Ernährungs- und Bewegungssituation von Kindern dauerhaft verbessern
"Was Hänschen nicht isst, isst Hans nimmermehr", sagt Ernährungswissenschaftler Prof. Dr. Helmut Heseker von der Uni Paderborn und meint damit: Wer im Kindesalter am allerliebsten Pommes und Nudeln mit fettiger Soße futtert, bleibt als Erwachsener bei diesen Ernährungsgewohnheiten. Hans kostet das im schlimmsten Fall acht Lebensjahre: Übergewichtige und fettleibige Menschen haben eine reduzierte Lebenserwartung. "Nur wer im Kindsalter sein Ernährungs- und Bewegungsverhalten in die richtige Richtung bringt, wird als Erwachsener höchstwahrscheinlich normalgewichtig bleiben. 80 Prozent aller dicken Kinder werden dicke Erwachsene." Das ist nur eine von vielen Nachrichten, die von Wissenschaftlern, Erziehern, Lehrern und anderen Experten während der Eröffnungsveranstaltung von PAPI (Paderborner Adipositasprävention und Intervention) diskutiert wurden. Nach den Grußworten von Uni-Rektor Prof. Dr. Nikolaus Risch, von Bürgermeister Heinz Paus und dem Landrat des Kreises Paderborn, Manfred Müller, wurde in Vorträgen die Arbeit des PAPI-Teams und einer Schweizer Präventionsstudie vorgestellt. Danach hatten alle Beteiligten die Möglichkeit, sich im Foyer an den Ständen verschiedener Projekt-Partner auszutauschen. Mit dabei waren unter anderem die Stadt Paderborn, Kindertageeinrichtungen, Familienbildungsstätten, die AOK, die Bertelsmann- und die Heinz Nixdorf Stiftung.
Mit dem Projekt PAPI wollen Prof. Dr. Helmut Heseker und sein Kollege Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettscheider, Sportwissenschaftler und wie Heseker tätig am Departement Sport und Gesundheit der Universität Paderborn, den Anstieg von Übergewicht und Adipositas (krankhafte Fettleibigkeit) im Kindesalter stoppen und einen Rückgang einleiten. Die Zahlen sind alarmierend: Nach Berechnungen der Weltgesundheitsorganisation werden in drei Jahren etwa 15 Millionen Kinder und Jugendliche in Europa an krankhafter Fettleibigkeit leiden, schon jetzt sind deutschlandweit 15 Prozent aller Kinder zwischen drei und siebzehn Jahren übergewichtig. Paderborn liegt mit Blick auf diese Zahlen genau im Bundesdurchschnitt: "In Ostwestfalen ist es keineswegs besser als anderswo", betont Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider. Problematisch sei, dass Adipositas lange Zeit gar nicht als Problem erkannt wurde. "Selbst Kinderärzte haben oft nur verniedlichend vom kleinen Pummelchen gesprochen, das mit Erreichen der Pubertät die überflüssigen Pfunde schon verlieren wird", so Brettschneider. Genau das passiert aber nicht - gerade im Grundschulalter kommt es bei Kindern immer noch zu einem dramatischen Anstieg von Übergewicht. Die beiden Experten sind sich sicher: "Die Probleme lösen sich keineswegs von selbst."
Was sich trivial anhört, ist für das PAPI-Team harte Arbeit: "Wenn Eltern immer noch Fernseher in Kinderzimmer stellen, dann muss ihnen eben jemand sagen, dass das nicht gut für ihre Kinder ist", sagt Heseker. Das sei auch das Besondere an dem Projekt PAPI: "Die Mitarbeiter gehen raus in Kindertagesstätten und Schulen, sprechen mit Erziehern, Eltern und Lehrern. Unser interdisziplinäres Team besteht aus Sportwissenschaftlern, Pädagogen, Ärzten und Ernährungswissenschaftlern. Das ist ein Vorteil." Studentische Hilfskräfte, die zum Beispiel türkisch sprechen oder polnisch, gewährleisten durch ihre Mitarbeit, dass Sprachbarrieren überwunden werden. Für alle Beteiligten ist es gar nicht so einfach, die Eltern dicker Kinder mit den PAPI-Ideen zu erreichen. Die Gründe dafür nennt Prof. Heseker: "Mangelhafte Bewegung und fehlerhafte Ernährung kommt vor allem in Familien vor, die sozial weniger privilegiert sind, die sich eher im bildungsfernen Milieu bewegen oder aber einen Migrationshintergrund haben. Die gesellschaftliche Polarisierung macht sich bei unserer Arbeit sehr stark bemerkbar." Sprich: Eltern von fitten Kindern, die Sport treiben und kreativ mit dem Computer umgehen, interessieren ich sehr wohl für die Ernährung und eine ausreichende Bewegung ihres Nachwuchses. Heseker: "Doch wir müssen gerade die anderen Eltern von unseren Zielen überzeugen!" Die gesundheitlichen Risikofaktoren für übergewichtige Kinder sind enorm: Der Skelettapparat ist beeinträchtigt, es kommt häufig zu Herz- und Kreislauferkrankungen. Stoffwechselkrankheiten wie Diabetes Typ II (früher bekannt als "Alters-Diabetes") treten vermehrt auf, es kommt zu psycho-sozialen Entwicklungsverzögerungen. "Dicke Kinder werden gehänselt und geraten ins Abseits", bestätigt Brettscheider.
Dabei haben sich die Leiter des PAPI-Projekts ganz bewusst für ein optimistisches Motto entschieden: "Unbeschwert aufwachsen in Paderborn". Schließlich wolle man positive Signale setzen und alle Betroffenen motivieren, aktiv auf ihre Gesundheit Einfluss zu nehmen. "Der erhobene Zeigefinger hilft wenig", so Heseker. Bei Papi gehe es beispielsweise um genussvolles Essen, Spaß an Bewegung, Sinnes- und Körperwahrnehmung und um Musik, Tanz und Kreativität. "Wer morgens vernünftig frühstückt, zu Fuß statt mit dem Auto die Schule erreicht und am Nachmittag mit Freunden Fußball spielt, statt stundenlang vor dem Fernseher zu hocken, bekommt einfach ein besseres Lebensgefühl", ist sich der Ernährungswissenschaftler sicher.
Das Projekt PAPI ist eins von 24 Präventionskonzepten, das erfolgreich aus dem Wettbewerb "Besser essen. Mehr bewegen", veranstaltet vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), hervorgegangen ist. Knapp 500 Initiativen waren in einer ersten Stufe an den Start gegangen, die ausgewählten Projekte werden in den nächsten drei Jahren gefördert. Worin das große Plus des Paderborner Projekt liegt? "Ganz sicher in der Interdisziplinarität", vermutet Prof. Dr. Brettschneider, "denn am Department für Sport & Gesundheit arbeiten verschiedene Experten unter einem Dach". Diese Besonderheit an der Paderborner Universität betonte auch Rektor Prof. Dr. Nikolaus Risch während der Eröffnungsveranstaltung: "Wir haben hier am Departement eine gute Kombination von Ernährungs- und Sportwissenschaftlern. Zudem ist Übergewicht ein hochaktuelles Thema, das uns alle angeht." Unterstützt wurde er in diesem Punkt von Bürgermeister Heinz Paus und Manfred Müller, dem Landrat des Kreises Paderborn: "Kinder sind schließlich unsere Zukunft. Mit körperlicher Mobilität wird auch geistige Mobilität erreicht."
In den nächsten drei Jahren wollen Heseker und Brettscheider zusammen mit ihrem Team nachhaltige Strukturen aufbauen: Interventionsprogramme gebe es schon lange, letztlich sei aber wichtig, dass man alle Verantwortlichen an einen Tisch bekomme, um so die Kräfte zu bündeln. Brettscheider: "Wir wollen eine Vernetzung all derjenigen erreichen, die Verantwortung für unsere Kinder haben." In der Stadt und im Kreis Paderborn konnten schon viele Kooperationspartner für PAPI gefunden werden, ebenso in Gütersloh und in Herford. Langfristig sollen in ganz Ostwestfalen die Ideen und Ziele von PAPI verbreitet werden.
Text und Foto: Christiane Bernert