Deutsche Lit­er­at­ur der Ge­g­en­wart an der Uni­versität Pader­born: Thomas Brussig übern­im­mt die 34. Gastdozen­tur für Schrift­s­teller­innen und Schrift­s­teller – „War­um soll ich et­was lesen, was sich ein an­der­er bloß aus­gedacht hat?“

Der Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig wird am 14. Dezember 2015 die 34. Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn übernehmen. Die Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller wurde 1983 eingerichtet. Sie ist ein Angebot der Universität für alle, die in Paderborn und Umgebung an Literatur interessiert sind. Zuletzt hatten Christoph Peters und Moritz Rinke die Gastdozentur inne. Die Gastdozentur findet montags von 16.15-17.45 Uhr im Hörsaal G auf dem Campus der Universität statt.

Thomas Brussigs Gastdozentur trägt den Titel „Warum soll ich etwas lesen, was sich ein anderer bloß ausgedacht hat?“. Am Montag, dem 14.12.2015, findet seine Auftaktlesung statt. Am 11. und 25. Januar sowie dem 1. Februar 2016 folgen drei Vorträge, die mit einer Abschlusslesung am 8. Februar abgerundet werden.

Thomas Brussig wurde 1964 in Berlin geboren und wuchs im Ostteil der Hauptstadt auf. Von 1981 bis 1984 absolvierte er eine Berufsausbildung zum Baufacharbeiter mit Abitur. Nach seinem Wehrdienst und diversen Tätigkeiten begann er 1990 ein Studium der Soziologie und wechselte 1993 an die Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ nach Potsdam-Babelsberg. Im Jahr 2000 schloss er sein Studium als Film- und Fernsehdramaturg ab. Brussig arbeitet als Dozent im In- und Ausland. Er ist einer der Gründer der deutschen Autoren-Fußballnationalmannschaft. Er lebt als freier Schriftsteller und Drehbuchautor zusammen mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern in Berlin und Mecklenburg.

Thomas Brussig wurde u. a. mit folgenden Auszeichnungen geehrt: Nachwuchs-Autor des Jahres der Zeitschrift „Theater heute“ (1996), Deutscher Drehbuchpreis der Bundesregierung (zusammen mit Leander Haußmann, 1998), Hans-Fallada-Preis der Stadt Neumünster (1999), BZ-Kulturpreis (2000), Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz (2005) und Deutscher Comedy-Preis (2012).
 

Weitere Informationen zum Autor:

Thomas Brussig gehört zu der in der DDR aufgewachsenen Schriftstellergeneration, die (nach einer Bemerkung Heiner Müllers) „den Sozialismus nicht als Hoffnung auf das Andere erfahren [hat], sondern als deformierte Realität.“ „Ja, es ist wahr. Ich war’s. Ich habe die Berliner Mauer umgeschmissen.“ So, fast so jedenfalls, beginnt sein wohl bekanntester Roman Helden wie wir (1995), ein an der Tradition des Schelmenromans und des Satyrspiels orientierter, zugleich das Modell des Entwicklungs- und Bildungsromans karikierender Klassiker der Post-DDR-Literatur. Auf ganz eigentümliche Weise öffnet Brussig nicht nur in diesem Welterfolg, dessen Held eine ganz eigene Sicht auf die im Herbst 1989 mit dem Fall der Mauer eingeleitete ‚Wende‘ vermittelt, einen Erinnerungsraum. Und diesen Erinnerungsraum nicht allein für den Ereignischarakter der ‚Wende‘ als Bruch im Erfahrungs- und Zeitkontinuum, sondern auch für das Leben in dem 1990 abgewickelten sozialistischen ‚Arbeiter- und Bauernstaat‘, von dem Brussig selbst einmal gesagt hat, er sei „ein komischer Kosmos“ gewesen. Entsprechend komisch, mal verspielt, gelegentlich auch brachial, in jedem Fall aber brüllend komisch mit einer Vorliebe für das Groteske und die (auch beißende) Satire sind von hier aus die großen Romane Brussigs (Helden wie wir, 1995; Am kürzeren Ende der Sonnenallee, 1999; Wie es leuchtet, 2004; Das gibt’s in keinem Russenfilm, 2015). Dabei ist Brussig, der auch als Drehbuchautor (Sonnenallee, 1999; NVA, 2005; Heimat 3, 2004; Stankowskis Millionen, 2011), Dramatiker (Heimsuchung, 2000; Leben bis Männer, 2000) und Librettist (Hinterm Horizont, 2011) hervorgetreten ist, nicht allein ein genauer Beobachter der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Als Satiriker ist er zugleich auch ein Spezialist des beiläufigen Tiefsinns, dessen Humor/Komik sich immer wieder aufs Neue an den Ordnungen des Erinnerns entzündet. Brussig durchkreuzt gleichsam eingefahrene Wahrnehmungsmuster, stellt die Bedeutungsmacht und Deutungshoheit der herrschenden Ordnungen der Rede in Frage, indem er mit geradezu spielerischen Leichtsinn die Dinge in das Licht einer komischen Erfahrung stellt. Mit blasphemischem Gelächter bezieht Brussig Stellung im Ringen um die ‚richtige‘ Erinnerung an die DDR und mobilisiert gleichzeitig Reserven gegen die DDR-Nostalgie und die rückwärtsgewandte Verklärung von Dissidenz und Widerstand, ohne freilich der Geschichte bzw. den Geschichten der Bewohner der ehemaligen DDR ihre Würde zu nehmen. Aktuell bleibt diese Auseinandersetzung für ihn allemal – ebenso wie die Beschäftigung mit der Geschichte der deutschen Teilung. „Gute Literatur“, so Brussig, brauche eben auch Zeit. „Sie reagiert nicht aktuell wie andere Medien. Man muss auch Geschichte wirken lassen, sich fragen, wie fühlt sich das heute an. Da gibt es noch eine Menge Stoff.“