der Verantwortung zu stehen für sein Handeln und für die Folgen seines Handelns. Eine der zentralen Botschaften der katholischen Soziallehre.
Also sagt die Enzyklika nichts Neues, sondern formuliert nur eine Art Weckruf?
Wilhelms: Natürlich ist diese Idee in der katholischen Sozialverkündigung nicht neu. Das hat es auch in Papieren vorher schon gegeben, aber eben nicht als Überschrift über eine eigene Sozial-Enzyklika.
Wie gehen Wirtschaft und Ethik überhaupt zusammen?
Fahr: Sowohl auf der theoretischen als auch auf der anwendungsorientierten Seite wurde die Wirtschaft lange Jahre als wertfrei betrachtet. Es hieß immer, Wirtschaftsakteure treffen keine normativen Aussagen, Werte werden höchstens über den institutionellen Rahmen vorgegeben. Aber wirtschaftliches Handeln ist immer ethisch. Konkrete Entscheidungen setzen immer gewisse Handlungsprämissen voraus, die auch in der Wirtschaft eindeutig Wertfragen betreffen. Darum brauchen wir darüber den offenen ethischen Diskurs.
Wilhelms: Ethik ist kein Handbuch zu wirtschaftlichen Fragestellungen. Sie gibt nicht vor, wie eine Entscheidung letztlich aussieht, sondern zeigt auf, wie eine richtige Entscheidung zustande kommt. Die Aufgabe der Wirtschaftsethik liegt darin, aufzuklären, dass wirtschaftliches Handeln immer schon ethisch imprägniert ist. Fängt der Mensch an, wirtschaftlich zu agieren, realisiert er seine Freiheit und muss für die Konsequenzen Verantwortung übernehmen. Insofern braucht die Ethik auch nicht nachträglich an die Wirtschaft herangetragen werden.
Was können Wirtschaftakteure im Sinne von Papst Franziskus zur Bewahrung der Schöpfung und zu mehr Nachhaltigkeit beitragen?
Wilhelms: Aus Sicht des Papstes ist jedermann Wirtschaftsakteur, nicht nur Unternehmer oder Politiker, die er natürlich auch ausdrücklich anspricht. Was wir alle tun können, ist aufmerksamer leben mit mehr Respekt, Achtung und Sensibilität für unsere Umwelt.
Fahr: Was mir dann aber in der Enzyklika fehlt, sind Positivbeispiele, die zeigen, wie wir besser leben und wirtschaften können. Denn es gibt ja durchaus Ideen von „Sustainable Business“, von nachhaltigem Wirtschaften, die ganz praktisch existieren und funktionieren. Sie sind zukunftsweisend und profitabel.
Die Kooperation zwischen Ihren Lehrstühlen für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Corporate Governance, und für Christliche Gesellschaftslehre besteht seit 2013. Jetzt führen Sie die vierte Ringvorlesung durch. Wen möchten Sie erreichen und was wollen sie bewirken?
Fahr: Die Ringvorlesung sollte unsere gesamte weitere Kooperation begleiten und vertiefen. Die Fächer Wirtschaftswissenschaften und Theologie sind nämlich gar nicht so „abgehoben“, wie sie manchmal gesehen werden. Wir wollen die gesellschaftsrelevanten wirtschaftsethischen Probleme erkennen und uns mit ihnen theoretisch wie praktisch auseinandersetzten.
Wilhelms: Es ist uns ein Anliegen, Menschen aus Paderborn und Umgebung zu erreichen, um die Bedeutung der universitären Arbeit für die Gesellschaft insgesamt deutlich zu machen. Im Unibetrieb wollen wir Studenten aller Fachrichtungen ansprechen und das Projekt Wirtschaftsethik als Teil des Studienangebotes fördern.
Soviel zum Angebot. Und die Nachfrage?
Fahr: Das Interesse an unserer Zusammenarbeit nimmt deutlich zu, bei den Studierenden wie auch bei den Kollegen. Trotzdem sind wir noch im Aufbau der Kooperation. Aber ich habe das Gefühl, das Thema Wirtschaftsethik nimmt seit Beginn der Kooperation nicht nur bei den beteiligten Hochschulen, sondern auch bei Unternehmen mehr Raum ein. Vielleicht ist Paderborn auch ein starker Ort dafür, eine Stadt, in der Theologie und Wirtschaft ganz natürlich zusammenkommen.
Wilhelms: Wir haben hier gute Bedingungen, finden eine Kultur vor, die diese Verbindung von Wirtschaft und Ethik sehr konkret leben lässt. Das hat mit der bürgerlichen und zugleich ländlichen Prägung der Menschen zu tun, unter denen bestimmte Wertvorstellungen und Grundhaltungen tradiert werden, die auch für verantwortungsvolles Wirtschaften unverzichtbar sind. Obwohl ich mir wünschen würde, dass sich die Unternehmen zukünftig noch mehr einbringen und unsere Arbeit mittragen.
Interview: Pressereferat der Theologischen Fakultät Paderborn (Benjamin Krysmann)
Veranstaltungshinweis:
Die nächste Vorlesung im Rahmen der „Ringvorlesung Wirtschaftsethik“ findet am Dienstag, 26.01.2016, um 18.30 Uhr auf dem Paderborner Universitätscampus in Gebäude Q, Raum Q0.101 statt. Es spricht Rabbinerin Dr. Elisa Klapheck aus Frankfurt am Main zu dem Thema „‚Die Religionen im Dialog mit den Wissenschaften‘ (Ladato si, Nr. 199). Eine interreligiöse Perspektive aus dem Judentum“. Nach dem 45-minütigen Vortrag schließt sich eine offene Diskussion an. Es ist die letzte Veranstaltung in diesem Wintersemester. Im Sommersemester 2016 folgen zur Enzyklika „Laudato si“ von Papst Franziskus noch eine literarische Perspektive und Anmerkungen aus der Unternehmenspraxis.