Forschung­s­pro­jekt „Re­form­päd­ago­gik und Arbei­t­er­be­we­gung“ er­fol­greich abgeschlossen

Mit einer zweibändigen Quellenauswahl wurde ein von Prof. Dr. Wolfgang Keim am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Paderborn von 2001 bis 2007 geleitetes DFG-Projekt zum Verhältnis von „Reformpädagogik und Arbeiterbewegung“ abgeschlossen, das der Geschichte der Reformpädagogik wesentliche neue Facetten hinzufügt.

Beide von Christa Uhlig erarbeiteten Bände erschienen in den von Wolfgang Keim herausgegebenen „Studien zur Bildungsreform“. Nach dem bereits 2006 erschienen Band „Reformpädagogik: Kritik und Rezeption in der Arbeiterbewegung. Quellenauswahl aus den Zeitschriften Die Neue Zeit (1883-1918) und Sozialistische Monatshefte (1895/97-1918)“ konnte die Ausgabe nun mit dem Titel „Schulreform – Diskurse in der sozialistischen Presse der Weimarer Republik. Quellenauswahl aus den Zeitschriften Die Neue Zeit/Die Gesellschaft und Sozialistische Monatshefte (1919-1933)“ abgeschlossen werden.

Die Untersuchung stützte sich auf zwei nichtpädagogische Periodika: Die Neue Zeit bzw. deren Nachfolgeorgan Die Gesellschaft sowie die Sozialistischen Monatshefte. Beide waren seit den 80er bzw. 90er Jahren des 19. Jahrhunderts bis 1933 fortlaufend erschienen. Sie umfassen also den gesamten mit der Reformpädagogik identifizierten Zeitraum und hatten einen relativ hohen Verbreitungsgrad sowie einen prominenten, ein weites Spektrum sozialistischer Positionen abdeckenden Autorenstamm.

Damit können sie als repräsentativ für die theoretischen und politischen Diskurse innerhalb der Arbeiterbewegung gelten, für die Weimarer Zeit allerdings nur für deren sozialdemokratischen Flügel.

Die Ergebnisse des Projekts verändern sowohl das Bild der Reformpädagogik als einer primär vom Bürgertum getragenen „Bewegung“ als auch das der Pädagogik der Arbeiterbewegung:

1. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wurde Reformpädagogik in den genannten Zeitschriften kritisch rezipiert und als Impulsgeberin für die Herausbildung des pädagogischen Selbstverständnisses der Arbeiterbewegung verstanden.

Die Rezeption zielte nicht auf „blinde“ Nachahmung bürgerlicher Bildungs- und Lebensvorstellungen, sondern auf pädagogische Möglichkeiten, das Selbstbewusstsein und die Selbsterziehungskräfte der nach Bildung strebenden Arbeiterschichten und ihrer Kinder zu stärken und ihnen zu helfen, eigene Rechte und Bedürfnisse in der Gesellschaft zu behaupten.

2. Diese Ziele erlangten besonders in der Weimarer Republik an Gewicht, trugen zur Herausbildung einer linken pädagogischen Öffentlichkeit bei und schlugen sich in eigenständigen pädagogischen Praxisfeldern nieder. Am deutlichsten ausgeprägt geschah dies in der proletarischen Kinder- und Jugendarbeit, aber auch in zahlreichen Versuchs- und Modellschulen.

Spätestens hier entfaltete sich neben der bürgerlichen eine spezifische, vor allem von der sozialdemokratischen Arbeiterschaft getragene, proletarisch-sozialistische Reformpädagogik, die sich hinsichtlich ihrer Adressaten und Ziele von bürgerlichen Reformpädagogiken unterschied.

3. Die Entfaltung einer sozialistischen Reformpädagogik war somit kein zufälliges historisches Phänomen. Sie war vielmehr der Ausdruck einer Tendenz zur Demokratisierung der Bildung und Teil eines vielschichtigen, spannungsreichen Suchprozesses nach pädagogisch begründeten Alternativen zu einem Schulsystem, das Kinder aus weniger privilegierten sozialen Schichten systematisch benachteiligte.

Dieser Prozess spiegelt einen Konsens unterschiedlicher weltanschaulicher, politischer und pädagogischer Kräfte, der 1933 zerstört und nach 1945 in seiner Komplexität und Breite kaum wieder erreicht wurde, in seiner Erkenntnis- und Anregungskraft aber noch immer aktuell ist.

 

Vollständige Titelangabe:
Reformpädagogik: Kritik und Rezeption in der Arbeiterbewegung. Quellenauswahl aus den Zeitschriften Die Neue Zeit (1883-1918) und Sozialistische Monatshefte (1895/97-1918), Hrsg. von Christa Uhlig (Studien zur Bildungsreform, Bd. 46). Frankfurt a.M. [u.a.], Peter Lang, 2006. ISBN 978-3-631-54798-4.

Schulreform – Diskurse in der sozialistischen Presse der Weimarer Republik. Quellenauswahl aus den Zeitschriften Die Neue Zeit/Die Gesellschaft und Sozialistische Monatshefte (1919-1933). Hrsg. von Christa Uhlig (Studien zur Bildungsreform, Bd. 47.) Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang, 2008. ISBN 978-3-631-55703-7.

 

Foto: Christa Uhlig: Reformpädagogik und Schulreform – Diskurse in der sozialistischen Presse der Weimarer Republik