Gren­züber­s­chreit­ende Um­weltkon­f­likte als polit­isches In­stru­ment

Zum Tag der Deutschen Einheit: Lehramtsstudent Hendrik Jahns vom Historischen Institut forscht zu den Werra-Verhandlungen zwischen BRD und DDR

Selbst ein Vierteljahrhundert nach der Wiedervereinigung ist die Werra noch immer verschmutzt. Schon vor 25 Jahren war das ein Problem für zwei Staaten, deren Grenze damals noch der Eiserne Vorhang war. Die Versalzung des Gewässers durch die Kaliindustrie wurde zu einem unlösbaren Streitfall der Politik von BRD und DDR – und von beiden Staaten instrumentalisiert: Die DDR wollte als völkerrechtlich souveräner Staat angesehen werden, westdeutsche Technologien für sich nutzen und finanzielle Forderungen durchsetzen. Für die BRD ging es neben wirtschaftlichen Interessen vor allem um den politischen Ruf im eigenen Land.

Verflechtung von Wirtschafts- und Umweltpolitik

In seiner Arbeit zur Versalzung der Werra beschreibt Jahns, wie beispielhaft die Debatten um die Werra-Verschmutzung für die deutsch-deutsche Verhandlungsproblematik der Vergangenheit waren. Im Kern geht es um die Frage, wie eine geteilte Nation gemeinsame Probleme lösen kann, die geographisch und naturräumlich nicht voneinander zu trennen sind – der Fluss fließt über die Grenze aus Richtung der damaligen DDR in Richtung BRD. Es geht auch darum, wie ein Umweltkonflikt als Politikum eingesetzt werden kann. Nicht das Lösen des Umweltproblems, wohl aber das Durchsetzen eigener politischer sowie wirtschaftlicher Forderungen waren die eigentlichen Ziele beider Staaten. Während die DDR zuvor genannte Forderungen als Handlungsgrundlage geäußert hat, konnte die BRD diesen Bedingungen nicht nachkommen, gingen sie doch mit zu großem wirtschaftlichem Verlust einher. Hier schließt Jahns eine Forschungslücke: Weder in der Umwelthistorie noch in der geschichtlichen Forschung an sich wurden derartige grenzüberschreitende Umweltkonflikte eingehend untersucht. Das Werra-Beispiel wurde außerdem bislang nicht als Exempel verhandlungspolitischer Taktik herangezogen.

Eine umwelthistorische Perspektive soll die deutsch-deutsche Verhandlungspolitik von einer anderen, neuen Seite beleuchten und zeigen, wieso das Werra-Problem nicht gelöst werden konnte. Mit seiner Examensarbeit beschreibt Jahns gleichzeitig eine Geschichte des Scheiterns. Er identifiziert dabei sieben Bausteine, die maßgeblich für den umweltpolitischen Misserfolg seien, der bis dato noch nicht aufgeklärt worden ist. Diese sind, so Jahns, finanzielle Forderungen, das Einrichten des Umweltbundesamts in West-Berlin, welches als Verletzung des Vier-Mächte-Abkommens angesehen wurde und anschließend mit einer Blockade der DDR hinsichtlich der Umweltschutzverhandlungen einherging, die Wirtschaftskrise der 70er Jahre inklusive Kalipreisverfall, die völkerrechtliche Anerkennung der DDR als souveränen Staat, das destruktive von gegenseitiger Schuldzuweisung geprägte Gesprächsklima, welches die Verhandlungen für sechs Jahre aussetzen ließ, die ostdeutsche Verhandlungsstrategie auf Kosten der Umwelt und des Westens und nicht zuletzt der grundlegende Unterschied zwischen Sozialismus und Kapitalismus. Die Werra-Kaliwerke sollten auf beiden Seiten der Mauer zu Aushängeschildern des jeweiligen Systems werden. Das Zusammenspiel aller dieser Punkte habe schließlich zum Scheitern der Verhandlungen geführt, erklärt Jahns. Alle Faktoren stehen nicht oder zumindest nicht primär im ökologischen Kontext. 

Neue Einblicke in die Umwelthistorie

„Diese Bausteine sind bislang in der umwelthistorischen Forschung nur unzureichend berücksichtigt worden“, ist sich auch Dr. Peter E. Fäßler, Professor für Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte von der Uni Paderborn, sicher. „Die Verschmutzungsgeschichte der Werra wurde bis dato nicht in der Form und der Tiefe beschrieben. Grenzüberschreitende Umweltkonflikte waren bisher nur ein Randthema der Forschung in der Umwelthistorie. So stehen Antworten auf die Frage aus, welchen Stellenwert und welche Funktion umweltpolitische Belange im deutsch-deutschen Dialog vor allem während der 1980er Jahre hatten. Neben dem grenzüberschreitenden Gewässerschutz standen damals Maßnahmen zur Luftreinhaltung oder auch Aspekte der Abfallentsorgung auf der Agenda. Mit seiner Studie hat Hendrik Jahns das Potential dieses Forschungsgebietes in vorzüglicher Weise aufgezeigt.“

Für beide Staaten war die Werra-Kaliindustrie einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren, für die DDR brachte sie die meisten Devisen ein. Keine der beiden Parteien wollte in letzter Instanz von ihrem Standpunkt abweichen. Erfolglose Verhandlungen wurden über Jahrzehnte hinweg geführt, die Kosten gingen zulasten der Umwelt.  Bereits seit 1968 hat die DDR in verheerendem Ausmaße Lauge in den Fluss geleitet. Auch Laugenversenkungen westdeutscher Kalibetriebe trugen entscheidend zu der Verschmutzung bei.  Erst nach der Wiedervereinigung konnte die Salzbelastung gesenkt werden. Noch heute ist die Salzfracht in der Werra – wenn auch in geringerem Maße – messbar. Erst in den 70er Jahren wurde die Umweltthematik seitens der BRD überhaupt in die Verhandlungen mit der DDR integriert.

 

Text: Nina Reckendorf

Foto (Michael Sander, Wikimedia Commons): Die Versalzung der Werra wurde zu Zeiten des geteilten Deutschlands für politische und wirtschaftliche Forderungen von BRD und DDR instrumentalisiert.