Doing Gender
‚Doing Gender‘ ist als Konzept aus der interaktionstheoretischen Soziologie hervorgegangen und wurde 1987 von Candace West und Don Zimmermann entwickelt. Die Herstellung von Geschlechtszugehörigkeit und -identität ist demnach ein alltäglicher wie unvermeidbarer Prozess; d. h., sie ist in Alltagssituationen eingebettet und strukturiert diese zugleich (vgl. Holzleithner 2002: 72; Gildemeister 2019: 410f). Dieser Vorgang der sozialen Konstruktion von Geschlecht ist jedoch in der Regel nicht sichtbar bzw. wird von den Beteiligten nicht wahrgenommen, da Geschlecht häufig in der Natur verortet, d. h. als biologisch gegeben und damit als selbstverständlich betrachtet wird.
West und Zimmermann unterscheiden zur Überwindung dieser biologistischen Sichtweise zwischen den Kategorien sex (bei Geburt vorgenommene Klassifikation des Körpergeschlechts aufgrund gesellschaftlich festgelegter biologischer Merkmale), sex category (soziale Zuschreibung des Geschlechts zu ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ infolge der Applikation dieser Merkmale) und gender (Fähigkeit des Individuums, so zu agieren, dass das eigene Handeln/Auftreten mit der vorgenommenen sozialen Geschlechtszuschreibung übereinstimmt) (vgl. West/Zimmermann 1987: 131ff.; Faulstich-Wieland 2004: 177; Gildemeister 2019: 413;). Letztere beschreibt Gildemeister (2019: 413) daher auch als „intersubjektive Validierung in Interaktionsprozessen durch ein situationsadäquates Verhalten und Handeln“, welches wiederum der eingenommenen sex category entspricht. Hirschauer (1994: 672) hat daher drei „axiomatische Basisannahmen“ in Bezug auf Geschlecht identifiziert: (1) Die Annahme der Konstanz, d. h. einer lebenslänglichen Gültigkeit der Geschlechtszugehörigkeit einer Person, (2) die Annahme der Naturhaftigkeit sowie (3) der Dichotomizität, demnach ausschließlich von zwei polaren Geschlechtern, von männlich und weiblich ausgegangen wird (Hirschauer 1994; vgl. auch Faulstich-Wieland 2004: 179).
Entwickelt wurde das Konzept vor dem Hintergrund soziologischer Analysen zu Transsexualität, wofür Harold Garfinkels sogenannte „Agnes-Studie“ von 1967 grundlegend ist. Am Beispiel der Transsexuellen Agnes – Agnes entschied sich im Alter von 17 Jahrenzu einer Transition – konnte er veranschaulichen, was passiert, wenn die alltägliche zweigeschlechtliche Ordnung einer Gesellschaft ‚beschädigt‘ wird. Er zeigte, wie „voraussetzungsvoll“ die Anerkennung einer Person als männlich oder – wie im Fall von Agnes – weiblich ist (Garfinkel 1967). So gibt es gesellschaftliche Vorstellungen bzgl. ‚gelungener‘ Männlichkeit und Weiblichkeit (vgl. Holzleithner 2002: 72), die in Interaktionen durch geschlechtstypische Praktiken – etwa in Form von Mimik, Gestik, Körperhaltung, Sprache etc. – zu erfüllen sind. „Gender wird im Kontext einer routinisierten, permanent wiederholten Praxis erworben. Diese Praxis besteht aus Aktivitäten, die sich auf der Ebene der Darstellung sowie der Wahrnehmung als Manifestationen männlicher und weiblicher ‚Seinsweisen‘ zeigen.“ (Holzleithner 2002: 72) Gelingt diese Identifikation anderer Personen als männlich oder weiblich nicht und wird das Muster der Zweigeschlechtlichkeit durchbrochen, so ruft dies meist starke Irritationen und Verunsicherungen hervor. Garfinkel ging daher von einer Omnipräsenz bzw. -relevanz von Geschlecht aus (vgl. Garfinkel 1967: 118): Geschlechtszugehörigkeit und Zweigeschlechtlichkeit sind demnach Selbstverständlichkeiten des Alltagswissens unserer Gesellschaft, die nicht weiter hinterfragt werden (vgl. auch Wetterer 2010: 126). Dazu gehört auch die Annahme, dass dies immer so war und in allen Kulturen so ist (vgl. ebd.).
Bekannt ist in diesem Zusammenhang auch die Untersuchung von Suzanne J. Kessler und Wendy McKenna „Gender. An ethnomethodological Approach“ von 1978, in der sie bereits explizit von der sozialen Konstruiertheit von Geschlecht sprechen. Nicht nur untersuchen sie Praktiken der Geschlechtskonstruktion von Transsexuellen, darüber hinaus fragen sie erstmalig, auf welche Weise „Kinder sich die Regeln des kulturellen Systems der Zweigeschlechtlichkeit aneignen“ (Wetterer 2010: 128). Dies geschieht durch die Zuschreibung von Geschlechtszugehörigkeit zu einer Person: Wurde eine Person bereits als männlich oder weiblich identifiziert, so werden alle weiteren Handlungen im Lichte dieser vermeintlich ‚natürlichen‘ Geschlechtszugehörigkeit gesehen. Dies zeigt, wie wirkmächtig das kulturelle System der Zweigeschlechtlichkeit ist. West und Zimmermann gingen daher davon aus, dass es unvermeidbar ist, „gender“ nicht „zu tun“ (vgl. ausf. Gildemeister 2010: 143). Diese Sichtweise wird vor dem Hintergrund anderer wirkmächtiger gesellschaftlicher Zuschreibungen, die Wahrnehmung strukturierende Klassifikationsmerkmale wie race und class sowie im Rahmen des Ansatzes eines ‚undoing gender‘ (Hirschauer 1994) zum Teil infrage gestellt.
(Weiterführende) Literatur:
Faulstich-Wieland, Hannelore (2004): Doing Gender: Konstruktivistische Beiträge. In: Glaser, Edith/Klika, Dorle/Prengel, Annedore (Hrsg.): Handbuch Gender und Erziehungswissenschaft. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt, S. 175-191.
Garfinkel, Harold (1967): Studies in Ethnomethodology. Cambridge: Polity Press.
Gildemeister, Regine (2019): Doing Gender: eine mikrotheoretische Annäherung an die Kategorie Geschlecht. In: Kortendieck, Beate; Riegraf, Birgit; Sabisch, Katja (Hrsg.): Handbuch Interdisziplinäre Geschlechterforschung. Wiesbaden: Springer. S. 409-417.
Holzleithner, Elisabeth (2002): Doing Gender. In: Metzler Lexikon Gender Studies / Geschlechterforschung. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hrsg. von Knoll, Renate. Stuttgart: J. B. Metzler, S. 72f.
Hirschauer, Stefan (1994): Die soziale Fortpflanzung der Zweigeschlechtlichkeit. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 46, S. 668-692.
Kessler, Suzanne J./Mckenna, Wendy (1978): Gender: An ethnomethodological approach. Chicago: University of Chicago Press.
Wetterer, Angelika (2010): Konstruktion von Geschlecht: Reproduktionsweisen der Zweigeschlechtlichkeit. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hrsg.) unter Mitarbeit von Budrich, Barbara/Lenz, Ilse/Metz-Göckel, Sigrid/Müller, Ursula/Schäfer, Sabine: Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung: Theorie, Methoden, Empirie. 3. erweiterte und durchgesehene Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 126-136.
West, Candace/Zimmermann, Don H. (1987): Doing Gender. In: Gender & Society, Heft 2/1, S. 125-151.
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