He­te­ro­ge­ne Wi­der­stands­kul­tu­ren: Sprach­li­che Prak­ti­ken des Sich-Wi­der­set­zens von 1933 bis 1945

„Hunderttausende junger Menschen werden hingeschlachtet!!! WOFÜR?! WOFÜR?! WOFÜR?! WOFÜR?! WOFÜR !!! Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker? Für den Neuaufbau Europas? Für die Freiheit des deutschen Volkes????? NEIN!! Sondern einzig und allein für die grössenwahnsinnigen Weltbeherrschungspläne uns”

Konspiratives Treffen
Hanno Günther (1940): Das freie Wort 3.,
Widerstandskämpfer

„Die Grundrechte des Individuums und der Gesellschaft wurden wiederentdeckt. Worte, die für uns heute vielleicht vage erscheinen, hatten damals sehr konkrete Bedeutung. Sie begleiten die ganze Geschichte des Widerstandes, vom Aufruf Julius Lebers Mitte Februar 1933 […] bis in die letzten Minuten des”

Brief schreibende Hand
Ger van Roon (1998): Widerstand im Dritten Reich, München, S. 217.,
Niederländischer Historiker

In dem von der DFG geförderten Projekt wurde auf der Basis eines repräsentativen volltextdigitalisierten Korpus umfassend ermittelt, wie Sprache eingesetzt wird, um Widerstand auszuüben, welche Sprachge­brauchsmuster nachweisbar sind und welche Leistungen diese erbringen. Zentrale Doku­mente des deut­schen Wi­der­stands zwischen 1933 und 1945 wurden, seien es öffentliche Dokumente wie Flugblätter oder Denkschriften, seien es private Dokumente wie Tagebuch- oder Haftaufzeichnungen, in sprachwissenschaft­lichen Forschungen zum Na­tionalsozialismus trotz wieder­holter Verweise auf ein entspre­chendes Forschungsdeside­rat bisher allenfalls punktuell unter­sucht. In das Projekt wurden dabei nicht nur bekannte Dokumente wie etwa die Flugblätter der Weißen Rose oder die Schriften des Kreisauer Kreises, sondern auch eher unbekannte Schriften und Verlautbarungen berücksichtigt und analysiert.

Bei dem Vorhaben wurde insbesondere die Heteroge­nität der Widerstandskommunikation systematisch berücksichtigt, die sich zum einen durch die Bindung an jeweils unterschiedliche soziale und/oder poli­tische Milieus, zum ande­ren durch die je unterschiedliche Akteursposition und zum dritten durch eine jeweils unter­schied­liche Auseinandersetzung mit dem NS-Machtapparat und der zunehmend inte­grierten Gesellschaft erklärt.

Die Untersuchung der Widerstandskommunikation trägt zwar somit den in der Zeitgeschichte ermittelten Ergebnissen Rechnung, zielt jedoch auf eine eigenständige sprachwissenschaftli­che Profilierung der Widerstandsthematik ab und eröffnet folgende Perspektiven: Sie erlaubt, Widerstand nicht nur im Sinne einer Widerstandsaktivität, etwa gemäß der gängigen Unter­teilung in einen aktiven und einen passiven Widerstand, zu verstehen, sondern ihn auch vom Sprachgebrauch her zu erschließen und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Mustern der öffentlichen Kommunikation des NS-Apparates und zum Sprachgebrauch der integrierten Gesellschaft nachzuweisen. Die mit dem Projekt verbundenen Untersuchungen der Indienst­nahme vorgängiger Praktiken und dadurch vermittelter Diskurse zeigen einerseits die Traditi­onsbindung des widerständigen Sprachgebrauchs an, andererseits schärfen sie den Blick für eine Traditionsentbindung bzw. für die Veränderungen des Sprachgebrauchs unter den Be­dingungen des Totalitarismus.

An­sprech­part­ner