Pflan­zen­kunde im Mit­telal­ter: Farben­prächtige Fahnen säu­men den Weg - Stu­den­tinnen um Pro­fess­or­in Reese-Heim näht­en Akzente

Eine Fahne hat immer Ambitionen, will mehr sein als ein Stück rechteckiges Tuch. Sie kann Sieges- oder Kampfzeichen sein, aber auch Herrschaftssymbol, Belehnungszeichen, Feldzeichen oder Hoheitssymbol. Aus welchen Gründen sie auch immer gesetzt oder gehisst wird, eines trifft in allen Fällen zu: Sie fällt auf, setzt Signale. Vom 9. April bis 30. Juli 2006 werden 1,50 m breite und 4 Meter lange Stoffbahnen, befestigt an Fahnenmasten, die Brücke zur Wewelsburg säumen und farbenprächtig zur Ausstellung "Pflanzenkunde im Mittelalter - Das Kräuterbuch von 1470" des Kreismuseums Wewelsburg geleiten. Im Mittelpunkt dieser Ausstellung steht das Anholter-Moyländer Kräuterbuch, eine Abschrift des 1450 verfassten Kräuterbuches des Münchener Arztes Johannes Hartlieb. Das Werk gilt als eines der bedeutendsten medizinischen Werke des Mittelalters und gibt einen detaillierten Einblick in die mittelalterliche Naturheilkunde.

In den vergangenen Wochen haben Studentinnen der Universität Paderborn unter Leitung von Professorin Dorothea Reese-Heim im Rahmen ihrer fachpraktischen Examensprüfung "Textilgestaltung" diese mittelalterliche Vorstellungen von Pflanzen, Tieren und Mineralien auf Fahnen gebannt. "Drei Wochen habe ich jeden Tag genäht", erzählt Maren Voigt, die die Abbildung der Kamille in einen Traum aus weißem Segelstoff mit Applikationen, die im typischen Kamillegelb umsäumt sind, verwandelt hat. Die Signaturenlehre und Heilslehre des Mittelalters wurde zum Ideengeber für die Entwicklung der plakativen Stoffbahnen.

Die so genannte Signaturenlehre beruhte auf der im Mittelalter verbreiteten Vorstellung, dass Gott den Menschen durch die äußere Gestalt der Dinge Hinweise auf deren heilende Kräfte geben wollte. So glaubte man zum Beispiel, dass eine rote Blütenfarbe die Bedeutung der Pflanze für das Blut, herzförmige Blätter ihre Wirksamkeit für das Herz oder die nierenförmige Gestalt der Bohnenkerne deren Heilkraft bei Nierenleiden anzeigen. Als "ungewöhnliche Herausforderung" bezeichnete dann auch Reese-Heim den Arbeitauftrag ihrer Studentinnen, das alles per Nadel zu übersetzen. Die intensive Beschäftigung mit einer Heilpflanze wie Kamille, Nelke, Küchenzwiebel, Lilie, Kürbis, Feigenbaum, Drachenwurz und Granatapfel ließ in den vergangenen Wochen so genannte "Drachen-Fahnen" entstehen. "Der Wind soll im Spiel durch Öffnungen im Fahnentuches streichen, Formen aufblähen und die Bahnen in eine verstärkte Bewegung bringen", erläutert Reese-Heim. Klare Farben sollen zusätzliche Akzente setzen und zum Ausstellungsgeschehen hin führen. Auf jeder Fahne ist dann auch ein Hinweis zur jeweilig verwendeten Heilpflanze zu sehen.

Museumsleiter Wulff E. Brebeck machte sich vor Ort ein Bild und zeigte sich erfreut, dass das Kreismuseum bereits zum zweiten Mal die international anerkannte Professorin mit ihren Studentinnen für ein solches Projekt gewinnen konnte. In 2003 hatte ein Studentinnenteam um Reese-Heim im Rahmen der Ausstellung "ZEITSETZUNG" bewiesen, dass auch zeitgenössische Kunst begeistern kann. Man muss eben nur den richtigen Zugang schaffen, in diesem Fall weisen farben- und motivgewaltige Fahnen den Weg.

Reese-Heim lehrt an der Universität Paderborn, Fakultät für Kulturwissenschaften. Sie ist Trägerin des Bayerischen Staatspreises (1995) und des Lotto Hofmann Gedächtnispreises für Textilkunst (2002). In 2004 wurde ihr der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland verliehen.

Pflanzenkunde im Mittelalter - Das Kräuterbuch von 1470 im Internet unter http://www.wewelsburg.de.

Foto: Treppe mit roter Fahne, von links: Anke Wester, Sarah Flüchter, Sonja Schröder, Eva Lammert, Maren Voigt, Christine Braun, Benedikt Breuer, Prof. Dorothea Reese-Heim, Museumsleiter Wulff E. Brebeck
Foto: Treppe mit roter Fahne, von links: Anke Wester, Sarah Flüchter, Sonja Schröder, Eva Lammert, Maren Voigt, Christine Braun, Benedikt Breuer, Prof. Dorothea Reese-Heim, Museumsleiter Wulff E. Brebeck