Die Tapeten im UNESCO-Welterbe von Schloss Corvey finden sich an den hohen Wänden der landgräflichen Salons und in den weiten Räumen der Fürstlichen Bibliothek. Sie sind wegen ihrer Muster und Raumwirkungen weltberühmt und werden kunsthistorisch der Epoche des Klassizismus und des Biedermeier zugeordnet. In Corvey erleben wir so eine der ‒ weltweit ‒ ganz seltenen Möglichkeiten, außergewöhnliche originale Tapeten und Nachschöpfungen aus dem frühen und späteren 19. Jahrhundert bewundern zu können.
In der Forschungswerkstatt Malerei der Universität Paderborn bei Prof. Dr. Jutta Ströter-Bender, Anika Schediwy und Eva Capell haben 2014/2015 Studierende innovative Konzepte in der künstlerisch-forschenden Auseinandersetzung entworfen, die unerwartete Sichtweisen auf die Corveyer Tapeten eröffnen. Einige Ergebnisse dieser Arbeit werden ab dem 9. Februar auf der Ebene B2 der Universität Paderborn ausgestellt.
Die folgenden drei Konzepte vermitteln exemplarisch einen Überblick über die Ergebnisse der Forschungswerkstatt:
Erika Schrainer (s. Abb. 1) ging in ihrem Konzept den Fragen nach, wie sie zum einen neue Tapetenentwürfe gestalten könnte, die zugleich Spuren der imitierten, originalen Tapeten integrieren, zum anderen aber auch einen didaktischen Zugang zu den künstlerischen Werken erreichen kann. Für die Realisierung ihres künstlerischen Projekts wählte sie die Technik des Scherenschnitts sowie die Schichtenmalerei. Mit Letzterer gelang ihr die Imitation eines Ausschnitts einer Corveyer Tapete auf einem Teil des Bildträgers. Der andere Teil desselben wird dann mit einem Scherenschnitt komplettiert. So entsteht ein variables Kunstwerk, da unterschiedliche Scherenschnitte auf einem Bildträger ausgetauscht werden können. Die didaktische Perspektive ergibt sich aus eben jenem performativen Akt, die die Schülerinnen und Schüler tätigen. Sie können die Tapeten stets neu gestalten.
Das obige Konzept vereint eine künstlerische Reihe aus Malerei und Scherenschnitt. Beim nächsten Konzept wird der Fokus auf das Spiel mit dem Betrachterstandpunkt gelenkt. Die Technik der Schichtenmalerei fördert dabei den illusorischen Raumeindruck.
Beeindruckt war Jula Timmer (s. Abb. 2) von dem Raumgefühl, hervorgerufen durch die zahlreichen Tapeten und Spiegel des Schlosses. Diese weiten den Raum und evozieren eine Perzeption der Illusion, was die Kunststudentin zu einem malerischen Projekt animierte. Ihr Triptychon „rouge-bleu-vert“ mit den Maßen 260 cm x 80 cm „soll die Grenzen zwischen realem Raum, Blick in den Spiegel und Blick auf die Spiegelungen der Salons zu einer konstruierten Wirklichkeit verschwimmen lassen, welche von den Farben der Tapeten und unterschiedlichen Perspektiven dominiert wird“, so Timmer. Mit dem Motiv des Spiegelbildes spielt sie auf eine lange Rezeptionsgeschichte in der Kunstwissenschaft, Philosophie etc. an.
Die oben vorgestellten Konzepte haben einen konstruierenden Charakter. Das folgende Beispiel hingegen spielt mit Konstruktion und Dekonstruktion.
„Vom Kitschigen bis zum Vernichtenden - Mit schlichten Mitteln eine große Wirkung schaffen“, so lautet das Thema des Konzepts von Maria Matic (s. Abb. 3, 4). Gemäß dem Motto suchte sie angeregt von der illusionistischen Wirkung der Corveyer Tapeten, die sich unter dem Lichteinfall verstärkt, nach Materialien, die leicht zugänglich waren, und integrierte diese als Kompositionsmittel in ihre Ornament-Collage und Malereien. Die Malereien stellen Corveyer Frauen dar. Dabei arbeitet Matic mit als weiblich konnotierten Zügen. Eine formal-ästhetische Brechung erzielt sie, indem sie ihre Arbeit an einigen Stellen einreißt. „Auch im echten Leben wird früher oder später (fast) jede Tapete von der Wand gerissen und ersetzt“, so die Künstlerin. Die Ornament-Collage mit dem Titel „Das Corvey-Mandala – Im Kreise der Erzengel“ ist ebenfalls aus Alltagsmaterialien entstanden. Die abstrakten Formen verweisen auf den historischen Kontext Schloss Corveys. Zugleich wird durch die Betonung der Alltagsästhetik eine didaktische Perspektive geöffnet.
Text von Jutta Ströter-Bender und Anika Schediwy
Kontakt: Prof. Dr. Jutta Ströter-Bender
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