Mit di­gitalen Medi­en zu Hause lernen

Wie werden digitale Medien in der Familie für das schulische Lernen genutzt?

Seit mehr als einem Monat lernen Schüler*innen zu Hause. Aktuelle Studien zeigen jedoch, dass mit dieser Situation nicht alle gut zurechtkommen. Die Corona-Krise macht das Lehren und Lernen mit digitalen Medien notwendig und Eltern zu ersten Ansprechpersonen, wenn Schüler*innen Hilfe brauchen. Wie Kinder und Jugendliche von ihren Eltern bei der kompetenten Nutzung digitaler Medien unterstützt werden, untersuchen Wissenschaftlerinnen der Universitäten Paderborn und Bielefeld bereits seit einem Jahr. In dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt „Digital Home Learning Environment“ (DigHomE) will das interdisziplinäre Forschungsteam, bestehend aus Psychologinnen, Medien- und Erziehungswissenschaftlerinnen, herausfinden, wie der alltägliche Umgang mit digitalen Medien im Elternhaus Kinder in ihrer Nutzung des Internets für schulische Belange beeinflusst. Beteiligt sind Prof. Dr. Dorothee Meister, Dr. Sabrina Bonanati und von der Universität Bielefeld Prof. Dr. Anna-Maria Kamin sowie fünf wissenschaftliche Mitarbeiterinnen.

Im Interview erklärt die Projektleiterin Prof. Dr. Heike M. Buhl, Professorin für Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie unter Berücksichtigung der Geschlechterforschung an der Universität Paderborn, wo Schwierigkeiten beim häuslichen Lernen mit digitalen Medien liegen, was Eltern und Lehrer dabei beachten sollten und warum durch die aktuelle Krise Schwächen besonders stark hervortreten. 

Frau Buhl, wie sah die Lernsituation mit digitalen Medien in den Familien vor der Corona-Krise aus? 

Buhl: In unserem Projekt haben wir dazu über 700 Kinder der fünften und sechsten Klasse und deren Eltern befragt. Auch, wenn sich aufgrund der Corona-Pandemie Untersuchungen teilweise verschieben, konnten wir bereits in einigen Familien den Alltag und die Recherchefähigkeiten der Kinder beobachten und Gespräche mit Eltern und Kindern führen. Unsere bisherigen Ergebnisse zeigen ein ambivalentes Bild: In der Untersuchungsregion Ostwestfalen-Lippe besitzen rund 80 Prozent der Familien einen Computer, der in der gesamten Familie genutzt wird. Da in 98 Prozent der Familien ein Internetzugang vorhanden ist, verfügen also fast alle über die technische Ausstattung, um mit digitalen Medien zu lernen oder Informationen und Material von der Schule über E-Mails oder Messenger-Dienste wie WhatsApp zu empfangen oder sich über Lernplattformen auszutauschen. Doch nur ca. ein Drittel der Fünftklässler gab an, das Internet uneingeschränkt für schulische Aufgaben nutzen zu können. Zwar haben 85 Prozent der Fünftklässler ein Smartphone, jedoch besitzt nur ein Viertel von ihnen selbst einen Computer. Das liegt oft an der zwiespältigen Einstellung der Eltern: Auf der einen Seite betonen sie die Gefahren digitaler Medien, auf der anderen Seite empfinden sie diese für das schulische Lernen als sehr wichtig. 

Wir haben neben der Ausstattung der Familien mit digitalen Medien auch untersucht, wie Kinder diese insbesondere bildungsbezogen, z. B. bei Hausaufgaben, nutzen. Dabei haben wir festgestellt, dass es ihnen in erster Linie nicht darum geht, Interessengebiete zu erkunden und/oder vertiefende Informationen zu beschaffen. Ziel ist vielmehr die „Optimierung“ des Arbeitsprozesses oder des Lernergebnisses, indem Schüler*innen z. B. erarbeitete Ergebnisse abgleichen oder Hilfen wie Online-Wörterbücher nutzen, die die elterliche Unterstützung stellenweise ersetzen. Den Kindern geht es auch darum, die elterlichen Anleitungen online zu überprüfen, etwa um Mathematik- oder Grammatikregeln nachzuvollziehen oder um Sprachbarrieren bei Eltern mit Migrationshintergrund zu kompensieren. 

Es wäre allerdings wichtig, dass Familien das Internet auch als Recherchemedium in Lernsettings zu Hause integrieren. Wenn Eltern im Alltag gemeinsam mit den Kindern ihre Interessengebiete online erforschen, führt das auf Seiten der Kinder dazu, dass sie das Internet häufiger für anspruchsvolle schulische Belange nutzen und ein größeres Selbstbewusstsein entwickeln, um Probleme bei Internetrecherchen zu meistern. Es bleibt abzuwarten, ob sich das aufgrund der Corona-Krise ändern wird.

Welche Tipps können Sie Eltern auf Basis ihrer bisherigen Ergebnisse für die derzeitige Situation und das Home-Learning geben? 

Buhl: Wenn Eltern nun mit der Aufgabe konfrontiert sind, ihre Kinder beim Lernen zu Hause zu unterstützen – sei es nun mit digitalen Medien wie LernApps oder YouTube, oder mit klassischen Medien wie Aufgabenzettel und Schulbuch – braucht es für ein erfolgreiches Lernen zunächst einmal Struktur. Hier können Eltern ihre Kinder unterstützen, indem sie mit ihnen feste Lernzeiten absprechen. Wichtig ist dabei ein Mitsprache- und Entscheidungsrecht der Kinder, auch in Bezug auf die Mediennutzung. Je mehr Kinder in die Gestaltung des Lernens zu Hause einbezogen sind, umso motivierter lernen sie. 

Eltern sind zu Hause allerdings nicht nur bei technischen Schwierigkeiten mit den digitalen Medien erste Ansprechpersonen, sondern auch bei Problemen inhaltlicher Natur, für die sonst die Lehrkraft unmittelbar im Klassenraum bereitstand. Beim häuslichen Lernen ist deshalb besonders emotionale Unterstützung gefragt, denn kleine Probleme können aufgrund der engen Beziehung zwischen Eltern und Kindern schnell zu großen Auseinandersetzungen werden. Emotionale Unterstützung bedeutet auf Seiten der Eltern vor allem, den Kindern geduldig zuzuhören und sie zu motivieren. Anstatt das Lernen zu Hause ständig zu kontrollieren, sollten Eltern eher klare Regelungen und Strukturen schaffen. Dann hat das individualisierte Lernen durchaus auch Vorteile.

Was können Lehrkräfte tun, um Eltern bei der Unterstützung ihrer Kinder zu entlasten?

Buhl: Damit Familien zu Hause das richtige Gleichgewicht von Struktur und Autonomie finden können, ist es wichtig, dass die Lehrkräfte die Aufgaben überschaubar und planbar in die Familien geben. Je nach Alter des Kindes können dies tägliche Aufgaben, Wochenpläne oder Aufgaben mit noch höherem Anspruch an die Selbstorganisation über längere Zeiträume sein. Auch sollten Lehrkräfte durch regelmäßiges Feedback die Eltern entlasten und die Schüler*innen motivieren.

Zudem ist es wichtig, das Arbeitsmaterial gut vorstrukturiert in die Familien zu geben, sodass es in den Familienalltag integriert werden kann. So können Eltern Lerninhalte besser nachvollziehen und die Kinder besser unterstützen. Gerade, wenn der Familie nur ein Endgerät zur Verfügung steht und Geschwister sich den Zugang teilen müssen, ist es wichtig, gut planen zu können. 

Verändert die Corona-Krise das Lernen mit digitalen Medien zu Hause und in der Schule? 

Buhl: Wir konnten in unserem Projekt bereits feststellen, dass Kinder vielfach über eine umfangreiche Bedienkompetenz verfügen, die als Ressource für das schulische Lernen genutzt werden sollte. So etwa, wenn Erklärvideos gesucht werden oder wenn Hausaufgaben im Klassenchat besprochen werden. Digitales Lernen muss dennoch ein größerer Bestandteil des häuslichen Lernens werden. Nur wenn entsprechende Möglichkeiten bestehen, können Kinder ausreichend Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien entwickeln. Die aktuelle Krise zeigt, wie relevant das ist.

Da Home-Schooling nun bereits seit mehreren Wochen Alltag ist und die Schulen nur langsam wieder öffnen, haben wir unsere Forschungsarbeit ausgebaut und unseren Fragenkatalog erweitert. Ob z. B. die Nutzung digitaler Medien nun im Home-Learning anders ist, untersuchen aus unserem Team Prof. Dr. Dorothee Meister und Prof. Dr. Anna-Maria Kamin, indem sie Lerntagebücher für die Schüler*innen in die Familien geben. In diesen beschreiben die Kinder und Jugendlichen detailliert, wie das Lernen zu Hause stattgefunden hat. Das umfasst die Bearbeitung der Aufgaben sowie genutzte Hilfsmittel und Medien, aber auch Probleme sowie Hilfestellung, die sie in Anspruch genommen haben. 

Außerdem wollen wir Eltern befragen, wie die Familien mit der Bewältigung des Homeschoolings zurechtkommen und welche Bedeutung digitale Medien bei den schulischen Aufgaben haben. Auch die Kommunikation zwischen Eltern und der Schule sowie zwischen Kind und Lehrkräften in dieser besonderen Zeit wird ein Forschungsaspekt sein. Zusätzlich wollen wir die Lehrkräfte nach ihren Erfahrungen mit der neuen Lernsituation befragen. Diese vielfältigen Auswirkungen des Coronavirus werden Dr. Sabrina Bonanati und ich untersuchen und gegen Ende des Jahres auswerten.

Foto (Universität Paderborn): Prof. Dr. Heike M. Buhl leitet das BMBF-Projekt „Digital Home Learning Environment“ (DigHomE).

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