Zum Tag der Deutschen Einheit: Steuerexpertin Caren Sureth-Sloane ordnet die Debatten zum Solidaritätszuschlag ein
Am Samstag, 3. Oktober 2015, feiert das Land 25 Jahre Deutsche Einheit, seit Anfang des Jahres diskutieren Politiker die Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Prof. Dr. Caren Sureth-Sloane, Steuerexpertin an der Universität Paderborn, erklärt, warum eine Sonderabgabe für den Aufbau Ost tatsächlich ausgedient hat und warum Deutschland trotzdem die Einnahmen braucht.
Frau Sureth-Sloane, die Union will den Soli ab 2020 stufenweise abschaffen – was halten Sie davon?
Sonderabgaben wie der Solidaritätszuschlag erfordern Dringlichkeit: Sie werden für außergewöhnliche Belastungen eingesetzt, die transparent und sozialverträglich auf die Bürger umverteilt werden sollen. Eine solche Dringlichkeit sehe ich beim Aufbau Ost inzwischen nicht mehr gegeben. Seit der Wiedervereinigung sind rund 2 Billionen Euro in die Strukturförderung geflossen – mit teilweise eindrucksvollen Ergebnissen, wenn man sich etwa die Entwicklung in Zentren wie Dresden, Leipzig und Jena, aber auch in vielen ländlichen Regionen ansieht. Zwar ist die Entwicklung noch nicht überall dort angekommen, wo sie final sein soll, die Aufholjagd also noch nicht beendet – die durchschnittliche Wirtschaftsleistung, gemessen am Bruttoinlandprodukt pro-Kopf, liegt bei etwa 75 Prozent – aber da unterscheiden sich die strukturschwachen Gebiete im Osten längst nicht mehr von anderen strukturschwachen Regionen im Westen Deutschlands.
Brauchen wir die Einnahmen aus dem Soli generell für Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland, wie es auch schon einige Ökonomen gefordert haben?
Wir haben tatsächlich bundesweit einen großen Bedarf an infrastrukturellen Maßnahmen, aber auch der Abbau von Staatschulden geht nicht in dem Maße voran, wie es wünschenswert wäre. Auf der anderen Seite sind die Steuereinnahmen so hoch wie nie. Dennoch befürworte ich die Forderung, die Einnahmen nicht ersatzlos zu streichen – dies gilt vor allem im Hinblick auf die Verantwortung für künftige Generationen. Allerdings sind die gesamtdeutschen Herausforderungen bei Infrastruktur und Staatsschuldenabbau nicht über einen Solidaritätszuschlag anzugehen. Betrachtet man dies einmal isoliert, so müsste diese Abgabe auf kluge Weise in die normale Einkommensteuer integriert werden. Dadurch würde die steuerliche Gesamtbelastung für die Bürger nicht verändert, es handelte sich somit auch nicht um eine Steuererhöhung. Diese Maßnahme hätte natürlich – je nach Ausgestaltung – dennoch neue Effekte: Während der Solidaritätszuschlag dem Bund zufließt, würden die Mittel dann nach dem Grundprinzip der Einkommensteuer auf Bund, Länder und Gemeinden verteilt werden, die diese Mittel dann bestmöglich zur Erfüllung ihrer Aufgaben einsetzen. Die Förderung strukturschwacher Regionen würde dann über den Länderfinanzausgleich erfolgen. Allerdings hat sich die Situation seit den Debatten im März um eine stufenweise Abschaffung des Solidaritätszuschlages dramatisch geändert, erst durch die Griechenlandkrise und jetzt durch die Flüchtlingsströme.
Ein Integrations-Soli wurde kürzlich ja schon vorgeschlagen: Was ist Ihre Meinung dazu?
Die Griechenlandkrise und jetzt auch die notwendigen Maßnahmen zur Versorgung und Integration von Flüchtlingen erfüllen durchaus die Kriterien für eine Sonderabgabe. Es müssen unvorhergesehene und sehr hohe Mehrbelastungen bewältigt werden, die allen klar sind. Ich gehe davon aus, dass ein Flüchtlings-Soli auch bei den Bürgern eine hohe Akzeptanz finden würde. Die Hilfsbereitschaft ist groß und jeder Bürger kann direkt vor der Haustür beobachten, welche Anstrengungen nötig sind, um hier sinnvolle Hilfe umsetzen. Ein Flüchtlings-Solidaritätszuschlag könnte transparent machen, was als Finanzierungsbeitrag vom Einzelnen hierzu geleistet werden muss. Aufgrund der aktuellen Ereignisse würde ich es also durchaus für sinnvoll erachten, den Solidaritätszuschlag zu erhalten und auf diese Weise umzuwidmen. Voraussichtlich reichen die aktuell 5,5 Prozent Zuschlagssatz an dieser Stelle aber gar nicht aus, so dass auch höhere Steuersätze nicht auszuschließen sind.
Interview: Frauke Döll