Facht­a­gung „Unsicht­bare Hände. Auto­mat­is­men in Medi­en-, Tech­nik- und Diskur­sgeschichte”

4. bis 5. Februar 2010: Universität Paderborn, Gebäudeteil E, 2. Stock, Raum 339

Im Verhältnis von Menschen und Technologien gewinnt gegenwärtig das Unkontrollierbare an Terrain: Intelligente Objekte handeln autonom und selbstorganisiert. In Simulationen wird versucht, das Unkontrollierbare kontrollierbar zu machen und in die Technologien zu integrieren. Künstlerische Praxen wiederum binden Unbeherrschbares an die Menschen zurück und schließen diese an die Welt der Modelle an.

Die Tagung diskutiert diese Entwicklungen unter der Überschrift der „Unsichtbaren Hände“. Diese beschreibt das Phänomen, dass Handlungen unbeabsichtigte, nicht kalkulierbare Wirkungen haben. Die Prozesse wirken im Rücken der Beteiligten, unterhalb ihrer Bewusstseinsschwelle. Mit dem Konzept der Automatismen wird parallel dazu die Frage aufgeworfen, inwiefern sich in der verteilten Aktivität Vieler spontane Strukturentstehung beobachten lässt. Automatismen etablieren sich jenseits bewusster Planung und zentraler Steuerung.Konkret widmet sich die Tagung der Frage, in welchen Situationen der Medien-, Technik- oder Diskursgeschichte Automatismen wirksam wurden. Auf welche historischen ‚Fälle‘ wirft die Perspektive der Automatismen ein neues Licht? Auf welche Weise haben Planung/Bewusstsein und Automatismen jeweils zusammengewirkt?

Ergänzt werden die Vorträge durch das Kurzfilmprogramm „Automatische Körper“, das Automatismen in unterschiedlichen Perspektiven erlebbar macht: automatische Gesten ruinieren eine Ehe, Dinge geraten wie von selbst in Bewegung, Reflex und Lust gehen handgreifliche Verbindungen ein, die Trennung zwischen Mensch und Maschine wird schmerzhaft aufgehoben.

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Pressereaktionen:Oliver Jungen "Bleib mir bloß weg mit der Vorsehung", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.2.2010, S. 31

Thomas Thiel "Allbewegt. Selbststeuerung in der Logistik", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10.2.2010, S. N3


Programm:

 

Donnerstag, 4. Februar

10.00 Panel 1

Begriffe: Automatismen, unsichtbare Hand, Ökonomie



10.15


Harun Maye


Die unsichtbare Hand. Zur Geschichte einer populären Metapher

Das ausgehende 18. Jahrhundert ist geprägt von einem nationalökonomischen und verschwörungstheoretischen Diskurs, in dessen Zentrum die Metapher der ‚unsichtbaren Hand’ steht, welche die ‚Hand Gottes’ beerben und säkularisieren sollte. Das Kollektivsymbol der ‚unsichtbaren Hand' hält dabei zwei prominente Denkfiguren des 18. Jahrhunderts paradoxal zusammen: die Theodizee und die Emergenz. Dennoch kann keine Rede davon sein, dass an die Stelle eines ehemaligen Gottvertrauens ein System-, Prozess- oder Funktionsvertrauen getreten wäre. Ganz im Gegenteil zeigt die Metapher durch ihren „latenten Providentialismus“ (Werner Frick) nicht nur die Macht der Tradition an, sondern erweist sich bei genauer Lektüre als ein Widerspruch zwischen dem, was sie darstellt und dem, was sie zu denken gibt. Der Versuch einer Rationalisierung der Metapher offenbart eine sich fortschreibende Unsicherheit darüber, ob sich ihre Plausibilität jenen Automatismen verdankt, die sie veranschaulichen soll, oder nicht vielmehr einem unheimlichen Repertoire literarischer Figuren aus der Geheimbund- und Schauerliteratur.

Im Schauerroman und auch bei Adam Smith werden die ursprünglichen Intentionen und Handlungsfolgen durch die Intervention einer unsichtbaren Hand unterbrochen. Die Behauptung, dass es sich dabei um zwei sehr verschiedene Hände handelt, nämlich im Fall der Nationalökonomie um eine natürliche oder systemische und im Fall des Schauerromans um eine übernatürliche Handlungsmacht, ist nach einer genauen Lektüre nicht mehr haltbar. Der Schauerroman ist im Unterschied zur Nationalökonomie ein Genre, in dem eine unsichtbare Hand die richtige Erb- und Handlungsfolge regelt, weil man gerade nicht daran glaubt, dass ökonomisches und familiäres Selbstinteresse das Gute und den Wohlstand aller befördert. Aber Adam Smith verlässt sich ebenfalls auf die übernatürliche Kraft der Vorsehung, die innerhalb seiner Theorie immer dann einspringen muss, wenn eine begriffliche Fassung der ökonomischen Zirkulation zwischen privaten Interessen und allgemeiner Wohlfahrt nicht gelingen will. Die hand of providence ist in der säkularisierten Metapher enthalten und bleibt sowohl in der Medientheorie des 18. Jahrhunderts als auch in gegenwärtigen Theorien medialer oder gesellschaftlicher Selbststeuerung erstaunlich präsent.

11.30


Dominik Schrage
Was meint ‚Standardisierung durch Konsum’? Technische und soziale Prozesslogiken am Beispiel der Entstehung des Massenkonsums in den USA

Die Auffassung, dass gesellschaftliche Strukturen weitgehend ungeplant entstehen, ist in der Soziologie verbreitet. Zumeist bezieht man sich dabei allerdings auf historische Prozesse in einer Perspektive der longue durée (Rationalisierung, Differenzierung, Individualisierung, Modernisierung etc.). Das Verhältnis solcher historischen Prozesslogiken zu kleinteiligeren, sich etwa im Alltag manifestierenden Abläufen oder technischen sowie organisationsinternen Prozesslogiken wird dabei jedoch zumeist per Analogieschluss hergestellt. Ein gutes Beispiel dafür ist die These, dass der Massenkonsum zu einer Standardisierung der Lebenswelten führe. Zumeist wird die mit der Verbreitung des Massenkonsums beobachtbare Vereinheitlichung von Handlungsmustern (‚Konformismus’) mit den automatisierten Fertigungsabläufen der Güterproduktion in Verbindung gebracht (zuerst: das Fließband). Häufig liegt dem die Annahme zugrunde, dass ein Umsichgreifen des technischen Effizienzgedankens, des Profitkalküls sowie ein konformistisches Sozialverhalten auseinander hervorgingen oder einander bedingten. Aber wie genau? Ein Blick auf die Frühphase des Massenkonsum in den USA (ab den 1920er Jahren) soll Unterschiede in technischen, ökonomischen und sozialen Prozesslogiken herausarbeiten und deren Wechselbeziehung genauer fassen.

12.15


Jens Schröter
Das automatische Subjekt. Ein umstrittener Begriff bei Karl Marx und seine medienwissenschaftlichen Anschlüsse

Es gibt in der neueren Diskussion von Marx eine Strömung – die Wertkritik –, die eine im bisherigen Marxismus unbeachtete oder verdrängte Beschreibung des Werts als ‚automatisches Subjekt’ in den Mittelpunkt rückt. Kapitalismus wird so nicht als Herrschaft einer ‚herrschenden Klasse’ beschrieben, sondern als Gesellschaft in der die Vermehrung des Werts als totalitäres abstraktes Formprinzip alle Prozesse dominiert. Interessant ist diese Beschreibung, weil sie den Wert in maschinellen Termini beschreibt. Es geht um Strukturen, die historisch entstanden sind, sich zu Automatismen verselbstständigt haben, aber dennoch durch das menschliche Handeln reproduziert werden. Der Begriff des automatischen Subjekts und seine genauen Implikationen sind allerdings außerordentlich umstritten. In dem Vortrag soll die einschlägige Diskussion kurz vorgestellt, die Rolle des Begriffs für die Beschreibung der gesellschaftlichen Verfasstheit dargelegt und schließlich die mögliche Anschlussfähigkeit dieser neo-marxistischen Denkfigur an medientheoretische Fragestellungen geprüft werden.

 

 

14.30

Panel 2

Selbststeuerung und Selbstreflexivität

 

14.45


Jutta Weber
Die kontrollierte Simulation der Unkontrollierbarkeit. Kontroll- und Wissensformen in der Technowissenschaftskultur

Neue Kontroll- und Wissensformen prägen nicht nur technowissenschaftliche Forschungsfelder wie die Robotik, Artificial Life, Evolutionary Programming oder Converging Technologies, sondern sie sind integraler Bestandteil der unterschiedlichsten Diskurse und Praktiken unserer Technowissenschaftskultur.

Ontologische und epistemologische Grundlage hierfür ist Techno-Rationalität, die epistemische Werte wie Objektivität und Reproduzierbarkeit aufgegeben hat und Natur als in die kleinsten Einzelteile zerlegbar und damit massiv gestaltbar vorstellt. Welt wird nun zu einem Ort mannigfaltiger Rekombinationsmöglichkeiten und die (künstliche) Evolution zum „Formproduzent[en], der ausprobiert, was geht“ (Luhmann). Prägend für diese neue technowissenschaftliche Herangehensweise ist das Operieren mit Rauschen, Performativität, Emergenz und Unbestimmtheit. Diese neuen technowissenschaftlichen Automatismen setzen nicht mehr primär auf den klassisch rationalen, top-down entworfenen Lösungsansatz, sondern nutzen Black boxing, bottom-up- und post-processing-Ansätze, stochastische Suchstrategien und probabilistische Operationen für den Entwurf neuer Lösungsstrategien und die kontrollierte Simulation der Unkontrollierbarkeit.

In meinem Beitrag werde ich die angesprochenen technowissenschaftlichen Wissens- und Kontrollformen herausarbeiten und im Kontext neuerer Ansätze von Biomacht und Gouvernementalität reflektieren.

 

16.00
Christoph Neubert
Autonome Objekte. Zu Theorie und Geschichte der Selbststeuerung in der modernen Logistik

Der Beitrag verfolgt die Idee der ‚unsichtbaren Hände’ auf dem Sektor der modernen Logistik. Hervorgegangen aus dem militärischen Versorgungs- und dem wirtschaftlichen Gütertransportwesen, lässt sich die jüngere Logistik als universale Theorie der Zirkulation von Material, Personen, Geld, Energie und Information charakterisieren. Aktuelle Ansätze zielen dabei auf das Prinzip der Selbststeuerung logistischer Objekte ab, wobei logistische Prozesse nicht nur automatisch, sondern vor allem autonom und dezentral organisiert sein sollen.

Im Beitrag werden die historische Entwicklung und die theoretischen Implikationen dieses Logistikverständnisses nachvollzogen. Der Fokus liegt dabei auf drei Fragestellungen: (1) Welchen Status besitzen den Objekten zugeschriebene Qualitäten wie Kommunikationsfähigkeit, Autonomie, Context Awareness, Intelligenz etc.? Verfügen Dinge in einem theoretisch relevanten Sinn über Handlungsmacht und Selbsttechniken oder sind hier lediglich irreführende Metaphern und Anthropomorphismen im Spiel? (2) Ist die Umstellung vom disziplinaren auf ein gouvernementales Datenregime realistisch und welche sozialen Implikationen sind damit gegeben? (3) Um den letztgenannten Aspekt historisch zu vertiefen: Inwiefern verbindet sich die logistische Grundaufgabe der Koordination von Material- und Informationsfluss sowie ihre Lösung im Sinne der Selbststeuerung historisch mit einer Gouvernementalisierung der Subjekte/Arbeiter/Maschinen?

 

16.45


Robert Dennhardt und Peter Koval
Vom Experimentiertisch zu Electronic Design Automation (EDA). Aus der Geschichte des Schaltentwurfs von 1875 bis 1975

Digitale Rechner wurden zwar bereits von der zweiten Generation an in mehreren Bereichen des Computerentwurfs eingesetzt, unentbehrlich wurden sie jedoch erst ab einem bestimmten Zeitpunkt. Der Beitrag ertastet die Dinge des EDA-Diskurses in den späten 1960er Jahren nach einer „epistemisch stimmigen Bestimmung“ (Rieger) dieses Inflexionspunktes. Die Herstellungsverfahren der integrierten Schaltkreise in den 1960ern machen es deutlich: Das Zeichnen von Schaltplänen wurde mit Large Scale Integration zu komplex und das Schneiden von Rubylith für die Projektionsschablonen (artwork) einfach zu feingliedrig, als dass sie von der menschlichen Hand durchgeführt werden konnten.

Die Automatisierung der einzelnen Praktiken bedeutete zugleich ihre Codierung als Software. Die Schaltpläne wurden nicht mehr vom Auge des Ingenieurs auf Fehler kontrolliert, sondern als Datensatz einem simulierten Test unterzogen. Derselbe Datensatz wurde dann zur Steuerung von Schablonenzeichnern (artwork generator) verwendet. Einen sowohl medien- als auch technikhistorischen Auftakt für jene Geschichte der EDA bildet die Etablierung einer einheitlichen und standardisierten Schriftbildlichkeit des Schaltplans Ende des 19. Jahrhunderts. Initiierendes technisches Dispositiv war zuvörderst die Elektronenröhre und anhängende Technologien von Elektrotechnik bis Radiotelegrafie. Es wird also auch die Genese der diagrammatischen Textualisierung der Verdrahtung, beginnend mit elektrischen Laboranordnungen bis hin zum standardisierten, automatisierbaren elektronischen Schaltplan, nachgezeichnet.

20.00
Raum E2.122
Kurzfilmprogramm: Automatische Körper

Ein Filmprogramm mit Kurzfilmen aus verschiedenen Jahrzehnten, darunter Schätze aus internationalen Filmarchiven. Filme, in denen automatische Gesten eine Ehe ruinieren, Dinge wie von selbst in Bewegung geraten, Reflex und Lust handgreifliche Verbindungen eingehen, die Trennung zwischen Mensch und Maschine schmerzhaft aufgehoben wird.




Freitag, 5. Februar


9.30

Panel 3

Körper: Wiederholung und Automatismen



9.45


Matthias Wittmann
Orlac’s Hände. Von Wiederholungszwängen, Automatismen und ‚prothetischen Traumata’ in Robert Wienes (un-)heimlichem Heimkehrerfilm

Händen wird ein intimes Verhältnis zu Erinnerung und Identität zugesprochen. Sie geben zu lesen, tragen Spuren und hinterlassen ihrerseits Spuren. Die Tätigkeiten und (In-)Schriften der Hand können nicht nur als Manifestationen von Selbstpräsenz betrachtet werden, sondern auch als Markierungen eines Selbstverlustes. Die Tatsache, dass wir zwei Hände haben, hilft uns nicht nur bei der Orientierung im Raum oder der Gliederung von Ideen durch Zuordnung zu zehn Fingern. Sie kann unsere Geistesgegenwart auch gehörig verwirren.

Es ist insbesondere die Tendenz der Hände, sich der Innerlichkeit zu entziehen und grenzüberschreitend, übergriffig zu werden, die im Genre des Horrorfilms auf die Spitze getrieben wird. Ein fiktives Zusammentreffen all der abgetrennten, durch Prothesen ersetzten, besessenen und untoten Hände, die sich bislang auf der Kinoleinwand tummelten, ergäbe ein furioses Hand-Gemenge. Das unheimliche Spiel mit dem Eigensinn losgelöster Glieder erfährt eine weitere Potenzierung wenn die untoten Körperfragmente transplantiert, einem anderen, lebenden Körper hinzugefügt werden. Um eine körperliche Gemenge-Lage dieser Art geht es in Robert Wienes – bislang kaum berücksichtigtem – Horrorfilm „Orlac’s Hände“ (A 1924).

Der Vortrag versucht, dem Kräfteverhältnis von sichtbaren und unsichtbaren Händen, Kadriertem und Kaschiertem in Wienes Film nachzuspüren. Im Fokus stehen die dort verhandelten und ins Bild gesetzten Wiederholungszwänge, Automatismen und mémoires involontaires. Besondere Berücksichtigung soll darüber hinaus die Rolle der Schrift und Signatur erfahren. Wie der Fingerabdruck, so ist auch die Handschrift kein Identitätsgarant mehr. Orlac kann sich in seinem aufs Papier gebrachten Gekrakel und Tinten-Gekleckse nicht mehr wieder finden. Die Signatur gerät zur écriture automatique. Wo Orlac schreibt, signiert, hat immer schon ein Anderer mitgeschrieben.


10.30


Joy Kristin Kalu
Die Automatisierung des Schauspiels: Wieder-Holungsprozesse in aktuellen Inszenierungen der Wooster Group

Ich werde mich in meinem Vortrag mit zwei Inszenierungen der New Yorker Wooster Group auseinandersetzen, in denen ein Verfahren erprobt wird, das ich als ‚automatisches Spielen’ charakterisieren möchte. „Poor Theater“ (2004) liegt die Aufzeichnung einer Aufführung der Akropolis-Inszenierung Grotowskis von 1962, „Hamlet“ (2006) der Film einer erfolgreichen Broadway Produktion von 1964 zugrunde. Die Wooster Group erprobt eine Rückübersetzung des Dokumentationsprozesses, indem sie die Filmversionen in das mediale System Aufführung überträgt.

Fand das Automatische schon Eingang in die Kunst der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, so stand es damals für den spontanen individuellen Ausdruck des Künstlers. Die US-amerikanischen Neoavantgarden der Mitte des 20. Jahrhunderts rückten neue Automatismen ins Zentrum ihrer Kunst. So sind weder Pop noch Minimal Art ohne die Automatisierung des Herstellungsprozesses der Werke zu denken. Die Wooster Group, die sich als Teil dieser Avantgardebewegung betrachten lässt, überträgt diese Prozesse reproduzierender Automation nun auf die Bühne. Die Struktur des Bühnengeschehens orientiert sich an dem filmischen Vorbild und die Hand der Regisseurin wird insofern unsichtbar, als sie ihre eigene der Handschrift Anderer unterordnet.

In meinem Vortrag möchte ich die Funktion der Automatisierung der Spielleistung untersuchen. Wurden die Automatismen in der bildenden Kunst der Neoavantgarde gegen essentialistische Gebote der Originalität und Geschlossenheit von Werken in Stellung gebracht und subvertierten somit einen seit dem 18. Jahrhundert vorherrschenden Künstlermythos, so stellt sich die Frage, welche theatralen Kategorien durch die oben beschriebenen Automatismen ins Wanken geraten.

 

11.45 

Panel 4

Aushandlung



12.00


Martina Leeker


Daten tanzen. Automatismen in der Begegnung von Kognitionswissenschaften und Tanz (Wayne McGregor)

In seinem Projekt „Choreography and Cognition“ arbeitet der Choreograf Wayne McGregor mit Kognitionswissenschaftlern sowie mit autonomen Choreografie-Programmen an einer Verbesserung des Tanzes. In diesem Projekt wird eine Wissensformation in Tanz umgesetzt, die in der Tradition der Automatentheorie und der Kybernetik steht. Der Kern dieser Theorien ist, dass in einem auf axiomatischen Annahmen fußendem Modell, das sich gegen die Umwelt abschottet und selbstorganisiert operiert, folgerichtige Aussagen und damit eine funktionierende Modellierung von Welt ohne Welt möglich sind. Folgerichtigkeit in operationaler Geschlossenheit tritt an die Stelle von Wahrheit und Wirklichkeit. Diese Geschlossenheit soll zudem Unberechenbares und Kontingentes ermöglichen. Verdeckt wird dabei, dass ein System unbegrenzter folgerichtiger Ableitungen entsteht, das als Modellierung zu gelten hat und so schwerlich bzw. nur als Übersetzung Wirklichkeit oder eine Formalisierung des Lebendigen erreicht.

Die Zusammenarbeit von Choreografie und Kognitionswissenschaft bzw. Automaten entpuppt sich vor diesem Hintergrund als eine Möglichkeit, Menschen und Modell aufeinander zu beziehen und dabei mögliche Ausbrüche des Emergenten zu kontrollieren. Es gilt schließlich zu fragen, welche Aussagen dieser Schulterschluss von Tanz und Automaten über Aktanten-Netzwerk-Theorien zulässt, mit denen Automatismen zum Agens in Kultur- und Medientheorien werden.

 

14.15

Andreas Wolfsteiner
„Daß Instrumentum oder Werckzeug/ welches alle andern macht“ (Boillot, 1603). Die historische Hand des Denkens ist nicht die invisible hand der Handelsökonomie

Sowohl medienspezifische Grundbegriffe von Handlung als auch kennzeichnende philosophische Modelle des Handelns haben ihre gemeinsame etymologische Wurzel in der (vorgestellten und physischen) Hand: Neben Auge und Ohr kommt dem Instrumentum instrumentorum eine sinnliche und darüber hinaus gestische Ausnahmestellung in der Kunst im Allgemeinen sowie in medialen Szenarien im Speziellen zu. Einerseits verschränken sich Handbewegung und Handstellung zu vielschichtigeren Zeichengefügen in Form von Handgesten (als zeichenhafte Bewegungen und/oder symbolhafte Handlungen). Andererseits fungiert die Hand permanent als ein Mittel ‚interner Repräsentation’ abstrakter Operationen beim Lernen und Erinnern.

Im Rahmen des Vortrags wird ein spezifischer Handlungsbegriff entwickelt, der Körper- und Wissenspraktiken über eine konkrete Form der Handlungsvermittlung verschaltet. Besonders deutlich wird dies im Wandel des Instrumentenbegriffs im 17. und 18. Jahrhundert: Hand und Auge erfahren in Maschinen eine Vergegenständlichung; sie selbst werden als Instrumente qualifiziert, was sich sowohl anhand grundlegender historischer Instrumentenliteratur der Frühen Neuzeit als auch mittels aktueller medientheoretischer Positionen skizzieren lässt. In diesen Kontexten sind Gesten der Hand und Gesten des Handelns stets innerhalb technisch-medialer und körperleiblicher Modelle des Hantierens beschreibbar. Umgekehrt bilden spezifische Formen des Gestischen stets auch Fundamente historisch diskursbildender Handlungstheorien: Die entstehende trading zone von Handlungswissen eröffnet nicht zuletzt den Blick auf eine Art Handlungsökonomie gegenwärtiger medialer Ästhetiken.

 

15.00


Wolfgang Coy
Tastende Fortschritte hinter dem Rücken der Produzenten

Schwach koordinierte, konkurrierende gesellschaftliche Arbeit, wie sie in in der wissenschaftlichen Forschung, der technischen Entwicklung oder der Ökonomie des Marktes zu beobachten ist, folgt weder den eingebrachten Einzelinteressen noch einem übergeordneten Plan. Die Frage, ob sich im Ergebnis ein virtuelles ‚Gemeinschaftsinteresse’ oder nur ein ‚minimaler Ausgleich widersprüchlicher Egoismen’ umsetzt, bleibt eine theoriegeladene Schrulle, solange nicht konkrete historische Prozesse untersucht werden. Die Technikgeschichte, auch die jüngere Technikgeschichte der vernetzten digitalen Medien, bietet reichlich Anschauungsmaterial, das belegt, wie intendierte, aber auf bestimmte Träger beschränkte Rationalität versandet oder in überraschende Entwicklungssprünge umschlägt.

 

 

Graduiertenkolleg „Automatismen. Strukturentstehung außerhalb geplanter Prozesse in Informationstechnik, Medien und Kultur“


Sprecher: Hartmut Winkler, Hannelore Bublitz

Konzeption der Tagung: Hartmut Winkler, Hannelore Bublitz, Irina Kaldrack, Theo Röhle
Konzeption des Kurzfilmprogramms „Automatische Körper“: Annette Brauerhoch


Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Universität Paderborn