„Do, 9-11, S. 2.110“ – Diese Codierung hätte Sigmar Polke, der vor einigen Wochen verstarb, bestimmt gefallen. Sie steht für ein studentisches Seminar, in dem unter der Leitung von Prof. Dr. Sabiene Autsch exemplarische künstlerische Arbeiten und Strategien Sigmar Polkes theoretisch reflektiert und praktisch für eine „Didaktik der Kunstgeschichte“ erprobt wurden: Wie wird aus Socken, Keksen oder Plastikwannen Kunst? Warum karierte Stoffe als Bildträger und wie zeichnet man mit einem Kugelschreiber? Wie lange dauert es, ein Bildmotiv in Punkte zu zerlegen? Warum taucht Dürers Hase auf und was ist ein Alchemist? Diese Fragen verweisen bereits auf die Heterogenität und Vielschichtigkeit, die das Werk Sigmar Polkes kennzeichnen. Sie machen zugleich aber auch deutlich, dass die historischen Verweise, Ironisierungen, wissenschaftlichen Bezüge und Trivialisierungen, die der Künstler einsetzt, um sie zugleich wieder zu brechen, eine verschlüsselte Bilderwelt hervorbringen. Sigmar Polke arbeitet mit Strategien, die, wie Sabiene Autsch einleitend feststellt, „aus der der Arbeit mit und am Bild resultieren. Diese zielen darauf, gewohnte und vertraute Muster der Rezeption außer Kraft zu setzen und neue, ungewohnte Seherfahrungen und damit Haltungen zu aktivieren. […] Das heißt auch, dass die Bilder als Apparate verstanden werden können, die spezifische Seherfahrungen ermöglichen, an die gleichzeitig und gleichwertig Bedingungen ihres Entstehens gebunden sind und erprobt werden.“
Sigmar Polke zählt aufgrund seiner experimentellen und zugleich beharrlichen Arbeit am und mit dem Bild zu den erfolgreichsten deutschen Malern der Nachkriegszeit. Motiviert durch eine große Ausstellung im Museum für Gegenwartskunst in Siegen anlässlich der Rubenpreisverleihung an Sigmar Polke (2007) haben die Studierenden sich gemeinsam mit Prof. Dr. Sabiene Autsch um eine Vermittlungspraxis bemüht, die sich in der Auswahl der Themen einerseits wie auch in der Gestaltung des Bandes wieder spiegelt. So diskutiert Sarah Henneke die Beziehung zwischen Trivialem und Alltäglichem sehr ausführlich am Beispiel der Arbeiten „Plastikwannen“ (1964) und macht dabei deutlich, dass die Art des Umgangs mit den Dingen über Kategorien wie Gebrauchsgegenstand oder Kunstobjekt entscheidet. Astrid Spiegeler informiert über die Bedeutung des Zitierens von (bekannten) Kunstwerken und stellt darüber ikonografische Traditionen in der Arbeit „So sitzen Sie richtig (nach Goya und Ernst“ (1982) her. Stoffe als Mal- bzw. Bildgrund oder Motive wie „Das Palmenbild“ (1964) oder „Reiherbild IV“ (1969) lassen Assoziationen zur Zeit des Wirtschaftswunders zu, worauf sich Susanne Henning in ihrem Beitrag bezieht. Auch in den 1960er Jahren entstanden die ersten Kugelschreiberzeichnungen, in denen Polke Bezug nimmt zur Werbung in dieser Zeit. Die so entstandene Bilderwelt diskutiert Melanie Wigger unter dem Stichwort „Sehnsuchtszeichnungen“. Sigmar Polke in wechselnden Rollen als Alchemist, Forscher und Magier beschreibt Angela Bruning an Polkes Beitrag 1986 zur Biennale in Venedig, wo er den deutschen Pavillon mit einer Kobaltchloridlösung ausmalte. Dies hatte eine wechselnde Farbgebung des Raumes zur Folge, ähnlich einem „Athanor“, dem alchemistischen Brennofen. Entzieht sich dadurch das Bild einer endgültigen Erscheinung, so lassen sich diese Eindrücke auch durch technische Apparate und Medien erzeugen, wie Mathias Vorbröcker es am Beispiel der Rasterpunkte analysiert und dabei auch Bezüge aus der Kunst- und Architekturgeschichte vornimmt.
Der vorliegende Band ist gekennzeichnet durch eine individuelle Gestaltung, die sich auf das jeweilige Thema bezieht. In sogenannten Polke-Boxen, die durchgängig für jeden Beitrag gewählt wurden, finden sich didaktische Anregungen für die künstlerische Arbeit. Zusätzliche Informationen, Fachbegriffe, Kunststile und -epochen oder Künstler sind ebenfalls in den einzelnen Beiträgen zu finden. „Polke für Alle“ ist adressiert an eine breite Leserschaft, die sich in Texten, Bildern und praktischen Übungen informieren, zugleich aber auch auf das „Experiment Polke“ einlassen und dieses mit eigenen Materialien ergänzen möchten. Denn dafür wurde die Ringbuchbindung gewählt!
Durch die finanzielle Unterstützung durch Prof. Dr. Steffen Gronemeyer (Universitätsgesellschaft Paderborn) und Frau Lambrecht-Schadeberg (Siegen) konnte dieser Band gedruckt werden.
Kat. 134 S., ca. 150 farbige Abbildungen.
15.- Euro
ISBN 978-3-00-027728-3
Kontakt:
Prof. Dr. Sabiene Autsch
Fach Kunst/Universität Paderborn
sabiene.autsch@upb.de