Ring­vor­le­sung

Som­mer­se­mes­ter 2014: Kul­tur­tech­ni­ken

Die Frage nach den Kulturtechniken spielt aktuell in der kultur- und medienwissenschaftlichen Forschung eine wichtige Rolle. Zu den klassischen Kulturtechniken zählen neben den symbolischen Fertigkeiten der Bild-, Schrift und Zahlbeherrschung beispielsweise auch elaborierte Techniken der Körperbeherrschung. Die These des Kollegs ist, dass zumindest bestimmte Kulturtechniken in ihrer Funktionsweise auf das Halbdunkel einer reduzierten Bewusstheit angewiesen sind und dass es sich bei Prozessen der "Automatisierung" um einen Übergang, um ein Absinken in diesen Raum handelt. In bestimmten Fällen scheint eine reduzierte Bewusstheit gesellschaftlich produktiv zu sein, z.B. indem sie Ressourcen einspart. Dem Begriff der Kulturtechniken würde der Aufweis solch halbbewusster Prozesse bis dahin wenig beachtete Perspektiven hinzufügen. Die Ringvorlesung setzt also Automatismen als weitgehend unbewusst ablaufende Kulturtechniken mit Verfahren der Regulierung (Reduktion oder Steigerung) gesellschaftlicher Komplexität in Beziehung. Sie verbindet die Frage nach Kulturtechniken, die Medien, Technik, Artefakte, Rituale und symbolische Ordnungen erzeugen und voraussetzen, mit der Frage nach strukturgenerierenden Automatismen.

 

Raum: E5.333 & W3.210

Zeit immer: 18.15h (an Dienstagen)

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Dienstag 29.04. | Raum E5.333

Sybille Krämer (Berlin): Was bedeutet ‚Kulturtechnik‘? Oder: Warum nicht jede Technik auch eine Kulturtechnik ist

Jede Technik ist kulturell bestimmt. Was aber kennzeichnet dann Phänomene, die wir als ‚Kulturtechniken‘ bezeichnen können? Diese Frage wird erörtert ausgehend von zwei sehr unterschiedlichen Beispielen: dem schriftlichen Rechnen und der Rolle von Sternbildern. Dabei zeichnen sich gewisse Ähnlichkeiten ab: (i) ‚Konstellationen‘ im Sinne von symbolischen Anordnungen spielen eine grundlegende Rolle. (ii) Diese Anordnungen können zugleich als Medien, als Zeichen und als Apparate thematisiert werden. (iii) Eine Kulturtechnik kann in verschiedenen Epochen und Gesellschaften anders verfasst sein und praktiziert werden.

 
 
 

Dienstag 13.05. | Raum W3.210

Jochen Brüning (Berlin): Im Kampf gegen die Komplexität. Über mathematische Kulturtechniken

Der Vortrag wird mit einer Beschreibung der Begriffe ‚Kulturtechnik‘ und ‚Komplexität‘ beginnen, um sich dann der Mathematik zuzuwenden. Es wird erläutert, in welchem Sinn die Mathematik selbst als Kulturtechnik verstanden werden kann und wie sie neue Kulturtechniken erzeugt, die kein unabhängiges mathematisches Verständnis voraussetzen. In diesem Zusammenhang wird der Begriff des Mediums eine zentrale Rolle spielen.

 
 
 

Dienstag 27.05. | Raum W3.210

Barbara Duden (Hannover): Vom physischen zum fiskalischen Körper: Zur Problematik der ‚Automatisierung‘ von Handlungen im ‚personenbezogenen Dienstleistungssektor‘

Ärztliches Handeln, aber auch das Handeln von Pflegepersonen und Hebammen beruhte auf der Beurteilung der Befindlichkeit und des Befundes im Gegenüber zu einem einzelnen Menschen. Nun werden in den Gesundheitsberufen neuerdings ‚evidenzbasierte Handlungspfade‘ eingeführt, die das Handeln präformieren. Dabei ersetzt ein ‚Durchschnittskörper‘ den leibhaftigen Patienten aus Fleisch und Blut. Die Akzeptanz solcher automatisiert behandelter ‚Körper‘ wirft die Frage auf, wie es kommt, dass uns der Sinn für die Eigenart und Einzigartigkeit des Fleisches abhanden kommt und in welcher Weise die Gender-Studies darin verwickelt sind.

 
 
 

Mittwoch 28.05. | Raum E5.333

Robert Seyfert (Konstanz): Die Affekte automatisierter Systeme: Überlegungen im Rahmen einer Soziologie des Algo-Trading

Im Vortrag soll es um die Analyse affektiver Elemente in automatisierten Prozessen gehen. Im Gegensatz zur klassischen Teilung in Phänomene sozialer Affektivität (z.B. ‚Handlungen im Affekt‘) und Affektneutralität (z.B. durch Rationalisierung, Technisierung und Automatisierung), wird davon ausgegangen, dass jedes soziale Gefüge immer auch eine eigenständige spezifische Affektformation darstellt. Am Beispiel des automatisierten Börsenhandels werden Möglichkeiten diskutiert, wie man die Vorstellung der Affektneutralität durch eine Affektanalyse automatisierter Prozesse ersetzen könnte.

 
 
 

Dienstag 10.06. | Raum E2.339

Erhard Schüttpelz (Siegen): Die Geschicklichkeit und Ungeschicklichkeit der Kulturtechniken

Es geht um die allgemeinste Charakterisierung von Kulturtechniken betreffs ihrer bewußten und unbewußten Abläufe, durch eine Diskussion der auf Englisch meist als ‚skill‘ oder ‚skills‘ theoretisierten Grösse, die auf Deutsch eigenartigerweise kein genaues Pendant findet, außer man wählt den Begriff der ‚Geschicklichkeit‘ oder (noch näher an der deutschsprachigen Diskussion um die Kulturtechniken): den der ‚Kunstfertigkeit‘. Was sind ‚skills‘? Die Frage soll in drei Schritten (nach ansteigendem Schwierigkeitsgrad) entfaltet werden: zum ersten als Frage nach der räumlichen Anordnung, in denen sich alle ‚skills‘ entfalten, zum zweiten durch die Frage ihrer Lehr- und Lernbarkeit und der Reihenfolge ihrer zunehmenden Geschicklichkeit (und Ungeschicklichkeit), und zum dritten durch die Frage nach der Begrenzung aller ‚skills‘ durch ihre Koordination und Synchronisation.

  

Bernhard Siegert (Weimar): Kulturtechniken als Medien der Stabilisierung von Realität – Zur Operativen Ontologie von Gefäßen und Kanus
 
 - Der Vortrag entfällt -

Das berühmte Fort-Da-Spiel, mit dem Freuds Enkel die durch das Fortgehen der Mutter verursachte Spaltung des Subjekts operationalisierte, ist das klassische Beispiel des Automaton. Es führt indes weit über den Horizont der Psychoanalyse hinaus, wenn man es zum Ausgangspunkt einer Frage nach der Operationalisierung von Unterscheidungen macht, mittels derer Realität stabilisiert wird. Kann man also Kulturtechniken nach dem Modell des Fort-Da-Spiels denken? Falls dies möglich wäre, wäre damit fundamental die hierarchische Beziehung zwischen Subjekten, Objekten und Operationen in Frage gestellt. Es wäre dann eine offene Frage, wer oder was bei kulturtechnischen Operationen der Handelnde ist und wer oder was das Resultat der Handlung, insofern Kulturtechniken die Unterscheidungen zwischen Subjekt und Objekt, Mensch und Tier, Handeln und Sein etc. allererst prozessieren. Am Beispiel der Operationalität von südamerikanischen Gefäßen und melanesischen Kanus soll aufgezeigt werden, daß Dinge nicht stabile Endprodukte (Objekte) sind, sondern mittels des Automaton der Verfertigung stabiler Beziehungen in einer instabilen Welt dienen.

 
 
 

Dienstag 24.06. | Raum E5.333

Christoph Ribbat (Paderborn): Wie man den Tintenfisch massiert: Repräsentationen von Arbeit im Restaurant

Nicht das Essen, sondern die Arbeit der Zukunft wird im Restaurant entwickelt. Dies will der Vortrag belegen, indem er Kellner und Köche im Blick schreibender, forschender und filmender Beobachter analysiert. Die Darstellungen klaffen weit auseinander. Restaurantarbeit wird als kreatives Gegenstück der Entfremdung gesehen und, ebenso eindrücklich, als Emblem monotoner kapitalistischer Ausbeutung. Konzepte von Kulturtechniken und Automatismen spielen in diesem Spannungsfeld eine zentrale Rolle.

 
 
 

Dienstag 08.07. | Raum E5.333

Gunther Gebauer (Berlin): Die Blindheit des Handelnden. Wittgenstein und Bourdieu zum automatischen Handeln

Zwei Konzepte stehen im Mittelpunkt des Vortrags: Wittgensteins Konzeption des Regelfolgens und Bourdieus Begriff des Praktischen Sinns. Beide erscheinen auf den ersten Blick wenig einsichtig: Sie verlagern Prozesse, die man üblicherweise für bewußte Entscheidungen hält, in eine Handlungspraxis, die zwar absichtlich und zielgerichtet ist, aber nicht unmittelbar von Regeln und Einsicht gesteuert wird. Dies läßt sich an Gesten, am Gebrauch von Wörtern und an Bewegungen des Sports zeigen.

 
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Graduiertenkolleg „Automatismen. Kulturtechniken zur Reduzierung von Komplexität“
 
Sprecher: Norbert Otto Eke, Christina Bartz
Konzeption und Organisation der Ringvorlesung: Hannelore Bublitz, Doreen Hartmann, Oliver Leistert, Monique Miggelbrink, Marion Näser-Lather, Christoph Neubert, Hartmut Winkler

 
Warburger Str. 100
33098 Paderborn
Fon: +49 (0) 5251 60 3275
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gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Universität Paderborn