Auch die zweite Studie des emeritierten Paderborner Professors Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider zum Thema „Aufwachsen mit Sport“ sorgt für ein geteiltes Echo. Gemeinsam mit seinem Potsdamer Kollegen Prof. Dr. Erin Gerlach hatte der Sportwissenschaftler über einen Zeitraum von rund zehn Jahren etwa 1.600 Heranwachsende aus Paderborn hinsichtlich ihres Sportverhaltens untersucht. Im Fokus stand dabei die Frage, welche Auswirkungen die Mitgliedschaft in einem Sportverein auf die Kinder hat. Zum Start der Untersuchung waren die Kinder Drittklässler. Die Wissenschaftler befragten sie insgesamt fünfmal – zuletzt am Ende ihrer schulischen Ausbildung.
Das Fazit formulierte Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider im Rahmen der offiziellen Vorstellung der Studie „erstmals vor großem Publikum“ am 23. Januar an der Universität Paderborn: „Sportvereine können keine Inseln der Seligen sein.“ Vor allem Verantwortliche aus Vereinen und Verbänden zeigten sich interessiert an den Ergebnissen, auch wenn die Ausführungen von Brettschneider und Gerlach nicht immer auf Zustimmung stießen. „Sportvereine helfen nicht gegen Übergewicht und sie haben keinen messbaren positiven Einfluss auf die psychische Entwicklung der Heranwachsenden“, belegten die Wissenschaftler.
Am kontroversesten wurde und wird das Fazit der Studie hinsichtlich der Nutzung von Genussmitteln diskutiert: „Sport im Verein fördert die Trinkkultur“, sagte Prof. Dr. Wolf-Dietrich Brettschneider und verwies darauf, dass in Vereinen „manchmal bereits Achtklässler Alkohol konsumieren“. Auch in puncto Gewalt können Vereine keine positiven Impulse setzen.
Die beiden Wissenschaftler wollen mit ihrer Studie die Vereinsarbeit aber nicht generell unterbewerten. Vor allem weniger talentierte Kinder könnten während einer langen Mitgliedschaft profitieren und kritische Situationen, wie ein Wohnortwechsel, würden durch eine Vereinszugehörigkeit abgepuffert.
„Ein Sportverein kann Raum für unbeschwertes Aufwachsen bieten“, sagte Prof. Dr. Erin Gerlach. „Er wirkt aber nicht gegen individuelle und soziale Fehlentwicklungen.“ In die Pflicht nahmen die Wissenschaftler die Verbände, „weil sie Erwartungen schüren, denen die Vereine nicht gerecht werden können.“
Drei Empfehlungen gibt die Studie Sportvereinen mit auf den Weg: Sie sollten sich auf die Vermittlung von Sport konzentrieren, ihre Leistungen müssten selbstbewusst, aber realistisch eingeschätzt werden und Trainer sowie Übungsleiter müssten auf ihre vielschichtige Arbeit in der Ausbildung vorbereitet werden.
Brettschneider und Gerlach nahmen aber auch die Vereine in Schutz. Diese könnten schließlich nicht gesellschaftliche Defizite abfedern. „Wenn Kinder sich für einen Sportverein entscheiden, wollen sie dort in erster Linie Spaß haben“, resümierte Gerlach. Die Verfasser der Studie hoffen nun auf eine breite Diskussion mit dem Ziel der weiteren Verbesserung der Jugendarbeit in den Vereinen.
Die sprachliche Auseinandersetzung setzte bereits während der Veranstaltung ein. In der anschließenden Podiumsdiskussion tauschten prominente Teilnehmer ihre Argumente aus: Neben den Wissenschaftlern waren dies der Vorsitzende der Deutschen Sportjugend, Ingo Weiß, Martin Wonik (Vorstandsmitglied im Landessportbund NRW), Werner Stürmann (Abteilungsleiter Sport im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW) und Hans Feuß (MdL und Mitglied im Sportausschuss des Landtages NRW, KSB-Präsident Gütersloh).