Kunst- und Wirtschaftsgeschichte
Begriff „Wesersandstein(e)“: Unter dem im Projekt neu konzeptionierten Sammelbegriff fassen wir zum einen die heutige geologische Provenienz unterschiedlicher Sandsteinvorkommen aus der Unterkreidezeit in unserem Untersuchungsraum zusammen (v. a. „Bentheimer“ und „Bückeberger-Formation“). Zum anderen nehmen wir in unserer Definition dezidiert die zeitgenössische Perspektive auf all jene „Grausteine“ ein, die im frühneuzeitlichen Schriftgut unter vielfältigen Namen gehandelt worden sind (z. B. „Gildehäuser“ und „Bremer Stein“). Aus Sicht eines niederländischen oder Bremer Kaufmanns etwa, der primär in grenzübergreifenden Dimensionen dachte, markierte der Weserraum den östlichen Saum eines überregionalen Sandsteinmarktes. Zudem symbolisiert die Chiffre „We(ser)“ einen Fluss, der realiter wie metaphorisch die unterschiedlichen Stationen der Sandsteinverarbeitung von den Quellen bis zum Verbau miteinander verbindet.
Forschungsstrategie: Im Zentrum steht zunächst die Rekonstruktion der historischen Transaktionswege und personellen Netzwerke des internationalen Sandsteinhandels. Beleuchtet wird die materielle, finanzielle und ideengeschichtliche Infrastruktur vom Steinbruch über die zentralen Umschlagplätze bis zur Verbauung an repräsentativen Einzelobjekten. Ausgehend von den zentralen Abbaugebieten im nordwestdeutschen Raum um Bentheim und Obernkirchen verfolgt das kunst- und wirtschaftshistorische Teilprojekt den Weg des Sandsteins in die Welt. Über zwei kombinierte Land-, Fluss- und Seewege („West“- und „Ostschiene“) entlang von Vechte, IJssel und Weser untersuchen die Historiker die Verbreitung von vorgefertigten Bauelementen („Präfabrikation“) in der frühneuzeitlichen Architekturlandschaft.
Untersuchungsobjekte: Anhand ausgesuchter Profanbauten, die zentralörtlich Positionen im internationalen Transaktionswegenetz einnehmen, analysiert das Teilprojekt deren Entstehungsprozess und -kontexte. Repräsentativ in zeitlicher wie architektonischer Hinsicht, werden Rathäuser, Kaufmannsbörsen, Festungs- und Hafenanlagen, aber auch ehemalige Steinlager-, Stapel- und Umschlageplätze des 16. bis 19. Jahrhunderts erforscht. Neben der architektonischen Sprache von Bauobjekten, welche in Präfabrikaten eingeschrieben ist, konzentriert sich das historische Interesse auch auf Fragen der dispositiven Fähigkeiten im „vormodernen“ Steinhandelsgeschäft: Wie griffen die einzelnen Gewerke innerhalb der Transportketten (Rohstoffgewinnung, Spedition, Weiterverarbeitung, Verbau) ineinander? In welchen Organisationsformen arbeiteten die einzelnen Unternehmungen zusammen, deren Größen vom kleinen Familienbetrieb bis zur internationalen Kapitalgesellschaft („Niederländische Steinhandelskompanien“) variierten, um den Steinhandel über Jahrhunderte profitabel betreiben zu können? Und nicht zuletzt: Inwiefern unterlag das obige System jener Vielfalt von Konjunkturen, die den kontinuierlichen Wandel in der Bauwirtschaft und Architektur motivierten? Welche Rolle spielten punktuelle Ereignisse wie Kriege und Herrschaftswechsel, mittelfristige Konjunkturzyklen im übergeordneten Wirtschaftsleben oder gar die umweltbedingten Faktoren von langer Dauer, welche das Gesamtsystem WeSa in der „Kleinen Eiszeit“ determinierten?