Deutsche Lit­er­at­ur der Ge­g­en­wart an der Uni­versität Pader­born: Doron Ra­binovici übern­im­mt die 30. Gastdozen­tur für Schrift­s­teller­innen und Schrift­s­teller

Der in Wien lebende Schriftsteller, Essayist und Historiker Doron Rabinovici wird am 5.12.2011 die 30. Paderborner Gastdozentur für Schriftstellerinnen und Schriftsteller am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn übernehmen. Die seit 1983 durchgeführte Veranstaltung richtet sich an Studierende und literarisch Interessierte in der Region. Lea Singer und Kathrin Röggla waren zuletzt als Gastdozentinnen in Paderborn. Die Gastdozentur findet immer montags von 16.15 bis 17.45 Uhr im Hörsaal G auf dem Unicampus statt.

Doron Rabinovicis Gastdozentur trägt den Titel „Manche Menschen kenne ich von später – oder: Was fällt mir eigentlich ein? Schreiben als Erinnerung, Vorstellung und Eigensinn“. Seine Auftaktlesung wird er unter dem Titel „Diesseits und Jenseits von Ohnehin“ am Montag, 5.12.2011, halten. Im Januar finden drei weitere Vorträge statt, die von Rabinovici wie folgt betitelt wurden: „Nach Wilna. Oder: Scheiben und Erinnerung“ (9.1.2012), „Das Unerhörte zur Sprache bringen“ (16.1.2012), „Wahrheit oder Pflicht. Schreiben zwischen Lust, Last und Notwendigkeit“ (23.1.2012). Die Abschlusslesung der Gastdozentur trägt den Titel „Texte aus Andernorts“ und findet am 30.1.2012 statt.

Für seine Werke wurden ihm u. a. das 3SAT-Stipendium (1994), der Ernst-Robert-Curtius-Förderpreis für Essayistik (1997), der Eduard-Mörike-Förderpreis (2000), der Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg (2001), der Jean-Améry-Preis (2002) und der Willy-und-Helga-Verkauf-Verlon-Preis des österreichischen Widerstandes (2007) verliehen.

Doron Rabinovici wurde 1969 in Tel Aviv geboren und lebt seit 1964 in Wien. Nach seiner Matura 1979 studierte er bis 1991 Medizin, Psychologie, Ethnologie und Geschichte an der Universität Wien. Schon während seiner Studienzeit war er als freier Schriftsteller und Essayist tätig. 2000 wurde er mit seiner Arbeit „Instanzen der Ohnmacht. Die Wiener jüdische Gemeindeleitung 1938 bis 1945 und ihre Reaktion auf die nationalsozialistische Verfolgung und Vernichtung“ promoviert. Rabinovici engagiert sich gegen den Rassismus und Antisemitismus.
 

 


 

 
Weitere Informationen über Doron Rabinovici:

Mit Witz und Ironie setzt Doron Rabinovici sich in seinem literarischen Werk immer wieder aufs Neue mit der Dialektik von Erinnern und Vergessen, mit der Konstruktion von Geschichte und Vergangenheit, nationaler (Österreich) und kultureller (jüdischer) Identität auseinander.

Die Wurzeln von Rabinovicis ebenso artifiziellem wie unterhaltsamem Erzählen reichen dabei einerseits zurück bis zu Leo Perutz und Alfred Kubin, weit in die Traditionen des Phantastischen und Surrealen also (vgl. hier insbesondere die Erzählungen aus „Papirnik“ [1994] und den Roman „Suche nach M.“ [1997]). Andererseits ist sein Erzählen ganz gegenwärtig in dem Bemühen, dem komplexen Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart mit ‚heutigen‘ Geschichten beizukommen, Literatur so in ihrer Gegenwärtigkeit als Medium gesellschaftlicher Analyse, des Ein- und Widerspruchs zu beweisen. Und dies mit einem gleich doppelten Ziel: demjenigen, einer „‚wahren’ Rede“ (Stephan Braese) über Juden und Deutsche/Österreicher nach der Shoah Zugänge zu eröffnen, und zugleich demjenigen, den Konstruktionen einer jüdischen Identität allein über das Opfer und damit als ‚negative Identität’ die Bedeutungsmacht zu entziehen.

Die Auseinandersetzung mit jüdischer Identität im prekären Nebeneinander von Juden und Nicht-Juden in den „Täterländern“ (Robert Schindel) allerdings weist dabei in Rabinovicis Literatur stets hinaus auf Probleme des Zusammenlebens in den multiethnischen Industriegesellschaften. So sind Rabinovicis Figuren – zumal in den Romanen „Ohnehin“ (2004) und „Andernorts“ (2010) – immer auch Repräsentanten einer hybriden ‚Migrationsmelange’, die Trennendes mischt. Das ‚jüdische‘ Thema, so beschreibt Rabinovici selbst den ‚Ort‘ seiner Literatur, „berührt die Fragen aller Minderheiten überhaupt in unserer multikulturellen Zeit, [ein Thema,] das natürlich weltweit wichtiger geworden ist. Wir sind insofern in eine Rolle gekommen, in der wir etwas aussprechen, wonach ein Bedarf besteht.“